Zahlen, bitte: Von Zahlen, Sandzahlen und Zeichen

Der Kosmos ist endlich, und man kann die Zahl der Sandkörner angeben, die ihn füllen würden, sagte Archimedes. Aber wie schreibt man das auf?

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Zahlen, bitte: Von Zahlen, Sandzahlen und Zeichen
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Von
  • Martin Lang
Inhaltsverzeichnis

Wir schreiben 2ⁿ, und aᵢ. Aber wenn diese Funktionen in sich wiederholt ("iteriert") werden, wird es schwierig. Für die berühmten Mersenne'schen Zahlen, etwa (2²^2)+1 für den Fall des konstruierbaren Siebzehnecks, allgemein für n findet man nicht ohne weiteres was im Schreibprogramm. Wäre es da nicht besser, man würde sowohl 2ⁿ also auch aᵢ linear schreiben als 2(n) und a(i)? Dann ließen sich auch Mersennes Zahlen einfacher ausdrücken als 2(2(n))+1.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Dagegen gibt es Einwände: Es wird schon konventionell das Multiplikationszeichen weggelassen, also statt a•b wird einfach ab geschrieben, so dass 2(3+5) nicht als 2⁸ = 256 gelesen wird (werden könnte), sondern als 2•8 = 16. Sollten wir die lineare Schreibweise unseres Computer- und Sonstwie-Alltags nicht akzeptieren, und die Schreibweisen 10(n(2)) als 10(hoch n(hoch2)) alias 10ⁿ^2 zulassen, statt immer bloß das Malzeichen einzusparen?

Einwand 2: Die schöne polnische klammerfreie Schreibweise zum Beispiel •ab, hat den Nachteil, dass sie so tut, als bräuchte sie keine Trennzeichen. Nun hat aber unsere gewöhnliche Zahldarstellung ("Gleitkomma") schon ein Trennzeichen, nämlich das Komma: 0,015 meint standardmäßig 1,5•10⁻², also lässt sich nicht analog Cpq für p impliziert q klammerfrei schreiben. Auch die Einführung eines Kommas in der polnischen Notation •a,b konfligiert mit der obig erwähnten Gleitkommaschreibweise a,b•10ᶜ.

Nun ist das Trennzeichen Leerzeichen sehr anfällig: Anders als in Buchstabentexten können wir meist eine Trennung vornehmen (wohl kaum wirm eist, sondern wir meist, schon eher wirme ist, aber was ist wirme?), bei Zahlen sind wir fast hilflos, weil sie keine redundanten Informationen enthalten (es ist die Zahl, oder eben nicht).

Der Vorschlag, unser historisch gewachsenes Zeichensystem in einigen Kleinigkeiten zu verändern, geht Propheten der Wissenschaft leichter von der Hand, und wird akzeptiert ("nobelisiert"): Multipliziert man unendliche Potenzreihen miteinander

so stellt sich das Resultat folgendermaßen dar (vgl. Cauchy-Faltung):
cₖ = bₖ₋ᵢ) oder suggestiver ),
bei letzter Formel wird stillschweigend vorausgesetzt, dass i und j natürliche Zahlen zwischen 0 und k sind.

Auf der nächster Stufe lässt man das sperrige Summationszeichen Σ weg, und schreibt einfach nur aᵢ ·bⱼ
Die sowieso reichlich komplizierte Allgemeine Relativitätstheorie wird mit dieser Einsteinschen Summenkonvention wenigstens nicht komplizierter von der Form her.

Kommen wir auf den Anfang zurück, zur Iteration der Exponentialfunktion. In der Literatur ist Archimedes der erste, der so was hingekriegt hat, in seiner Schrift Über die Sandzahl. Archimedes zeigt die Kraft der Zeichen, indem er beide Extreme, die "ungefähr" vertreten werden, ablehnt: nämlich, dass der Kosmos "unendlich" sei, oder dass er zwar endlich sei, man aber die Zahl der Sandkörner nicht angeben könne, die ihn füllen würden. Der Kosmos ist endlich, UND man kann die Zahl der Sandkörner angeben, die ihn füllen würden.

Er beschäftigt sich zunächst mit den Größenverhältnissen von Mohnsamen, Sandkörnern, der Erde, der Erde-Sonne-Entfernung, der Größe der Sonne und dem Fixsternfirmament, alles im Rahmen dessen, was man im Geometrie-Unterricht der Schule über Kreis und Kugel erfahren hat. Das Ganze natürlich im antiken geozentrischen "Weltbild". Dann kommt der entscheidende Schritt: wie wir beim aufmerksamen Gang durch unsere Städte an bestimmten Gebäuden bemerken, gibt es römische Zahlen, I, V, X, C, M, mit Myriaden (=10000) hat es dabei sein Bewenden, mehr geht nicht. Wenn die "Alten" ausflippen wollten, raunten sie was von Myriaden von Myriaden, alias 100.000.000.

Zeichen dafür gab es keine. Wozu auch, solche Mengen gab es einfach nicht, das waren bloß rhetorische Märchen. Was ist eine Einheit? Eine Einheit ist eine Einheit, die wir zur Einheit erklärt haben. Die unvorstellbar große Zahl Myriaden-von-Myriaden ist die für Archimedes neue Eins der zweiten Periode von Zahlen (wie wir seit dem 17. Jahrhundert die "riesige" Entfernung Erde-Sonne als neue "astronomische Einheit" (AE) verwenden, (500 Sekunden)×(300 000 km/sec) ~ 1,5•10¹¹ m, ein Lichtjahr ist ungefähr 10¹⁶ m.

Die zweite Periode liefe modern ausgedrückt bis < 10⁸×10⁸ = 10¹⁶. Das ist freilich Zufall. Archimedes schraubt sich bis < 10⁶⁴ (achte Periode) hoch, womit er in unserem Sinne die Sandkörner des Sonnensystems jedenfalls "gut" ausgezählt hat: Geben wir einem Sandkorn einen mm Durchmesser (im Durchschnitt), nehmen wir die Entfernung ¹⁄₂ (Sonne-nächster Fixstern), ~3 Lichtjahre, dann ergibt sich (310¹⁶10³×4π/3 ~ 10⁵⁹. Er liegt gar nicht so falsch, der Ingenieur Archimedes. Auch das ist Zufall, weil die Voraussetzungen unvergleichbar waren.

Diese Rechnerei übertreibt gewaltig die irdischen Verhältnisse: das Universum hat unseren gegenwärtigen Theorien zufolge die Dichte eines extremen Hochvakuums, beschränken wir unsere "Sandzahl" auf die Erdkugel mit Sand gefüllt, so kommen wir auf (610³10³10³)³×4π/3 ~ 10³⁰, das schafft schon die 4. Periode des Archimedes.

Das Volk hat selbstverständlich Archimedes' Sandzahl immer neu erfunden, zum Beispiel bei der Inflation des französischen Franc im 20. Jahrhundert. Nach Abwertungen und Nullenstreichungen gab es verschiedene Einheiten: die alten Francs wurden neue Centimes, aber die alten Leute rechneten weiter in alten Francs, ohne "alt" zu sagen: so ergab sich als neue Einheit "une brique" (ein Stein, ein Brocken, eine Kartoffel), im Werte von einer Million alten Francs, sprich 10.000 neue Francs, sprich 1600€). Als sinnig-sinnloses Geschenk gab es in Frankreich zeitweise ein brique aus zerschnibbelten, zusammengeklebten alten Francs-Scheinen im "Wert" von einer halben-Million-Euro. So wird Archimedes' Sandzahl anschaulich. (mho)