Klassiker neu gelesen: "Schöne neue Welt"

Den Namen von Aldous Huxleys Roman kennt jeder, aber gelesen wird er kaum. Was kann er uns 2019 noch sagen?

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Neben George Orwells „1984“ ist der Roman „Schöne neue Welt“ des Briten Aldous Huxley (1894–1963) die wohl einflussreichste Dystopie des 20. Jahrhunderts. Sie ist 1932 erschienen und schildert eine Welt, in der fünf verschiedene Menschenkasten in riesigen Fabriken gezeugt, geklont und konditioniert werden. Die sofortige Befriedigung aller materiellen und sexuellen Bedürfnisse ist Teil der Staatsräson, Gefühlskino und Drogen stellen die Menschen ruhig. Literatur und Geschichte sind verpönt, statt Religion gibt es einen Kult um Henry Ford. Eine kleine Gruppe von „Alpha plus“-Männern regiert diese Welt.

Neue Aktualität gewann das Buch Ende 2018 durch die Nachricht, dass in China angeblich genmanipulierte Kinder gezeugt wurden. Von Gentechnik konnte Huxley allerdings noch nichts wissen, bei ihm werden Embryos etwa durch Alkohol, Sauerstoffentzug oder Bestrahlung auf ihre künftige Rolle in der Gesellschaft getrimmt. Aber dies sind nur technische Details. Die eigentliche Frage ist: Was hat uns Huxley heute noch über die Folgen solcher Eingriffe zu sagen?

Bemerkenswert an seinem Gesellschaftsentwurf ist, dass er sich politisch nicht festlegt. Konservative können ihn lesen als Warnung vor dem Verlust der Familie, vor Drogen und sexueller Freizügigkeit, Linke als Kritik an Kapitalismus und Konsum. Der gemeinsame Nenner ist der Zwang zu Konformität.

Und genau darin zeigt sich, dass der Roman doch ziemlich stark gealtert ist. Ein übermächtiger Staat, der sich homogene Menschen zurechtschnitzen wollte oder könnte, ist heute nicht einmal als Dystopie glaubhaft. Was derzeit Sorge macht, ist etwas ganz anderes: Dass ihre Bürger die neuen Möglichkeiten der Gen-Optimierung allzu gern annehmen – selbst wenn sie sich dazu an wissenschaftliche Außenseiter oder obskure Privatorganisationen wenden müssen, die fernab jeglicher Regulierung Fakten schaffen. Über die Karrierechancen und das Krankheitsrisiko ungeborener Kinder würden dann vor allem die finanziellen Möglichkeiten der Eltern entscheiden.

Diese Aussicht geht in eine grundlegend andere Richtung als die Vision Huxleys. Erfreulicher wird sie dadurch allerdings auch nicht.

Aldous Huxley: "Schöne neue Welt". Ein Roman der Zukunft. Fischer, 368 Seiten, 11 Euro (E-Book: 9,99 Euro)

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(anwe)