re:publica: Hybride Kriegführung in Sozialen Medien

Was früher Radiosender wie RIAS Berlin und Radio Free Europe für den Osten waren, ist heute das Geschäft von Medien wie Ruptly und Redfisch für den Westen.

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re:publica: Hybride Kriegführung in sozialen Medien
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Von
  • Detlef Borchers

CCC-Sprecher Frank Rieger beschäftigte sich auf der re:publica in Berlin mit dem, was er "das Eindringen von Cyber in den politischen Raum" nannte und als "hybride Kriegführung" definierte. In den sozialen Medien arbeiten demzufolge Meinungsagenturen daran, die öffentliche Stimmung mit Berichten so zu beeinflussen, dass "alternativen Wahrheiten" geglaubt werden. Seine Zuhörer im vollbesetzten Saal forderte Rieger auf, die großen Sozialen Medien zu verlassen, in denen dies passiert und die Kommunikation "in (halb)geschlossene Benutzergruppen mit freundlichen, vertrauenswürdigen Menschen", etwa auf Mastodon zu verlagern.

In der Fortsetzung seines zusammen mit Constanze Kurz verfassten Buches zum Cyberwar versuchte CCC-Sprecher Frank Rieger die Disruptions-Taktik von Medien wie Ruptly, Redfish oder Russia Today zu erklären. Sie nehmen randständige Themen auf und nehmen sie, um Zweifel im Westen zu erzeugen, wie dies im Kalten Krieg von Sendern wie Radio Free Europe Richtung Osten versucht wurde.

CCC-Sprecher Frank Rieger warnte vor der "hybriden Kriegführung" in sozialen Medien.

(Bild: Detlef Borchers)

Als Kronzeugen für diese Taktik zitierte Rieger den einflussreichen russischen Regierungsberater Vladislav Surkov, der Putins Medienstrategie in einem Artikel erklärte. "Nach den desaströsen 90er-Jahren bewegte sich Russland weg von all den geborgten Ideologien, entwickelte seine eigenen Ideen und Identität und begann im Gegenzug, den Westen zu attackieren."

Zunächst hätten Medien wie Russia Today objektiv berichtet, doch nach und nach eine eigene Sichtweise eingenommen. Als Beispiel für diesen Spin nannte Rieger die Berichterstattung über "Fridays for Future", über die Ruptly als erste Agentur berichtete. Nicht der Klimakollaps, sondern der Gegensatz zwischen Kindern und Politik stand im Zentrum der Berichterstattung.

Nicht wenige Menschen setzen auf diesem Spin auf und verbreiten eigene Wahrheiten wie die Flat Earth-Theorie. Reality Is What You Can Get Away With, mit diesem Bonmot des US-amerikanischen Autors Robert A. Wilson hätten westliche Erklärer und Experten ihre Schwierigkeiten, behauptete Rieger. Stattdessen würden sie zu wissenschaftlichem Unsinn wie dem Botometer greifen und die Existenz von Social Bots postulieren, die Meinungsverfälschung betreiben. "Ein Großteil dieser Bots sind Menschen, die tatsächlich 200 Tweets zu einem Thema absetzen," erklärte Rieger.

Die Konsequenz daraus sei, dass Soziale Medien nicht für den politischen Diskurs und die Meinungsbildung geeignet sind. "Wir müssen über Manipulationsmacht reden und wie wir sie regulieren beziehungsweise verhindern können."

Als fundamentalen Fehler machte der Cyberwar-Experte die Verwischung des Unterschiedes zwischen der Individualkommunikation und der Publikkommunikation verantwortlich, die von den sozialen Medien betrieben werde. Diese stets leicht und ständig konsumierbare Kommunikation müsse aufgegeben werden, weil sie dafür sorge, dass die Verbreitung von Hass ein profitables Geschäft sei. Dagegen würden kleinere Gruppen helfen, die im Konsensus gebildet werden. "Vielleicht liegt die Zukunft in (halb)geschlossenen Benutzergruppen mit freundlichen, vertrauenswürdigen Menschen", schloss Rieger seinen Vortrag unter Verweis auf das verteilte Kommunikationsmodell von Mastodon. (olb)