Kommentar zur EU-Urheberrechtsreform und Artikel 13: Eine Nebelkerze kurz vor Torschluss

Mit einem vermeintlichen Kompromiss will die CDU ihr Gesicht und den Artikel 13 retten. Doch die Uploadfilter bleiben. Ein Kommentar von Torsten Kleinz.

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EU-Urheberrechtsreform: Eine Nebelkerze kurz vor Torschluss

Ein Plakat auf einer Demonstration gegen die EU-Copyrightreform am 2.3.2019 in Berlin.

(Bild: Stefan Krempl / heise online)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Spät am Freitagabend – eine Woche vor den europaweiten Demonstrationen gegen Artikel 13 – ist die CDU plötzlich mit einem neuen Kompromisspapier an die Öffentlichkeit gegangen. Die Sensation: Der Partei ist es gelungen eine Lösung zu finden, die alle Seiten befriedigen kann. Für die Nutzer von Plattformen wie YouTube fallen die Uploadfilter weg und die Kreativen in Europa können sich trotzdem über nachhaltige neue Einnahmen freuen. Und die CDU hat ihr Gesicht gewahrt: Der Koalitionsvertrag muss doch nicht gebrochen werden. Doch leider: Es stimmt nicht.

Ein Kommentar von Torsten Kleinz

Torsten Kleinz konzentriert sich als freier Journalist auf Internetkultur und Netzpolitik. Für heise online schreibt er zum Beispiel regelmäßig über die neuesten Streitigkeiten rund um Adblocker.

Zunächst einmal: Es ist kein Kompromiss. Das CDU-Papier stellt den Artikel 13 in Reinform dar. Es gibt keine wirklichen Zugeständnisse, sondern nur ein paar vage Umsetzungsideen und rhetorische Anpassungen. Viel mehr ist bei einer EU-Richtlinie auch nicht möglich. Das Grundprinzip der in Brüssel beschlossenen Regeln kann der nationale Gesetzgeber nicht umkehren. Zudem: Für die konkrete Umsetzung sind weitgehend die Verwertungsgesellschaften verantwortlich.

Das europäische Gesetzeswerk sieht vor, dass eine Plattform wie YouTube Lizenzen kaufen soll, um nicht für Urheberrechtsverstöße zu haften. Wer keine Lizenzen kauft, muss mit enorm teuren Schadensersatzansprüchen rechnen, da die Privilegierung für Anbieter, die Nutzercontent veröffentlichen, weitgehend aufgehoben wird.

Wie das in der Praxis genau umgesetzt werden soll – dazu machten die Befürworter bisher höchst unterschiedliche Aussagen. So etwa versprach der EU-Parlamentarier Axel Voss auf Facebook: "Artikel 13 der Richtlinie sieht vor, dass Lizenzvereinbarungen auch die Uploads der Nutzer umfassen sollen. Die Nutzer werden diesbezüglich von der Haftung befreit und können Inhalte legal und ohne weitere Lizenzierung auf die Plattform hochladen."

Gleichzeitig versprach zum Beispiel die Kampagnenseite Article13.org, dass die Urheber weiterhin die völlige Kontrolle behalten. Dort heißt es: Wenn ein Urheber sich nicht an dem Lizenz-Deal beteiligen will, dann müssen die Plattformen sicherstellen, dass die entsprechenden Werke gar nicht erst veröffentlich werden.

Was denn nun? Ein Pauschallizenzen für alle Inhalte – oder ein System, das jedes einzelne Recht für jedes einzelne Werk vorbehalten kann? Nur eins davon kann richtig sein. Die Antwort ist: Keine der beiden Versionen war auch nur entfernt realistisch. Zumindest hier ist das CDU-Papier ein Fortschritt, da es mit einigen der überzogensten Versprechen aufräumt.

Dort heißt es: "Unterhalb einer zeitlichen Grenze sind Uploads von Lizenzgebühren frei." In der Praxis hieße das etwa: Ein YouTube-Nutzer könnte zum Beispiel zehn Sekunden des neusten Hits von Ariana Grande in einem Video verwenden und wäre durch die Pauschalabgaben von YouTube gedeckt. Das klingt nach einem gangbaren Kompromiss.

Das Problem dabei: Oberhalb dieser zeitlichen Grenze gilt weiterhin die volle Haftung, auch wenn eine Plattform Lizenzen kauft. Und das heißt: Die Uploadfilter müssen bleiben, um alle Verstöße gegen diese Zeitgrenzen zu erfassen. Wie die CDU auf die Idee kommt, dass Uploadfilter ab einer gewissen Länge eben keine Uploadfilter mehr sind, bleibt rätselhaft. Und ob die zulässige Abspiellänge beispielsweise eine halbe Minute oder nur zwei Sekunden umfassen soll, steht nicht im Papier. Kein Wunder: Diese Fragen sollen ja zwischen Plattformen und Rechteverwertern geklärt werden.

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Online-Plattformen haften künftig mit wenigen Ausnahmen für Urheberrechtsverletzungen der Nutzer. Kritiker beklagen einen Angriff auf das freie Netz.

Es ist eine verpasste Chance: Statt mit offenem Visier zu argumentieren, dass Uploadfilter zu einem konkreten gesellschaftlichen Nutzen notwendig sind, negiert die Partei wieder das Offensichtliche und skizziert die vermeintlich positiven Folgen mit vagen Versprechungen.

Immerhin hat sich die CDU zu einer kleinen Verbesserung durchgerungen: So ist die Rede davon, dass Rechteinhaber, die sich nicht mit den Pauschalabgaben begnügen wollen, die Löschung ihre Werke verlangen können. Wenn man diese Worte auf die Goldwaage legt, könnte das bedeuten: Eine solche Löschung müsste nur nachträglich erfolgen, nicht durch den unvermeidlichen Uploadfilter.

Für YouTube-Nutzer wäre es freilich genauso unbefriedigend, wenn ihr Fanvideo mit den zehn Sekunden Ariana Grande auf Antrag ihrer Produzenten zwei Stunden nach dem Upload gelöscht würde. Rechtssicherheit sieht anders aus. Zudem: Wer gegen die Bedingungen der Pauschallizenz verstößt, kann auch weiterhin direkt in Haftung genommen werden – niemand schreibt den Rechteverwertern vor, ihre Rechnungen ausschließlich an YouTube zu schicken.

Dass der vermeintliche CDU-Kompromiss keines der konkret kritisierten Probleme von Artikel 13 löst, merkt man sehr schnell, wenn man sich gedanklich von YouTube und Musikvideos aus dem Katalog der GEMA löst. Was mag wohl die zulässige Abspiellänge für ein Foto sein? Oder eines Kunstwerks? Oder bei Texten: Wird da die großzügig gewährte Pauschallizenz nicht durch etabliertes Zitatrecht bei weitem übertroffen?

Zudem: Was ist mit Plattformen, die nicht YouTube sind: Webforen, Lehrstoffsammlungen oder beispielsweise Wikimedia Commons? Kann sich eine unkommerzielle Plattform oder eine kleine kommerzielle Plattform einen Pauschaltarif leisten, der wie das zugrundeliegende Gesetz alleine im Hinblick auf YouTube geschrieben wurde? Verschenken dürfen die Verwertungsgesellschaft die Lizenzen ihrer Mitglieder nicht, wie zum Beispiel die GEMA-Lizenzen für Podcasts zeigen: Jeder Preisnachlass muss mit enormen Einschränkungen bezahlt werden. Für eine Plattform mit viel Traffic, aber wenig Umsatz würde das bedeuten, dass die Umsetzung letztendlich mehr kostet als die Pauschalzahlungen.

Kurzum: Die CDU feiert sich, als sei ihr die Quadratur des Kreises gelungen. Bei allem Bemühen: Was sie geschaffen hat, ist effektiv nur eine große Nebelkerze. (tiw)