Bericht: Facebook soll EU-Expertengruppe unter Druck gesetzt haben

Eine Arbeitsgruppe sollte Maßnahmen gegen Falschmeldungen entwickeln. Das gefiel Facebook wohl nicht: Vertreter sollen Druck auf die Mitglieder ausgeübt haben.

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Facebook

(Bild: dpa, Richard Drew/AP)

Lesezeit: 4 Min.
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Hat Facebook die Arbeit einer Expertengruppe behindert, die gegen Desinformation vorgehen wollte? Das zumindest sagen vier Experten, die in dieser Arbeitsgruppe tätig waren. "Wir wurden erpresst", erklärt Monique Goyens, Vorsitzende des Europäischen Verbraucherverbandes und Mitglied der Arbeitsgruppe. In den Verhandlungspausen habe es "mündliche Drohungen" seitens Facebook gegeben.

Das Netzwerk wollte offenbar härtere Maßnahmen gegen Desinformationen im Netz verhindern, berichtet Buzzfeed News Deutschland zusammen mit dem paneuropäischen Journalistenteam Investigate Europe. In einem Statement erklärte Facebook nach Veröffentlichung des Artikels, dass dieser eine "bewusste Falschdarstellung dieser technischen Diskussionen" darstelle. "Wir glauben, dass der Prozess, der zum Verhaltenskodex geführt hat, echten Fortschritt gebracht hat und freuen uns darauf, diesen mit den europäischen Institutionen gemeinsam umzusetzen". Auf eine erste Nachfrage von Investigate Europe hatte sich Facebook ursprünglich nicht zu den Vorgängen äußern wollen.

Die Gruppe gegen Desinformation bestand aus 39 Experten, unter denen sich auch Vertreter von Facebook, Google und Twitter befanden. Außerdem waren der TV-Sender Sky, die Nachrichtenagentur AFP und die NGO "Reporter ohne Grenzen" in der Arbeitsgruppe aktiv. Die EU hatte sie nach dem Brexit-Schock und der Trump-Wahl gebildet, um sich dem Problem mit Fake News anzunehmen. Falschnachrichten bedrohen die Demokratie und verbreiten sich besonders stark über soziale Medien.

Laut Buzzfeed und Investigate Europe hätten in der Arbeitsgruppe mindestens zehn Personen gesessen, die von "den Plattformen direkt oder indirekt Geld" erhalten hätten. Ein Interessenkonflikt, denn schließlich sollten diese Personen die Plattformen prüfen und Maßnahmen gegen Falschmeldungen erarbeiten. Im September 2018 legte die Europäische Kommission einen "Verhaltenskodex zu Desinformation" vor; Facebook, Google und Twitter haben diesen unterschrieben, womit sie sich freiwillig für bestimmte Maßnahmen verpflichteten – ein Zwang zur Umsetzung besteht nicht. Die spätere Umsetzung bewerteten Kritiker dann auch als unzureichend: Die EU-Kommission etwa forderte mehr Informationen zu Werbeanzeigen in sozialen Netzen.

Wenn die Expertengruppe härtere Maßnahmen beschlossen hätte, wäre die Situation womöglich eine andere. Einige Mitglieder der Gruppe machen dafür explizit Facebook und Google verantwortlich. Monique Goyens berichtet, dass vor allem Richard Allan, Facebook-Cheflobbyist, Druck auf mehrere Gruppenmitglieder ausgeübt haben soll. Das Netzwerk werde auf "Konfrontationskurs" gehen, wenn sich die Gruppe weiter in die für Facebook ungünstige Richtung entwickle. Zudem habe Facebook damit gedroht, seine Unterstützung für "alle Projekte" einzustellen, "wenn wir nicht aufhören über Wettbewerbsinstrumente zu sprechen". Diese Drohung äußerte Allan im Gespräch mit NGO-Vertretern. Eine anwesende Person hat den Vorfall gegenüber Buzzfeed bestätigt. Es kam schließlich nicht zu einer Abstimmung darüber, ob die EU die Geschäftsmodelle von Facebook, Google und Twitter konkret untersuchen sollte.

Das Problem: Facebook & Co. verdienen ihr Geld mit Desinformationen. Diese verbreiten sich rasant, generieren Klicks und Aufmerksamkeit, was den Plattformen gefällt, weil sie mehr Werbung ausspielen können. Die wirtschaftlichen Aspekte des Problems hätte die Arbeitsgruppe jedoch ignoriert. "Wir haben das versucht, aber wir wurden gestoppt", meint Goyens. Die Sache stinke zum Himmel. Sie und andere Gruppenmitglieder hatten den Einsatz von wettbewerbspolitischen Instrumenten angeregt, um die Plattform besser zu kontrollieren. Es wäre auch um die Frage gegangen, ob Facebook, Twitter und Google durch Fake News tatsächlich mehr Geld verdienen. Den Plattformen drohten Regulierungsmaßnahmen und Strafzahlungen.

Google und Facebook betreiben wie andere Firmen starke Lobbyarbeit in Brüssel, um ihre Interessen durchzusetzen. Beide Firmen geben Millionenbeträge dafür aus – nicht nur für Lobbyisten, sondern auch für journalistische Projekte. Facebook etwa will 300 Millionen Euro in den Journalismus investieren. Genau dies sollen Vertreter des Netzwerks als Druckmittel verwendet haben, sagen Monique Goyens und drei weitere Mitglieder der Gruppe. Am Ende spielten im Abschlussbericht der EU-Expertengruppe mögliche Wettbewerbsinstrumente nur eine Nebenrolle. (dbe)