Gelbwesten: Kreisel ohne Ausgang?

Archivbild vom 29. Dezember 2018: Versammlung vor dem Ratshaus in Belfort. Foto: Thomas Bresson / CC BY 4.0

Beim gestrigen Acte XIV bestätigen sich Grenzen der Mobilisierung für die Demonstrationen. Ein antisemitischer Zwischenfall wirft ein hässliches Licht auf Teilnehmer der Proteste

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Vor genau drei Monaten, am 17.November 2018, kam es zum ersten Protest der Gilets jaunes (Gelbwesten). Niemand hatte damals vorausgesehen, welche Dimension die "Kreiselverkehr-Blockaden" annehmen würden. Mittlerweile ist "La France périphérique" ein politisches Schlüsselwort geworden, das für einen neuen Blick auf die Schichten steht, die als Verlierer der Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte gelten.

Eindruck der Stagnation

Welche neue politische Form sich aus den Gelben Westen entwickeln würde, war ziemlich bald die Frage, als sich zeigte, welche politische Wucht die Gilets jaunes in der französischen Öffentlichkeit erhielten. Unter den Organisatoren der Bewegung wurde sehr darauf geachtet, Distanz zu bekannten, etablierten politischen Akteuren, Parteien und Gewerkschaften, zu wahren. Die Dauerfrage, wohin sich die Protestbewegung bewegt, stellt sich nach dem gestrigen Acte XIV weiterhin - mit einem deutlich stärkeren Eindruck der Stagnation.

Die Veranstalter der Gelbwesten-Proteste haben ihre Mobilisierungskraft mit den Samstagsdemonstrationen erstmal ausgereizt: Es werden nicht mehr, auch wenn das Wetter nicht mehr winterlich ist.

Am 14. Protestsamstag infolge kamen laut Innenministerium 41.500 Gelbwesten in ganz Frankreich zu den Demonstrationen. Das wären nach den Zählungen des Ministeriums 10.000 weniger als am Samstag zuvor ("Acte XIII"). Wie immer steht Politik hinter den Zahlen.

Das Innenministerium gibt eine niedrige Zahl an, zum Beispiel, dass es in Paris ungefähr 5.000 Teilnehmer sind, und von den Gelbwesten erfolgt Widerspruch: "Nein, wir sind 15.000, die Bewegung verdoppelt sich", spricht Jérôme Rodrigues für die Gilets Jaunes ins Mikro der Nachrichtenagenturen. Und wie stets wird dem Leser empfohlen, sich auf der Twitterseite von La Plume Libre umzuschauen, um sich anhand des Bildmaterials von Demonstrationszügen, sei es in der Hauptstadt oder in anderen großen Städten, ein eigenes Bild zu machen.

Nach wie vor drängt sich anhand der "Stichproben" der Eindruck auf, dass die Regierung mit ihren Zahlen systematisch versucht, die Proteste kleinzureden. Auf der anderen Seite versucht das Syndicat France Police - Policiers en colère mit enormen Zahlen entgegenzuhalten. Diesmal sind es 230.000. An den Samstagen zuvor wurden von dieser Seite aber mindestens 300.000 angegeben.

Selbst wenn man allen Zahlenangaben gegenüber auf Distanz bleibt, so gab es gestern keine Anzeichen dafür, dass die Bewegung deutlich an Teilnehmern zulegt. Auch wenn es partiell, wie es Jérôme Rodrigues betonte, zu einer beachtlichen Präsenz gekommen ist. Es gab Demonstrationen in Paris, Bordeaux, Toulouse, Rouen, Marseille, Le Mans, Valence, Lille, Bourg-en-Bresse … und wer in die Lokalpresse schaut, der dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit ermitteln, dass die Teilnehmerzahl der Regierung ständig untertreibt.

Zurück zu den Anfängen

So wird das in Mediapart angedeutet, einer Publikation, die sich um ein differenziertes Bild der Proteste bemüht, wo auch einige Sympathie für die Proteste mitschwingt und das seit vielen Wochen allerhand Diskussionen zum Thema anbietet, die frei von Etiketten-Polemik sind.

Im Bericht zum gestrigen Samstag ist davon die Rede, dass sich manche Gilets jaunes wieder auf den Weg zurück zu den Anfängen gemacht hätten und etwa in Okzitanien, aber auch im Osten, im Département Meurthe-et-Moselle, sich wieder an den Kreiselverkehren versammelt haben.

Rückgang der Gewalt

Auch wird in Mediapart noch einmal auf eine andere Bilanz verwiesen, die mit dem Polizeieinsatz zu tun hat: Bisher gab es 8.000 Verhaftungen, 1.800 Verurteilungen und 1.500 Verfahren laut Innenministerium. Worüber das Innenministerium schweigt, sind die Zahlen zu den Verletzten durch die Polizeigewalt, wie sie vom Journalisten David Dufresne dokumentiert werden. Bislang, so fasst Mediapart zusammen, sind das ein Toter, 5 Hände, die abgerissen wurden (wahrscheinlich durch Granaten), 20 Personen, die ein Auge verloren haben und 189, die am Kopf verletzt wurden.

In diesen Fällen kam es noch zu keinem Verfahren gegen Polizisten, berichtet Mediapart.

Auch der oben erwähnte Jérôme Rodrigues gehört zu den Opfern der Polizeigewalt. Er ist einer der bekannten Persönlichkeiten der Gilets jaunes. Er hatte vor wenigen Wochen ein Auge verloren, als die Polizei mit den sogenannten "nicht-tödlichen Waffen", wozu Hartgummigeschosse gezählt werden wie auch Granaten, dorthin zielte, wo er stand (ohne dass er in irgendeine Aggression verwickelt war).

Die Gewalt der Polizei war Thema der letzten beiden Protestsamstage. Langsam hatten auch die großen Medien bemerkt, dass das Innenministerium zur Gewalt bei den Demonstrationen eine einseitige Sicht propagiert, die lediglich Gewaltakte heraushebt, die aus Kreisen der Gilets jaunes erfolgt sind. In der Protestbewegung suchte man sich mit eigenen Sicherheitsmaßnahmen und Appellen gegen die Gewalt der Extremisten unter den Demonstranten abzusichern.

Am gestrigen Samstag gelang das offenbar besser als zuvor. Denn auch in Berichten von Le Monde ist davon die Rede, dass die Auseinandersetzungen zurückgegangen seien. Es gab auch weniger Verhaftungen.

Die Angst vor Antisemitismus

Dafür sorgte ein anderer Zwischenfall für hässliche Schlagzeilen und eine größere Aufmerksamkeit. Der bekannte französische Philosoph Alain Finkielkraut ("Verlust der Menschlichkeit") wurde am Rande des Demonstrationszuges in Paris von Pöblern angebrüllt und beschimpft. Die Szene, die gefilmt wurde (Filme und Wiedergabe der Worte: hier) bestätigt alle, die bei den Gelbwesten auf Ultranationalisten und Antisemiten schauen. Jeder, der sich an die Stelle Finkielkrauts versetzt, kann die Angst nachvollziehen, die der Mann in dem Moment haben musste, und die Ängste, die die Bewegung unter französischen Juden auslösen kann.

Bemerkenswert ist, dass Demonstranten der Gilets jaunes ihr hässliches Gesicht zu einem Zeitpunkt zeigten, als der Antisemitismus in den Reihen der Gelben Westen zu einem großen öffentlichen Thema geworden ist. Präsident Macron, Innenminister Castaner und Regierungssprecher Griveaux nutzen die Gelegenheit, um in Tweets das Verhalten schärfstens zu verurteilen und die Gelbwesten politisch dafür verantwortlich zu machen. Die politische Instrumentalisierung der Regierung ist das eine. Das andere ist die Verhaltensweise der Demonstranten, die Ängste bestätigt.

Alain Finkielkraut ist politisch übrigens nicht dem linken Lager zuzuordnen, er hatte auch eher Sympathie für die Gilets jaunes geäußert. Nur hatte er bei einem Interview mit dem Figaro, wie französische Medien gestern hervorhoben, geäußert, dass die Arroganz nun nicht mehr allein bei der Regierung liege, sondern auch bei denjenigen, die die Gilets jaunes in den Medien vertreten.

Man darf gespannt sein, wie die breit gestreute Bewegung nun auf das aggressive Gebrüll von Teilnehmern der Demonstration in Paris reagieren wird. Der Appell von mehreren Parteien gegen Antisemitismus, darunter den Sozialdemokraten und den Kommunisten, wurde am gestrigen Samstag kaum befolgt.

Für heute ist eine weitere Demonstration angekündigt, um zu dokumentieren, dass es nun genau drei Monate sind, die Bürger in Gelben Westen auf die Straßen gebracht hat. Man wird nach dem gestrigen Vorkommnissen und den zuvor geäußerten Befürchtungen genauer hinschauen, wer mit von der Partie ist. In den Umfragen zeigt sich, dass es nach wie vor eine große Unterstützung für die Gelbwesten gibt, für die Demonstration an den Samstagen hat sie jedoch nachgelassen. Die Mehrheit sei jetzt für einen Stopp, wie Le Monde berichtet.