Mobilisieren für die "Schicksalswahl"

EU-Parlament Straßburg. Foto: Diliff/CC BY-SA 3.0

Schlussrunde im EU-Wahlkampf: Salvini predigt nationales Pathos in Mailand, in Deutschland demonstrieren 150.000 für ein "soziales Europa"

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Der Wahlkampf zur EU-Parlamentswahl geht in die Schlussrunde; ab kommenden Donnerstag wird gewählt. Die Niederlande und Großbritannien machen den Anfang, in den meisten Ländern wird am Sonntag gewählt.

Die Wahlbeteiligung ist ein heikler Punkt, wie die Kampagne "diesmalwähleich.eu" auf der Webseite des Europaparlaments anschaulich macht, und damit zusammenhängend wird das Votum als Engagement für ein Europa propagiert, das über nationalistische Tendenzen obsiegt.

Auf der Webseite des Parlaments wird in den ersten beiden Sätzen eine gewisse Dringlichkeit angemahnt - "Diesmal genügt es nicht, nur auf eine bessere Zukunft zu hoffen. Diesmal müssen wir alle Verantwortung übernehmen" - die man zugespitzt im Begriff "Schicksalswahl" in Kommentaren, Appellen und Berichten wiederfindet. Die Wahl wird zum Lagerkampf stilisiert: EU-Befürworter gegen "Rechtspopulisten".

Das ist, wie jeder weiß, der mit den Argumenten und Fragen zu Souveränitätsrechten, der Einheitswährung Euro, den "verschiedenen Geschwindigkeiten" der EU-Länder, der Diskussion über den Binnenmarkt, über die Regelungen zugunsten der Banken nach der Finanzkrise, der Steuergesetze für große Konzerne, dem Lobbyismus und nicht zuletzt der Aufnahme und Verteilung von Asylsuchenden und Armutsflüchtlingen und der sozialen Gerechtigkeit einigermaßen vertraut ist, eine ziemlich grobkörnige Auflösung schwieriger Fragen in überschaubare Großformate, die in zwei sich einander gegenüberstehende Lager aufgeteilt werden.

An dieser Frontstellung haben beide Lager ihr Interesse, auch das rechte, wie es zum Beispiel das schablonenhafte, aufgehypte "Engagement" von Steve Bannon für die Nationalisten vorführt, das nah an religiösen Erweckungsgefühlen gestrickt ist und der von den rechten Nationalisten, wie etwa in Frankreich von Marine Le Pen als Lichtgestalt geradezu gefeiert wird. An Bannon werden vor allem rhetorische Erwartungen geknüpft, denen er etwa mit seiner Prophezeiung eines "politischen Erdbebens" gerne nachkommt.

Salvini: Wahl "zwischen Europa der Freiheit und einem islamischen Staat der Angst"

Am Samstag trafen sich bekannte Vertreter der Rechtsausleger der europäischen Politikszene in Mailand. Der italienische Innenminister Salvini, der momentan als erfolgreichster Rechtspopulist gilt, hatte u.a. Marine Le Pen und Geert Wilders eingeladen; bekanntester deutscher Vertreter war Jörg Meuthen von der AfD, aus Wien kam Georg Mayer von der FPÖ. Die FAZ zählt noch namentlich nicht eigens genannte Führer rechtspopulistischer Parteien aus Belgien, Dänemark, Finnland, Estland, Tschechien, der Slowakei und Bulgarien auf. Viktor Orbán fehlte.

Zehntausende sollen bei miserablem Wetter zur Veranstaltung auf dem Domplatz in Mailand gekommen sein, um einer "Offensive für Europa" beizuwohnen. Salvini, der in Italien weitaus bessere Umfragewerte als Macron - der sich wahlkampfstrategisch als Gegenspieler zu Salvini und Orbán positioniert - hat, präsentierte eine "Gegenvision", die von der deutschen Zeitung so zusammengefasst wird:

Er wünsche sich eine Rückkehr zu einer EU, wie es sie "vor den Regeln von Maastricht" gegeben habe: als man noch Ziele wie Wohlstand für alle und Vollbeschäftigung verfolgt habe statt die Mitgliedstaaten dem Brüsseler Bürokraten- und Finanzdiktat zu unterwerfen. Der von Merkel und Macron vorangetriebenen Idee einer immer tieferen Integration der EU stellte er die Idee einer Gemeinschaft souveräner Staaten entgegen.

FAZ

Salvini bringt dafür den Begriff einer "Konföderation" ins Spiel, in der die EU-Zentrale in Brüssel nur mehr begrenzte Kompetenzen haben soll. In den Bereichen "Landwirtschaft und Fischerei, Sicherheit und Migration, Wirtschaft und Bankwesen" sollen die EU-Mitgliedsstaaten selbst bestimmen. Klingt dies schon nach einfachen gut verkäuflichen Mustern, so legt der italienische Innenminister noch ein paar Scheite ins "Schicksalswahl"-Feuer: Die Europawahl bezeichnete Salvini als "Referendum zwischen Leben und Tod, zwischen Zukunft und Vergangenheit, zwischen einem Europa der Freiheit und einem islamischen Staat der Angst".

Mit solchen Überspanntheiten hofft er eine Sitzmehrheit im Straßburger Parlament für die noch zu gründende Fraktion der "Europäischen Allianz der Völker und Nationen" zu gewinnen (die elf Parteien, die mitmachen sollen, werden hier aufgezählt).

Wie stehts um die Europäische Solidarität?

Trotz der hanebüchenen Slogans befürchten viele einen "Aufschwung der Rechtspopulisten" bei der EU-Wahl, wie zu den Demonstrationen der Gegner der Nationalisten am Sonntag berichtet wird. Es gab Demonstrationen in "Berlin, Wien, Paris und London", berichtet der Spiegel. Die Tageschau stellte ihren Bericht unter die Überschrift: "Demo für soziales Europa".

Das Motto in Deutschland hieß: "Ein Europa für alle - Deine Stimme gegen Nationalismus". Laut Veranstalter gingen insgesamt 150.000 Teilnehmer in Berlin, Köln, München, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart und Leipzig auf die Straße.

Die Demonstrationen werden als Kontermobilisierung zum Treffen der Rechtspopulisten dargestellt. Dazu aufgerufen hat das Bündnis "Ein Europa für alle", das aus sich nicht weniger als 400 Initiativen zusammensetzt, genannt werden das Kampagnennetzwerk Campact, Greenpeace, Oxfam, kirchliche Organisationen, Gewerkschaften und Wohlfahrts- und Sozialverbände.

Man setzt auf "Solidarität", wie dies dann auch die SPD-Politikerin Nahles herausstellte. Sie kommentierte die Demonstrationen mit der Aussage, dass damit ein "soziales Europa, das zusammenhält" gemeint ist.