Das System braucht den Krieg, um noch funktionsfähig zu sein

Bild: DoD

Der permanente Krieg könnte der Hauptgrund für die seit Jahren zu beobachtende mediale Formierung sein

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Ulrich Teusch analysiert seinem neuen Buch aktuelle und historische Propagandastrategien und beleuchtet die Interessen der Kriegsverkäufer in Politik, Wirtschaft, Militär und Medien. Am Dienstag, den 21.5., ist er Gast beim Telepolis-Salon auf der Alten Utting zum Thema "Desinformationskriege und kriegsvorbereitende Propaganda.

In einer idealen Welt wäre Politik gleichbedeutend mit Friedenspolitik. Politiker würden alles in ihrer Macht und Kraft stehende tun, um den äußeren und inneren Frieden zu sichern. Den äußeren Frieden durch Diplomatie, Respekt vor dem Völkerrecht, Vertragstreue, Multilateralismus, Institutionenbildung, Friedenserziehung, Abrüstung und Rüstungskontrolle, vertrauensbildende Maßnahmen, Austausch von Menschen und Ideen, Entwicklungshilfe, Interessenausgleich. Den inneren Frieden durch größtmögliche Liberalität und Toleranz, Offenheit der Diskurse, demokratische Mitsprache und Mitbestimmung, rechts- und sozialstaatliche Sicherheit, Verteilungs- und Chancengerechtigkeit.

Doch wir leben nicht in einer idealen Welt. Wir sind - global betrachtet - von Friedenszuständen im Äußeren wie im Inneren weit entfernt und entfernen uns immer mehr.

Der Krieg zwischen der NATO und Russland hat schon begonnen. Noch fliegen uns zwar keine Raketen um die Ohren, aber wir befinden uns mitten in einem Wirtschaftskrieg, einem Cyberkrieg, einem hybriden Krieg, einem Propagandakrieg - auch einem Krieg mit militärischen Provokationen oder "Nadelstichen". Dort, wo man sich unmittelbar gegenübersteht, etwa in Syrien, bedarf es eines erheblichen Koordinationsaufwands (und manchmal auch beachtlicher Nervenstärke), um den direkten Konflikt und dessen Eskalation zu vermeiden.

Die Grenzlinien zwischen Kriegs- und Friedenszuständen werden immer poröser. Folgt man einem weitgefassten Kriegsverständnis, dann ist Krieg inzwischen zu einem Normalzustand geworden. Die westliche Führungsmacht führt seit 2001 permanent Krieg. Die politisch Verantwortlichen des Landes bezeichnen ihn als Generationenkrieg, langen Krieg, unendlichen Krieg. Krieg ist für die USA zum natürlichen Zustand geworden, zum Way of Life, zur Raison d'être. Das System braucht den Krieg, um noch funktionsfähig zu sein. Es ist einer "Kriegssucht" (Philip Giraldi) verfallen.

Krieg geht mit Kriegspropaganda einher, permanenter Krieg mit Kriegspropaganda in Permanenz. In Kriegen kommt es für gewöhnlich zu einer Quasi-Gleichschaltung der etablierten Medien. Und so ist der permanente Krieg möglicherweise der Hauptgrund für die seit Jahren zu beobachtende mediale Formierung. Unter einem Druck dieser Art wird der ohnehin schon enge Mainstream-Korridor zum Laufställchen. In einer solchen Konstellation kann nicht mehr über die Frage diskutiert werden, ob eine russische Bedrohung überhaupt existiert, sondern nur noch darüber, wie ihr am besten zu begegnen wäre.

Der Text wurde aus den jüngst im Westend Verlag erschienenen Buch: "Der Krieg vor dem Krieg. Wie Propaganda über Leben und Tod entscheidet" von Ulrich Treusch entnommen.

Weil der äußere Frieden gefährdet ist, ist es auch der innere. Und weil der innere Frieden gefährdet ist, ist es auch der äußere. Es entsteht eine negative Wechselwirkung zwischen internationalen Spannungen, Konflikten und Kriegen auf der einen Seite und innerstaatlicher Repression, Illiberalität und Demokratie-Erosion auf der anderen.

Wenn die internationalen Spannungen wachsen, wenn tatsächlich Kriegsgefahr be- oder entsteht, dann verschärfen sich auch die innenpolitische Tonlage und Gangart. Die Guten werden von den Bösen, die Freunde von den Feinden geschieden. Die ohnehin schon niedrige Toleranzschwelle gegenüber Dissidenten sinkt weiter ab. Alternativen Kommunikationskanälen, so sie denn größere Resonanz finden, droht Ungemach.

Selbst wer eine mittlere oder vermittelnde Position einnimmt und sich bemüht, die Dinge differenziert zu beurteilen oder nach Gemeinsamkeiten Ausschau zu halten, kann in die Bredouille geraten und als unsicherer Kantonist geführt werden. "Neutralismus" oder "Äquidistanz" lauteten die entsprechenden Vorwürfe im ersten Kalten Krieg, heute spricht man etwas plakativer von Putin- oder Russlandverstehern. Und wer gar das direkte Gespräch mit Vertretern der anderen Seite sucht und irgendwo in ihrer Begleitung erwischt wird, muss sich auf den Vorwurf der "Kontaktschuld" gefasst machen.

Es ist eine böse, alte Tradition: Ganz früher war von Ketzern oder Hexen die Rede, im 19. Jahrhundert dann von Unruhestiftern, Aufrührern, Demagogen, Gottesleugnern oder vaterlandslosen Gesellen. In der Weimarer Republik sprach man von Erfüllungspolitikern, in der Bonner Republik von Verzichtspolitikern. Man diffamierte Andersdenkende als Kulturbolschewisten oder Salonkommunisten, verortete sie in einer Fünften Kolonne oder unter den nützlichen Idioten. Man beschwor den Konsens und die Solidarität der Demokraten gegen die Verfassungsfeinde, empfahl Gesellschaftskritikern: "Dann geh doch nach drüben, wenn's dir hier nicht passt!", warnte vor den Sympathisanten des Terrors oder dessen geistigen Wegbereitern.

Man sonderte die guten Realos von den bösen Fundis oder Chaoten. Man war (und ist) schnell bei der Hand mit Vorwürfen wie Rassismus, Antisemitismus oder Antiamerikanismus. Wer unbequeme Fragen stellt, bringt "Hate Speech" oder "Fake News" in Umlauf. Und wer besonderes Pech hat, wird über Nacht zum Populisten (ob rechts oder links), zum Querfrontler oder Verschwörungstheoretiker erklärt.

Es ist immer das gleiche, öde Spiel. Die eigenen Reihen schließen - Störenfriede ausgrenzen. Ein denkbar primitives Verfahren. Vermutlich hätte man es schon längst aufgegeben, wenn es nicht immer wieder so schöne Erfolge zeitigen würde.

Desinformationskriege und kriegsvorbereitende Propaganda. Telepolis-Salon am 21. Mai auf der Alten Utting mit Ulrich Teusch.