Ukraine nimmt nach Absagen von vier Finalisten nicht am ESC teil

Cover von Maruvs Siren Song

Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt wollte Teilnehmer vertraglichen Maulkorb umlegen

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Vom 14. bis zum 18. Mai findet in Tel Aviv der Eurovision Song Contest (ESC) statt. 2004 und 2016 gewannen diesen Wettbewerb Musiker aus der Ukraine. Die wird dieses Jahr keinen Vertreter zum ESC schicken, wie ihre öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt NOTU bekannt gab.

Vorher hatte die Sängerin Hanna Korsun alias Maruv, die mit ihrem englisch-deutschen Siren Song den Vorentscheid gewann, auf die Teilnahme verzichtet, weil sie die Bedingungen des Vertrages nicht akzeptieren wollte, den ihr das öffentlich-rechtliche Fernsehen vorlegte. In ihren Accounts auf Sozialen Medien erklärte die 27-Jährige, die Bedingungen darin hätten sie "geknechtet" und einer politischen Instrumentalisierung ausgeliefert:

Ich bin eine Bürgerin der Ukraine, zahle Steuern und liebe die Ukraine aufrichtig. Doch ich bin nicht bereit, mit Losungen aufzutreten, die meine Anwesenheit beim Wettbewerb in eine Promo-Aktion unserer Politiker verwandeln. Ich bin Musikerin und kein Schläger in der politischen Arena. (Hanna Korsun)

Konkret forderte die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ihr zufolge unter anderem, nicht in Russland aufzutreten. Nachdem Korsun dies der Öffentlichkeit mitteilte, meinte die NOTU, dieses Verbot hätte ja lediglich vor und drei Monate nach dem ESC-Abschluss gegolten. Korsun zufolge war das Auftrittsverbot aber auch gar nicht ausschlaggebend für ihre Entscheidung, den Vertrag nicht zu unterzeichnen. Wesentlicher seien die Verbote gewesen, nicht mit Journalisten zu reden, nicht von vorher genehmigten Texten abzuweichen und alle Weisungen der NOTU zu befolgen.

Uneinigkeit über den "Auftrag" eines ESC-Teilnehmers

Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt meinte dazu, man sei sich nicht über den "Auftrag" eines ESC-Teilnehmers einig geworden. Danach wandte sie sich an den Zweitplatzierten im Vorentscheid, die Freedom-Jazz Girls Band. Doch auch die erklärte umgehend ihre Absage und verwies dabei auf laufende Verhandlungen über eine Konzerttournee. Der daraufhin gefragte Drittplatzierte, die Gruppe Kazka, meinte, sie bräuchte keinen "Sieg um jeden Preis" und ihre Mission sei es, "die Menschen zu vereinen und nicht, Zwietracht zu stiften". Ein anderer Vorentscheidsfinalist, die Gruppe Brunettes Shoot Blondes, sagte bereits ab, bevor er gefragt wurde.

Dass NOTU bei anderen Finalisten gar nicht mehr anfragte, könnte damit zusammenhängen, dass sie ihren Vertretungsvorstellungen nicht entsprechen: Die Opanasjuk-Schwestern stellten im Privatsender ATR die offizielle Staatsmeinung infrage, dass die Krim weiterhin zur Ukraine gehört, und Julia Jurina, die Sängerin der Band Yuko, soll Medienberichten nach über einen russischen Pass verfügen.

Politisierung setzte bereits in der Vergangenheit ein

Dass der ESC für sie ein Politikum ist, machte die ukrainische Staatsführung bereits vor zwei Jahren klar, als sie den Wettbewerb in Kiew ausrichtete. Damals ließ sie die im Rollstuhl sitzende russische Vertreterin Julia Samoilowa nicht auftreten, weil diese nach 2014 Konzerte auf der Krim gegeben hatte (vgl. Ukrainischer Geheimdienst lässt russische ESC-Kandidatin nicht einreisen und ESC: Sanktionen gegen die Ukraine?).

Ein Jahr davor hatte die Ukraine den Wettbewerb in der schwedischen Hauptstadt Stockholm mit der Sängerin Susana Dschamaladinowa alias "Jamala" gewonnen: Die in Kirgisistan aufgewachsene Tochter einer Armenierin und eines Krimtataren sang dort mit "1944" ein Lied mit einem krimtatarischen Refrain, das von Stalins Vertreibung dieser Volksgruppe von der Halbinsel handelt, auf die Hitler die Südtiroler umsiedeln wollte (vgl. Der ESC als politisches Stimmungsbarometer).

Ruslan Balbek, der (ebenfalls krimtatarische) damalige stellvertretende Ministerpräsident der Regionalregierung der Krim, kritisierte das als Missbrauch des Schicksals seiner Volksgruppe und als "politisches Spektakel", mit dem Kiew versuche, den Fernsehzuschauern in anderen Ländern mit dem Rückgriff auf eine 72 Jahre alte Tragödie eine angebliche aktuelle Verfolgung von Krimtataren zu suggerieren.

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