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Was war. Was wird. Aus dem Tagebuch eines Urhebers.

An Kulturpessimismus herrscht kein Mangel dieser Tage. Hal Faber macht es wütend, wenn zukunftsfrohe Netzbürger als hohle Konzernapologeten verteufelt werden.

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Was war. Was wird. Aus dem Tagebuch eines Urhebers.

Die Bürger von Calais.

(Bild: Skulptur von August Rodin, Foto CC BY-SA 3.0)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Der von der Volkszählung inspirierte Anti-Computer-Aufkleber.

*** Als Journalist lebe ich seit 1985 hauptberuflich als freier Journalist vom Schreiben mal kurzer, mal langer Texte über das, was damals "die neuen Medien" genannt wurde. Da ging es um das verkabelte Leben und die Frage, was dieses neue Bildschirmtext mit den Familien anrichtet. Die Antwort damals: Orientierungsverlust und Erfahrungsverlust zerstören die Familie. Auf Autos prangte neben der Anti-Atom-Sonne mitunter die Plakette "Computermacht steigern? NEIN! Daten verweigern!" zusammen mit einer aus Tabellierpapier gestanzten Menschenschablone. Das, was heute "die Digitalisierung" genannt wird, war im vollen Gange. Man konnte gut von seinen Texten leben, denn der Bedarf an Texten, die den "Kollegen Computer" erklärten, war hoch. Zum Jahresende klackerten die Schreibmaschinen: Es galt, jeden einzelnen Text in die blauen, später rosafarbenen Formulare der Verwertungsgesellschaft Wort zu tippen und damit bei der VG Wort zu melden. Aus den Meldungen wurden die Ausgleichszahlungen für Vervielfältigungen berechnet, die sich aus den Zahlungen an die VG Wort im Rahmen der Fotokopierabgabe speisten. Das Geld ging zu gleichen Teilen an mich als Urheber und den Verlag als Verbreiter der urgehebten Texte. So war das in der guten alten Zeit (TM). Das Halbe-Halbe bei der Geldverteilung zwischen Urheber und Verlag galt übrigens nur für Fachverlage, wie der Heise-Verlag einer ist.

*** Heute sieht es anders aus. Heute klagen selbst fest angestellte, gutdotierte Journalisten großer Blätter: "Die Digitalisierung hat im eigenen Beruf schon viel Schaden angerichtet. Honorare und die Zahl der Arbeitgeber sind geschrumpft, Arbeitsaufwand und -zeit gestiegen, das Recht am eigenen Werk ist im Netz noch schwerer durchzusetzen als gegen Verleger und Medienhäuser." Das Ganze wird gerne mit Binsen garniert wie der Bemerkung, dass man doch von der eigenen Arbeit leben müsse oder dass das Wort "Upload-Filter" gar nicht im Vorschlag über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt steht, gegen den an diesem Wochenende europaweit demonstriert wird. Das stimmt, wenn man nur die Buchstaben zählt, geht aber Thema geschrumpfter Honorare und Werkrechte vorbei. Denn es ist der Passus über die Verwaltungsgesellschaften wie der deutschen VG Wort, der die ganze Misere illustriert und erklärt, warum die bei Verlagen festangestellten Journalisten samt und sonders durchdrehen und gleich vom "Uploadfilter im Kopf der Kapitalismuskritiker" faseln (Frankfurter Allgemeine Zeitung). "Die Mitgliedstaaten sollten gemäß ihren nationalen Regelungen frei festlegen können, wie Verlage ihre Ansprüche auf eine Ausgleichsleistung oder Vergütung zu begründen haben, sowie die Bedingungen für die Aufteilung dieser Vergütung oder Ausgleichsleistung zwischen Urhebern und Verlagen." An erster Stelle stehen hier die Verlage und ihre Ansprüche, im Nebensatz erst kommt die Ausgleichsleistung zwischen den Verlagen und den Urhebern. Das gibt zu denken.

*** Wie sieht das heute aus? Diese kleine Wochenschau kommt mit einem Session Cookie, einem Zählpixel der VG Wort, gesetzt vom CMS, später zur Meldung bei der VG Wort abgeschickt vom Heise-Verlag. In der VG-Abrechnung kommen dann rund 1000 Euro pro Jahr zusammen, was von der Zahl der Leser abhängt, die das WWWW lesen. Die charmanteste und beste Erklärung kommt vom freien Journalisten Ulf Froitzheim und sie sei für den Fall der Fälle raubmordkopiert, dass der vom Leser genutzte Browser sie wegen irgendeiner Cookie-Einstellung nicht zeigt: "Willkommen in meiner Wortpresse. Ich muss Sie gemäß Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) warnen - nicht vor mir, sondern vor allem vor Google (s.u.), aber auch vor zwei Kleinigkeiten. Zuerst zu diesen: Ich setze auf diesen Seiten zwei Software-Komponenten (Wordpress-Plugins) ein, die Cookies setzen. Das eine kommt witzigerweise just von dem Plugin, das Sie gerade sehen, weil es Sie über Cookies informiert. Dieses Cookie dokumentiert die Tatsache, dass Sie den Cookie-Hinweis angezeigt bekommen haben; es hat eine Lebensdauer von nur einer Stunde, weniger kann ich nicht einstellen. Diesen Aufwand muss ich aufgrund der DSGVO leider treiben, denn ich setze harmlose Session-Cookies ein, die es der Verwertungsgesesellschaft Wort erlauben, die Zugriffe auf Texte zu zählen; wenn genügend unterschiedliche Personen dieselbe Seite lesen, bekomme ich von der VG Wort Tantiemen. Das macht mich nicht reich, aber warum sollte ich auf Geld verzichten, das mir von Gesetz wegen zusteht? Und was passiert da genau? Also: Session-Cookies sind kleine Informationseinheiten, die vollautomatisch im Arbeitsspeicher Ihres Computers abgelegt werden. Sie enthalten eine zufällig erzeugte eindeutige Identifikationsnummer, eine sogenannte Session-ID. Wie alle Cookies enthalten sie Angaben zu ihrer Herkunft und Speicherfrist. Session-Cookies können keine anderen Daten speichern. Diese Zugriffssmessungen werden von der INFOnline GmbH nach dem Skalierbaren Zentralen Messverfahren (SZM) durchgeführt. Sie helfen dabei, die Kopierwahrscheinlichkeit einzelner Texte zur Vergütung von gesetzlichen Ansprüchen von Autoren und Verlagen zu ermitteln. Über diese Cookies werden keine personenbezogenen Daten erfasst."

*** Ulf Froitzheim sei auch deswegen verlinkt, weil er den Artikel 12 erklärt, um den es hier geht. Denn wenn der Artikel durchkommt, gilt es die Verlegeransprüche und die Quote neu zu verhandeln, mit der die Ausschüttung berechnet wird. Aktuell liegt sie längst nicht mehr bei 50/50, sondern ist nach einem Gerichtsurteil gesenkt worden und liegt bei 30 Prozent für den Verlag und 70 Prozent für den Autor. Ich habe die Befürchtung, dass die Verlage versuchen werden, die alte Quote zu restituieren. Andere gehen noch viel weiter und befürchten, dass den Verlagen das uneingeschränkte Recht eingeräumt wird, die Quote selbst zu bestimmen. Ulf Froitzheim, der als Vertreter der Journalisten die Quote für die Urheber verhandeln dürfte, ist da viel optimistischer: "Da auch die wissenschaftlichen Autoren keineswegs alle bereit sind, den Verlegern noch so viel abzugeben wie 'vor Vogel', werden Autoren und Verlage gemeinsam ein Modell entwickeln müssen, das für beide Seiten akzeptabel ist, also weder auf alter Höhe noch bei Null liegt.

*** Über den Rest der Reform des Urheberrechtes mit seinem handwerklich vergurkten Artikel 13/17 ist in dieser Woche viel geschrieben und noch mehr übertrieben worden. Selbst die katholische Kirche kommentierte das weltliche Treiben, auch wenn die Agentur den Kommentar verdrehte, der Uploadfilter in die Hölle verbannte. Ja, ausgerechnet die Deutsche Presse Agentur (dpa), sonst eher der sachlichen Berichterstattung verpflichtet, veröffentlichte einen Aufruf, der mit blanker Hysterie endet: "Die Verabschiedung dieser Richtlinie ist eine Frage von Leben und Tod für die Medien und entscheidend für das Überleben vieler Künstler und Autoren." Eine Frage von Leben und Tod, die gleich für alle Medien gilt und selbstverständlich auch für das freie Internet, wie es von Medien und Mediennutzern gleichermaßen geprägt ist, das zeugt von einem Kulturpessimismus, der die eigene Rolle viel zu hoch ansiedelt. Geht es noch höher? Aber ja doch. Die Zeit veröffentlichte einen fiktiven Dankesbrief von Jaron Lanier, der angeblich mit den europäischen Piratenparteien abrechnet, die die "Linken" unschädlich gemacht haben sollen. Gleichzeitig hätten sie das Urheberrecht zertrümmert und damit den Mächtigen im Silicon Valley in die Arme gespielt, die Massendaten brauchen, um ihre bald weltbeherrschende Künstliche Intelligenz zu verbessern. Dass die Piraten in vielen Ländern Europas längst Geschichte sind, scheint Lanier nicht zu wissen. Möglicherweise schließt er aber auch von der klugen Piratin Reda auf die Existenz einer großen Bewegung. Dann dürfte ihn der nächste Schritt nachhaltig wundern: Julia Reda geht ans MIT Media Lab, um bei Joi Ito zu promovieren, der gerade über Ethik und KI forscht.

Ethik bestimmt das sittliche Handeln der Menschen unter der Voraussetzung, dass Menschen zwischen Gut und Böse unterscheiden können. Dazu braucht es ein gewisses Alter und Lebenserfahrung. Manchmal werden auch übernatürliche Wesen bemüht, die Gut und Böse in einer Religion verpacken. In den nächsten Tagen will das Bundesinnenministerium, das in dieser Woche seine stolze Bilanz präsentierte, sich daran machen, dass der Verfassungsschutz Kinder ins Visier nehmen darf. Offensichtlich hat man im Ministerium den neuen Dokumentarfilm Of Fathers and Sons - Die Kinder des Kalifats vorab gesehen und hat sich entschlossen, zu stigmatisieren, was nur irgend stigmatisiert werden kann. Passend dazu kommt die geplante Erlaubnis, Flüchtlings-Smartphones von Jugendlichen präventiv mit Trojanern überwachen zu lassen. Wir wollen frühzeitig wissen, wer gut und böse ist.

Copyright 1977 Kurt Gscheidle, Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, Bonn

Das ganze Überwachungs-Arsenal im Namen der Sicherheit macht aus unserer Republik noch keinen Überwachungsstaat, iwo. Schließlich gibt es auch Verbesserungen zu vermelden, jawohl. Es gibt keine Videoüberwachung mehr, nur noch die viel sanftere Videobeobachtung, mit der Straßen und Plätze "videogeschützt" werden. Big Brother ist ein liebevoller Opa für die kleinen Racker. Da muss man sich glatt ganz doll mitfreuen, dass passend dazu aus Marc-Uwe Klings Qualityland in den USA eine TV-Serie gemacht wird, die von Mike Judge kreiert wird. So schön kann Zukunft sein. (jk)