Gelbwesten als "Aufrührer": Militär soll helfen

Soldaten der Sentinelle nach den Anschlägen im Januar 2015. Foto: Claude Truong-Ngoc / Wikimedia Commons / cc-by-sa-3.0

Die französische Regierung will bei Demonstrationen Einheiten der Anti-Terrortruppe zur Bewachung von Gebäuden einsetzen. Die Ankündigung löst "lebhafte Erregung" aus

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Die französische Regierung hat beschlossen, Einheiten der Armee bei den Gelbwesten-Protesten am kommenden Wochenende einzusetzen. Die Neuigkeit über den Einsatz der Streitkräfte im Inneren provoziert "lebhafte Erregung", konstatiert Le Monde.

Dort bemüht man sich, die Eskalation der eingesetzten Mittel gegen einen Protest, der in den Augen der Regierung aus dem Ruder gelaufen ist, in einem möglichst beschwichtigenden Rahmen einzuordnen. Die Einheiten der "Sentinelle" sollen nur unterstützen, ihr Einsatz sei "statisch", sie würden lediglich die Bewachung von Gebäuden und wichtigen Monumenten, wie etwa den Triumphbogen, verstärken und dies in den meist Fällen entfernt von den Demonstrationsrouten.

Politische Signale, die dramatisieren

Ähnliche Einsätze habe es schon bei früheren Demonstration gegeben, so die Zeitung zur Entscheidung der Regierung. Neu sei lediglich die Ankündigung, bislang habe man solche Vorhaben nicht schon im Vorhinein bekannt gegeben.

Zum Bild dieser Beschwichtigung passt aber einiges nicht wirklich: Die Militäreinsatz der "Sentinelle" ist mit Terrorabwehr begründet; er geht auf die "islamistischen Anschläge auf die Satirezeitung 'Charlie Hebdo' und auf einen jüdischen Supermarkt im Januar 2015 in Paris zurück" (Spiegel).

Die Gelbwesten sind aber keine "reale und unmittelbare Bedrohung für das Leben der Franzosen", wie etwa Jean-Dominique Merchet entgegnet, ein in Franchreich bekannter Kommentator der Sicherheitslage. Er ist nicht der Einzige, der Bedenken äußert.

Die Regierung in Paris benutzt neuerdings, wenn es um die Gilet-jaunes-Demonstranten geht, noch deutlicher ein Vokabular, dass diese in die Nähe von Staatsfeinden rückt.

Der Staatssekretär des Inneren, Laurent Nuñez, spricht nun - im Einklang mit Innenminister Christophe Castaner - von "Aufrührern": "Wir gehen vom Prinzip aus, dass diese Versammlungen Versammlungen von Aufrührern sind, die nichts anderes im Sinn haben, als Unruhen zu verursachen und daher sofort aufzulösen sind ("ils seront dispersés immédiatement")".

Das Wort "disperser" wird auch mit "zersprengen" übersetzt, etwa von Truppen, und trifft damit das Martialische, das mit der Ankündigung einhergeht. Die gewalttätigsten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und den Ordnungskräften geschehen in der Regel meist beim Auflösen, oft am Ende der "Actes" der Gilets jaunes dem Abend zu. Für das Auflösen kommen sogenannte nicht-tödliche Waffen der Polizei zum Einsatz wie zum Beispiel Granaten, die schon mehreren Demonstranten Hände abgerissen haben. Opfer waren Demonstranten, die nicht randalierten.

Beachtlich sind auch die Zahlen, welche die Regierung nennt, um die Verstärkung der Ordnungskräfte durch Militäreinheiten zu begründen oder zu legitimieren. Nuñez spricht davon, dass es vergangenen Samstag nicht 1.500, sondern 10.000 sogenannte "casseurs" (Randalierer) gewesen seien und er verallgemeinert: "Die Gesamtheit der Personen auf öffentlichen Straßen waren von sehr schlechten Absichten bewegt und haben dies sehr bald gezeigt". Damit habe er eine Formulierung seines vorgesetzten Innenministers wiedergegeben, so die Zeitung Sud Ouest.

Nach den Gewaltausschreitungen beim Acte 18 am vergangenen Samstag waren sogar noch höhere Zahlen von Randalierern genannt worden. Macron, der großzügig mit Zahlen umgeht, um die antidemokratische und antirepublikanische Gefahr der Gelbwesten zu beschwören (Gelbwesten von 40.000 bis 50.000 Ultra-Aktivisten infiltriert), hatte angekündigt, dass die Sicherheitskräfte am kommenden Wochenende entschiedener vorgehen würden.

Orwell

Der Pariser Polizeipräfekt wurde entlassen. Ihm wurde die Verantwortung für die "Dysfunktion" der Arbeit der Ordnungskräfte am vergangenen Samstag zugeschrieben; laut unterschiedlichen Berichten hatte der Präfekt einen zurückhaltenden Gebrauch der Polizeiwaffen nahegelegt. Für die kommenden Demonstrationen wurde eine "ganze Artillerie" (Libération) an orwellianischer Maßnahmen angekündigt, die auf der Grundlage neuer Gesetzgebung ("loi anticasseur") legitimiert sein sollen: Demonstrationsverbote für bestimmte Orte, spontane Auflösung von Demonstrationen, wenn sie verdächtige Tendenzen haben, vorläufige präventive Festnahmen, "Markierungen" von Verdächtigen mit chemischen Flüssigkeiten, Drohneneinsatz.

Der neuralgische Punkt

Nun auch noch die Armeeverstärkung … Neuralgischer Punkt ist der Kontakt mit Demonstranten, wie Le Monde erklärt. Als Prinzip gelte, es möglichst zu vermeiden, dass die Soldaten in direkten Kontakt mit Demonstranten kommen. Wer weiß, zu welchen Notwehr-Situationen es kommen könnte, wird angedeutet. In manchen Diskussionsbeiträgen zu anderen Artikeln über den Militäreinsatz wird die Möglichkeit, dass geschossen werden könnte, auch ausgesprochen.

Bei Le Monde wird darauf geachtet, dass die Seite der Regierung ausgiebig berücksichtigt wird. Dort wird etwa der Sprecher der Regierung Grievaux mit der Beruhigung zitiert, dass die Soldaten der Sentinelle für die Franzosen ein bereits gewohntes Bild in der Öffentlichkeit abgeben. Dass sie gut darin ausgebildet seien, Gebäude zu bewachen. Angedeutet wird im Artikel, dass viel Überwachung auch im Inneren der Gebäude stattfinden soll, was allerdings darauf schließen lässt, dass die Sache auch der Regierung nicht ganz geheuer ist.

Allerdings betont man in der Umgebung des Ministerpräsidenten Edouard Philippe, dass der Einsatz des Militärs keinerlei "politische Signifikanz" habe, das sei "rein technisch". Regierungssprecher Griveaux betonte, dass man es nicht zulassen würde, dass das Image Frankreichs nach Außen zugrundegerichtet werde. Bemerkenswert ist, dass er bei dieser Aussage wiederum von einer "winzigen Minderheit" spricht, die für den Ansehensverlust verantwortlich sei.

Kritik an den Einsatzplänen kommt nicht nur aus den Reihen der Gelbwesten oder ihren Unterstützern, sondern auch von Beobachtern. Mit solchen hochgradig symbolischen Entscheidungen, wie dem Einsatz einer Anti-Terror-Einheit gegen Demonstranten gehe man besser nicht leichtfertig um, heißt es in der Runde von in Frankreich bekannten Kommentatoren zu Sicherheitsfragen. Zitiert wird auch die frühere Warnung eines Polizei-Experten, wonach die französische Regierung aufpassen solle, die Entwicklungen nicht zu dramatisieren. Man sei weit von Verhältnissen etwa in der Türkei entfernt.

86 Prozent für eine Neuorientierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik

Laut einer aktuelle Umfrage zur "Großen Debatte" liegen die Sympathiewerte für die Gilets jaunes bei 57 Prozent.

Sehr beachtlich ist, dass sich eine überwältigende Mehrheit für Kernanliegen der Proteste ausspricht: 86 Prozent der Befragten waren für eine Neuorientierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik. 78 Prozent waren für eine "Erneuerung der Institutionen und der Demokratie" und 64 Prozent für die Organisation eines Referendums "über eine oder mehrere Vorschläge, die in der großen Debatte gemacht wurde".

Bislang schaltet die Regierung auf stur. Von Macron gibt es keine politischen Ideen zur Bewältigung einer Krise, die ihm über den Kopf wächst (Hilflose Politik in Zeiten sozialer Spannungen).