"Die SPD ist tot, die Grünen werden die neue SPD, und wir die neuen Grünen"

martin Sonneborn und Nico Semsrott. Bild: Die PARTEI

Europawahl-Interview mit den PARTEI-Politikern Martin Sonneborn und Nico Semsrott

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Die kommende EU-Wahl ist eine Schicksalswahl für Die PARTEI, denn erstmals traut man ihr das Potential von gleich zwei Sitzen zu - und damit eine Verdoppelung der politischen Schlagkraft. Neben Altpolitiker Martin Sonneborn, der in den EU-Ausschüssen für Kultur, Bildung und auswärtige Angelegenheiten sowie in der Delegation für die Beziehungen zur Koreanischen Halbinsel mitwirkte, hat auch Newcomer Nico Semsrott realistische Aussichten, demnächst deutsche Interessen im Europaparlament zu vertreten.

Herr Sonneborn, ursprünglich wollten Sie nur für einen Monat in Brüssel bleiben, jetzt aber möchten Sie noch einmal fünf Jahre mit dem Personal von Europas politischer Resterampe gemeinsam Strohhalme verbieten. Leiden Sie an einer Art Stockholm-Syndrom?

Martin Sonneborn: Nein, es ist eher so, dass wir eine intensive Auseinandersetzung mit der Groko Haram geführt haben. Steinmeier, Merkel und Maas haben einen wahnwitzigen Aufwand betrieben, um eine 3-Prozent-Hürde zur EU-Wahl einzuführen und die 7 Mandate der Kleinparteien wieder für sich zu reservieren. Gegen das Urteil des Bundesverfassungsgericht, gegen die Interessen von 26 oder 27 EU-Staaten. Wir haben dagegen gehalten, und schlussendlich genug Öffentlichkeit herstellen können, um dieses unseriöse Unterfangen scheitern zu lassen. Wir müssen mit unserer Arbeit also einen Nerv getroffen haben bei CDU und SPD, und schon deshalb will ich weitermachen. Aber natürlich habe ich auch Spaß an der Macht gefunden. Smiley.

Die Altparteien haben für 2021 keine Kanzlerkandidaten von Format, AKK und Friedrich Merz disqualifizieren sich schon der Frisur wegen. Werden Sie nicht eher in Berlin als in Brüssel gebraucht?

Martin Sonneborn: Sie sind sehr charmant. Nein, im Bundestag könnte ich nicht viel bewirken, von Belgien aus kann ich den Kontinent viel effektiver regieren. Außerdem möchte ich den Nachfolger von Elmar Brocken begleiten, er heißt Dennis Radab und wird uns in den kommenden Jahren in Brüssel viel Spaß bereiten.

In Ihrem Wahlprogramm kritisieren Sie die Militarisierung der EU. Verprellen Sie mit solchen Provokationen nicht Wählerpotential aus dem grünen Lager?

Martin Sonneborn: Gute Güte, ich hätte fast vergessen, dass es die Grünen waren, die in Jugoslawien den ersten Krieg angezettelt haben, den wir auch sauber gewinnen konnten. Dabei hab ich damals noch aus der Titanic-Redaktion die Kriegserklärung faxen müssen, weil sich unser sauberer Herr Bundespräsident dafür zu fein war! Macht aber nix, wir erleben gerade eine kleine Verschiebung im politischen Spektrum: Die SPD ist tot, die Grünen werden die neue SPD, und wir die neuen Grünen.

"Ich hasse Tierschutzparteien"

Obwohl Sie Tierschutz im Parteinamen führen, lassen Sie sich bei Europawahlen regelmäßig von der Tierschutzpartei überholen. Diesmal konkurrieren Sie nicht nur gegen die "Tierschutzpartei", sondern auch gegen "Tierschutz hier!", "Tierschutzallianz" und "PARTEI FÜR DIE TIERE" und die "ÖDP". Verpassen Sie bei der Wähleransprache nicht einen wichtigen Trend?

Martin Sonneborn: Ich hasse Tierschutzparteien. Die bekommen alle locker 4 Prozent, ohne irgendetwas zu tun, einfach weil sich Tierschutz gut und unschuldig anhört. Deshalb haben wir im Akronym PARTEI das "T" extra mit dem Begriff "Tierschutz" besetzt. Könnten Sie Ihre ein wenig empathischeren Leser bitte darauf hinweisen?

Ihr Kollege Wilfried Schmickler konstatierte, das politische Kabarett habe traditionell die Gesellschaft infrage gestellt, doch in Zeiten von Rechtspopulismus sei es an der Zeit, die Gesellschaft zu stärken. Ist die Usurpation eines parlamentarischen Sitzes durch Satiriker heute noch zeitgemäß?

Martin Sonneborn: Ursurpation ist ein lustiger Begriff. Wir nennen es "Demokratie", schließlich waren es 184.709 Wähler, die mich nach Brüssel befohlen haben. Aber in den wenigen knappen Abstimmungen, in denen ich vom JA/NEIN-Schema abweiche, stärke ich tatsächlich die Gesellschaft. Und selbst mit konsequent alternierender Abstimmung habe ich im Klimaschutzranking des Deutschen Naturschutzrings mit 61 Prozent eine erheblich bessere Quote als die gesamte CDU. Wenn CDU, FDP und die irre regionale Splitterpartei CSU in Zukunft mit JA/NEIN abstimmen würden, wäre das besser für Europa!

"Ziel ist es, nicht mehr allgemein in alle Richtungen zu demotivieren, sondern zielgerichteter"

Herr Semsrott, ein Demotivationstrainer im Europaparlament - ist das nicht ein bisschen wie Eumel nach Athen tragen?

Nico Semsrott: Mir ist selbst klar, dass mein Beruf Demotivationstrainer der unsinnigste der Welt ist und ich im Parlament mit meinem Ansatz nicht herausstechen werde. Ziel ist es, nicht mehr allgemein in alle Richtungen zu demotivieren, sondern zielgerichteter. Die Konservativen sollen weniger Spaß haben an ihrer Arbeit haben und bei ihrer Zusammenarbeit mit den Lobbyisten gestört werden.

Ihr Kollege Herr Sonneborn ist gleich zu Beginn seiner Ägide sogar am Rücktritt gescheitert. Wie wollen Sie diese Fehlleistung unterbieten?

Nico Semsrott: Wenn ich es ins Parlament schaffen sollte, ist meine Glaubwürdigkeit ohnehin endgültig dahin. Ich wäre "Wahlsieger". Was könnte für einen Demotivationstrainer imageschädigender sein? Nach diesem Tiefpunkt kann nichts Schlimmeres mehr kommen.

Sie fordern im aktuellen Wahlwerbevideo eine Letztwählerkarenz von 18 Jahren. Wie sollen wir verfahren, wenn dementsprechend ausgeschlossene Wähler ihre angenommene Lebenserwartung deutlich überleben?

Nico Semsrott: Sie können sich zu den etwa über 15 Millionen Menschen in Deutschland gesellen, die ebenfalls von der Wahl ausgeschlossen werden. Die Unter-18-Jährigen, Ausländer aus Nicht-EU-Staaten. Menschen, die Teil dieser Gesellschaft sind, das Wahlrecht abzuerkennen, geht gar nicht. Aus Gerechtigkeitsgründen haben wir nur gesagt, wenn die Jugendlichen nicht wählen dürfen, dass es den Uralten auch nicht erlaubt werden sollte.

Droht uns ein Bevölkerungsaustausch Jung gegen Alt?

Nico Semsrott: Durch wen? Dafür müsste ja irgendjemand aktiv werden, vor allem Eltern. Was die Geburtenraten angeht, sieht das momentan nicht so aus. Europa wird immer älter.

In welchen EU-Ausschüssen sehen Sie sich nach der Wahl?

Nico Semsrott: Ich möchte in Europa die Demokratie einführen. Dementsprechend wäre der Verfassungsausschuss interessant, vielleicht wird ja bald ein neuer Konvent vorbereitet.

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