Doch keine Zeitmaschine

Aufgeregte Berichte über eine angebliche Umkehr der Zeit auf einem Quantencomputer sind weit entfernt von korrekt. Und sie könnten dem gesamten Forschungsgebiet Schaden zufügen.

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Doch keine Zeitmaschine

(Bild: Photo by Djim Loic on Unsplash)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Konstantin Kakaes
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Wenn Sie immer glauben, was im Internet steht, dann gab es dort vergangene Woche Spannendes für Sie zu lesen. Eine Auswahl aus den Schlagzeilen: Wissenschaftler kehren in Quantencomputer die Zeit um (Newsweek), Wissenschaftler nutzen IBM-Quantencomputer, um Zeit umzukehren, brechen möglicherweise Gesetze der Physik (Discover) oder Wissenschaftler haben die Zeit zurückgedreht – Zurück in die Zukunft wird wahr bei Cosmopolitan.

Der Auslöser für all die Aufregung war ein Fachaufsatz in Scientific Reports mit dem provokativen Titel "Der Zeitstrahl und seine Umkehr im IBM-Quantencomputer". Darin berichteten die Autoren von einem Experiment, das nach ihren Worten neue Forschungsmöglichkeiten zur "Untersuchung von Zeitumkehr" eröffnet. Wenn Sie nicht ganz verstanden haben, wie die Wissenschaftler einen solchen kontraintuitiven Trick bewerkstelligt haben, müssen Sie sich keine Sorgen machen: Das haben sie gar nicht.

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Einige einfache physikalische Modelle sind zeitsymmetrisch. Nehmen wir eine idealisierte Version des Kreisens der Erde um die Sonne, in der beide perfekte Kugeln sind. Wenn man dieses System im normalen Zeitverlauf betrachtet, dreht sich die Erde im Uhrzeigersinn. Bei „umgekehrter“ Zeit würde sie andersherum kreisen. Beides ist gleichermaßen realistisch. Oder die Kollision von zwei Billardkugeln: Ein Video davon kann man vorwärts oder rückwärts abspielen, und immer erscheint das Geschehen physikalisch plausibel.

Die echte Welt aber sieht anders aus. Wenn sich Dinge im Zeitverlauf vorwärts abspielen, sehen sie anders als, als wenn die Zeit umgekehrt würde. Das gilt in vieler unterschiedlicher Hinsicht, unter anderem deshalb, weil die Entropie (sehr grob gesagt ein Maß für Unordnung) zunimmt. Dies ist sowohl ein physikalisches Gesetz als auch intuitiv einleuchtend. Wenn die Forscher also keine Zeitreisen erfunden haben, was haben sie dann gemacht?

Stellen Sie sich vor, Sie würden bei einem Video auf "Rücklauf" drücken. Das kehrt auf gewisse Weise den Verlauf der Zeit um. Wenn Sie es nie zuvor gesehen haben, ist es irgendwie interessant. Vielleicht sehen Sie dann Sachen, bei denen scheinbar "der Zeitstrahl umgekehrt" wurde – Dampf strömt zurück in einen Teekessel oder aus einem Gewirr von Bruchstücken setzt sich die Comic-Figur Humpty Dumpty zusammen. Der viel beachtete Fachaufsatz beschreibt eine Quantencomputer-Version eines solchen rückwärts laufenden Videos.

Eine bessere Analogie dafür ist eine Linse, wie man sie in Teleskopen, Mikroskopen oder Brillen findet. Sie kann genutzt werden, um Licht zu fokussieren – also die Streuung von Licht "umzukehren". Die Autoren des Aufsatzes arbeiten am Moskauer Institut für Physik und Technologie, am Argonne National Laboratory in Illinois und an der ETH Zürich. Nach ihren Angaben könnte das Verfahren nützlich für das Testen von Quanten-Programmen sein, was auch stimmt. Aber es ist weitaus weniger aufregend als eine Zeitmaschine.

Fokus: Quantentechnologie

"Wenn man auf dem Computer einen zeitlich reversiblen Prozess simuliert, kann man 'die Richtung der Zeit umkehren', indem man schlicht die Richtung der Simulation wechselt. Nach einem kurzen Blick auf den Aufsatz muss ich gestehen, dass ich nicht verstanden habe, warum das grundlegender sein sollte, wenn man für die Simulation einen IBM-Quantencomputer verwendet“, sagt Scott Aaronson, Leiter des Quantum Information Center an der University of Texas.

Andere Experten für Quantencomputer äußern sich auf Nachfrage ähnlich. "Ich weiß nicht, wie nützlich das ist", sagte einer, der anonym bleiben möchte. "Es bedeutet nicht, dass die Kollegen eine Zeitmaschine gebaut haben. Mit Sicherheit haben sie nicht die Gesetze der Thermodynamik oder der Physik verletzt." Derlei Hype sei schlecht für den Ruf von Quantencomputing, fügte er hinzu.

Tatsächlich dürften übertriebene Überschriften dem Forschungsgebiet nicht dienlich sein. Sie beschädigen die Wissenschaft insgesamt, indem sie der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln, sie sei so verwirrend, dass kein normaler Mensch sie verstehen kann. Schon ohne sensationslüsterne Ausschmückung ist es schwierig genug, die Paradoxe zu erklären, die es in der Quantenmechanik tatsächlich gibt. Die Zeit läuft, ob uns das gefällt oder nicht, einfach weiter.

(sma)