Menschen aus höheren sozialen Schichten neigen zur Selbstüberschätzung

Nach einer Studie werden sie auch dafür belohnt und gelten als kompetenter, wodurch die soziale Ungleichheit perpetuiert wird

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Wer sich an Vermögen und Macht der Reichen reibt und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich kritisiert, wird gerne mal als neidisch bezeichnet. Das Selbstbild der Reichen und Mächtigen ist, dass sie halt erfolgreicher und letztlich besser seien als diejenigen, die es nicht so weit gebracht haben und daran letztlich selber schuld sind. Sie schreiben sich das individuell zu, auch wenn Glück, Erbschaften, familiärer Bildungshintergrund, privilegierte Lebensweise etc. einen großen Teil des Erfolgs ausmachen. Ein gutes Beispiel dafür ist Donald Trump, der vorgibt, er habe seinen Reichtum aus wenig Geld als Selfmade-Mann aufgebaut, obwohl er von seinem Vater Milliarden erhalten hat und aufgrund seines Vermögens und seiner Herkunft auch immer Kredite erhielt (Donald Trump, der König der Schulden).

Dass es bei der Selbstüberschätzung der Reichen und Mächtigen nicht nur um eine Projektion der Underdogs handelt, bestätigt nun eine Studie, die im Journal of Personality and Social Psychology erschienen ist. Peter Belmi von der University of Virginia und Erstautor der Studie, stellt das eigentlich Offensichtliche heraus: "Vorteile erzeugen Vorteile. Wer in den oberen Schichten geboren wurde, wird wahrscheinlich in der Oberklasse bleiben, und viel verdienende Unternehmer kommen unverhältnismäßig oft aus gut gebildeten und arrivierten Familien."

Die Schicht oder Klasse formiert dabei die Einstellungen der Menschen über ihre Fähigkeiten, dabei überschätzen sich die Angehörigen der oberen Schichten, was von anderen mitunter als höhere Kompetenz eingestuft wird. Die Selbsteinschätzungen werden oft von Generation und Generation weiter gegeben und mit anderen Privilegien vererbt. Das wiederum zementiert die sozialen Klassen und verhindert die soziale Mobilität, die ja immer als Möglichkeit, von ganz unten nach oben zu kommen, also als der "amerikanische Traum", propagiert wird.

Aufgeblähtes Ego

Die Wissenschaftler haben vier Untersuchungen über die Hypothese einer Verbindung zwischen sozialer Klasse und Selbstüberschätzung in den USA und in Mexiko durchgeführt. In der ersten Untersuchung werteten sie Angaben von 150.000 mexikanischen Kleinunternehmern aus, die einen Kleinkredit über LenddoEFL (früher: Lenddo) beantragt haben. Dort wird über das in Singapur entwickelte Programm anhand zahlreicher Daten die Kreditwürdigkeit beurteilt. Die Antragsteller müssen also viele persönliche Daten über Einkommen, Bildung und gesellschaftlichen Status angeben und auch noch einen psychologischen Test ableisten.

Bestandteil ist ein kognitiver Test, bei dem den Bewerbern ein Bild gezeigt wird. Nach dem Drücken eines Knopfes verschwindet es, ein zweites Bild wird ausgegeben und die Bewerber müssen entscheiden, ob es mit dem ersten übereinstimmt. Nach 20 Runden sollten sie angeben, wie sie ihrer Meinung im Vergleich zu anderen abgeschnitten haben. Diese Frage wurde, sagen die Wissenschaftler, nur für die Studie eingefügt und soll nicht zur Einstufung der Kreditwürdigkeit verwendet worden sein. Der Test ermöglichte den Vergleich zwischen dem tatsächlichen Abschneiden und der Selbsteinschätzung auf dem Hintergrund der sozialen Schicht, des Einkommens und der Bildung. Die Auswertung bestätigte die Hypothese, dass Menschen, die aus höheren Schichten, ein höheres Einkommen und eine bessere Bildung kommen, im Vergleich zu Menschen aus den unteren Schichten sich selbst überschätzen.

Eine weitere Untersuchung sollte abklären, ob diese Korrelation auch für die USA zutrifft. Dafür wurden 433 Versuchspersonen online auf Amazon MechanicalTurk gefunden, die in drei Stufen an verschiedenen Tagen einen Persönlichkeitstest, einen Test zum Bedürfnis nach sozialer Geltung und einen Kognitionstest ausführten und Angaben über Einkommen und Bildung machten. Nach dem Kognitionstest wurden sie gefragt, wie gut sie ihrer Ansicht nach gegenüber anderen Versuchspersonen abgeschnitten haben und wie sie ihre kognitiven Fähigkeiten einschätzen. Auch hier wurde die Hypothese der Selbstüberschätzung der Angehörigen der oberen Schichten bestätigt. Versuchsteilnehmer mit besserer Bildung und höher gebildeten Eltern schnitten im Kognitionstest besser ab, diejenigen mit höherem Einkommen und dem höheren Statusbedürfnis waren nicht besser als die Angehörigen aus den unteren Schichten. Das ergab sich auch anhand eines weiteren Experiments, bei dem 1000 Nichtstudenten ein einfaches Spiel lösten.

Selbstüberschätzung wird belohnt

Und schließlich wurden 236 Studenten von den Wissenschaftlern ins Labor geholt, wo sie im ersten Schritt einen Persönlichkeitstest und ein einfaches Quizspiel machten und wieder gefragt wurden, wie sie ihrer Einschätzung gegenüber den anderen abgeschnitten haben. Gefragt wurde auch nach Einkommen und der Bildung ihrer Eltern. Im zweiten Schritt eine Woche später sollten die Versuchspersonen nach einer Anweisung vor einer Videokamera eine Bewerbungspräsentation für einen maßgeblichen Job bei Samsung machen, zur Motivation wurde die beste mit 100 US-Dollar belohnt. Und dann wurden diese Videos 900 Personen vorgespielt, die die Kompetenz der Versuchspersonen einstufen sollten. Wieder zeigten die Versuchspersonen aus höheren Schichten die übliche Selbstüberschätzung. Die aber wirkt sich auf die Selbstdarstellung aus, so dass sie tatsächlich als kompetenter beurteilt wurden, obgleich sie im Test nicht besser abgeschnitten hatten.

Die schichtenspezifische Ungleichheit reproduziert sich zumindest teilweise deswegen, so die Schlussfolgerung der Wissenschaftler aus ihren Ergebnissen, "weil schichtenspezifische Kontexte Menschen mit einer übertriebenen Überzeugung, dass sie besser als andere sind, bevorteilen und außenstehende Beobachter dieses falsche Selbstvertrauen als Beweis ihrer Kompetenz missverstehen." Um diese Ungleichheit - und Falscheinschätzung - zu vermeiden, müssten Institutionen Mechanismen entwickeln, um Kompetenz genauer zu erfassen.

Bewerbungsgespräche würden eher die Ungleichheit oder den Nachteil der Menschen aus unteren Schichten mit weniger aufgeblähten Egos fortsetzen. Festhalten aber muss man eben auch, dass sich selbst überschätzende Menschen andere beeinflussen können, die sie dann eben für kompetenter, erfolgreicher, besser oder was auch immer halten, während bescheidener auftretende Menschen, die faktisch gleich oder mehr Kompetenz haben, schlechter fahren. Das ist nicht neu, aber die erlernte Selbstüberschätzung der Menschen aus den besseren Kreisen wird sich vermutlich auch weiterhin auszahlen. Es kann sich also lohnen zu blenden, auch wenn nicht viel dahintersteht.