Rechtspopulisten - die wahren "Volksverräter"?

FPÖ-Neujahrstreffen 2019 als Regierungspartei, Strache scheint geahnt zu haben, was kommt. Bild: Bwag/CC BY-SA-4.0

Kommentar: In der Ibiza-Affäre entblößt der Rechtspopulismus sein wahres, hässliches Gesicht

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Wenn es etwas gibt, das noch absurder wirkt als die Videoaufnahmen der Strache-Affäre, dann sind es die Reaktionen der österreichischen und deutschen Rechten auf den Skandal, bei dem Rechtspopulisten de facto ihr Land an angebliche russische Oligarchen zu verscherbeln versuchten. Wie unter einem Brennglas kommen dabei die hässlichen Züge der Neuen Rechten zum Vorschein, die deutliche Parallelen zu dem massenmörderischen Wahn der alten Rechten erkennen lassen.

Wer ist das größte Opfer der Korruptionsaffäre um den österreichischen Vizekanzler und FPÖ-Führer, die einen Abgrund an Korruption und Vetternwirtschaft innerhalb der österreichischen Funktionseliten aus Politik und Wirtschaft entblößte? Laut den Rechtspopulisten, die sich nun eine Auszeit von ihrer Law-and-Order-Rhetorik gönnen, sind sie die wahren Opfer der Affäre.

FPÖ, du Opfer

Der Opferwahn der Neuen Rechten, die sich immer wieder als verfolgte Unschuld geriert, kommt anlässlich der großen österreichischen Korruptionsaffäre zur vollen Entfaltung. Die korrupten Täter seien die wahren Opfer - dies ist die krude Logik, die die FPÖ und deren skandalumwitterte Schwesterpartei AfD propagieren. Deutsche Rechtsextremisten wie der AfD-Politiker Björn Höcke sprachen gar von einem "Staatsstreich" in Österreich.

Für den FPÖ-Führer Strache ist die Sache ohnehin klar. Er werde dafür kämpfen, seine "Unschuld" zu beweisen, so der Rechtspopulist, der sich als "Opfer" von "Kriminellen" sehe, so die Kronen Zeitung. Das Unschuldslamm Strache sieht die "Täter" selbstverständlich im Ausland:

Wir werden die Hintermänner des kriminellen Videos und Dirty Campaignings aus dem Ausland gegen meine Person ausfindig machen und meine Unschuld beweisen.

Heinz-Christian Strache

Wie Strache seine Unschuld angesichts der veröffentlichten Videoaufnahmen beweisen will, in denen er die Aushebelung der Pressefreiheit und korrupte Praktiken diskutiert, bleibt sein Geheimnis.

Auch der Strache-Vertraute und ehemalige geschäftsführende FPÖ-Klubchef Gudenus ist voll des Mitleides - für sich selbst. In einer vom Standard zitierten, weinerlichen Erklärung hieß es:

Ich war in dieser längeren Zeitspanne sichtlich in einer Ausnahmesituation. Erschöpft, überarbeitet, nahe einem Burn-out und in einer persönlichen Krise. Zu wenig Schlaf, zu viel Alkohol, gemixt mit Energydrinks, und psychotrope Substanzen, um die innere Anspannung und Unruhe zu bekämpfen.

Johann Gudenus

Gudenus sehe sich laut Standard als ein - so wörtlich - "willkommenes und willfähriges Opfer". Womöglich seien "zusätzlich K.o.-Tropfen" oder ähnliche "Substanzen und Drogen" auf Ibiza zum Einsatz gekommen. Ihm fehlten "streckenweise Erinnerungen über Stunden hinweg, und ich weiß auch nicht mehr, was ich in diesen Zuständen von mir gegeben habe beziehungsweise welche Handlungen daraus resultierten", so der einstige geschäftsführende Klubchef im Nationalrat, der trotz K.o.-Tropfen auf den veröffentlichten Videos für Strache noch gute Übersetzungsdienste leisten konnte.

Diese Erklärung des ehemaligen FPÖ-Spitzenpolitikers könnte auch als eine Rückversicherung dienen, da noch ein Großteil des Videomaterials aus Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte der Rechtspopulisten nicht veröffentlicht wurde. Viele Szenen sollen "eklig" und "entlarvend" sein. Es soll sich dabei um Drogen und Sexszenen handeln.

Sobald es um ihre eigenen potenziellen Konflikte mit dem Gesetz geht, wandeln sich somit die permanent nach Recht und Ordnung, nach Polizeistaat brüllenden Rechtspopulisten in lammfromme "Gutmenschen", die in der Verfolgung ihrer mutmaßlichen Verbrechen den eigentlichen Skandal wittern. Der Skandal besteht für die Rechtspopulisten demnach darin, dass ihre korrupten Machenschaften ans Tageslicht gerieten. Der autoritäre und zugleich kriminelle Charakter dieses rechten Selbstverständnisses wird hier evident: Man klammert sich implizit selbst aus der Polizeistaatslogik heraus, die man propagiert.

Reloaded: Die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung

Nicht die skandalösen Taten der korrupten rechten Täter, die letztendlich einen großen Sommerschlussverkauf Österreichs auf Ibiza organisieren wollten, sind im Zentrum des rechten Narrativs zum Ibizagate, sondern eine "Verschwörung", die es gewagt hat, die schmutzige Unterwäsche der rechten Saubermänner zu skandalisieren.

Und da weiß man in der Neuen Rechten ganz schnell, wer dahinterstehen muss - so viel antisemitische Tradition muss schon sein. Letztendlich ist es immer der Jude, der hinter allem Bösen steckt. Der Kanzler Österreichs erklärte gegenüber der Bild-Zeitung aus einem Bauchgefühl heraus, dass es der Jude Tal Silberstein war, der es wagte, den Abgrund an Korruption und Demokratieverachtung offenzulegen, der in der österreichischen Rechtsregierung herrscht.

Aus reiner Wut und Frustration über das Ende seiner Rechtsregierung lässt der Kanzler Österreichs in dem größten Revolverblatt der westlichen Welt antisemitische Stereotype aufleben, ohne auch nur den Funken eines Beweises vorzulegen (etwa ein Video?) - so sieht die verantwortliche Politik der Rechtspopulisten aus, sobald sie mal politisch unter Druck geraten.

Der betroffene israelische Politikberater dementierte zwar diese Anschuldigungen umgehend, die den latenten Antisemitismus der Neuen Rechten zutage treten ließen, doch das antisemitische Ressentiment hat die Realität nie anders behandelt als einen Steinbruch, der zur Errichtung der eigenen Wahngebäude dient.

Auch die deutschen Rechtsmedien wussten quasi instinktiv, wo die "Hintermänner" des Videos zu suchen seien: beim israelischen Geheimdienst Mossad. Der ehemalige BND-Chef Rudolf Adam durfte im Cicero im Vorwahlkampf frei spekulieren, dass es eine aufwendige und hochkomplexe Operation des Geheimdienstes des jüdischen Staates war, die Strache zu Fall brachte.

Beweise: Wieder mal ein Bauchgefühl ("Bleibt nur ein Staat, der die menschlichen und technischen Fähigkeiten zu einer derartigen Operation und ein eindeutiges Motiv hat: Israel"). Und die fixe Idee, dass die Rechtsregierung in Tel Aviv, die blendend mit Rechtspopulisten wie Orban zusammenarbeitet, nun ausgerechnet deren politische Verbündete stürzen würde.

Neben dem "Juden" fehlt nur noch der "Bolschewik", um den alten nationalsozialistischen Wahn von der "jüdisch-bolschewistischen-Weltverschwörung" in der Neuen Rechten aufleben zu lassen. Hier kann der ehemalige Präsident des - maßgeblich von alten Nazis aufgebauten - deutschen "Verfassungsschutzes" weiterhelfen. Nicht der allmächtige Mossad, "linksextreme Kräfte" seien für den ehemaligen obersten Verfassungsschützer, dessen Verharmlosung der pogromartigen Ausschreitungen in Chemnitz ihn sein Amt kostete, für den Skandal verantwortlich:

Für viele linke und linksextreme Aktivisten rechtfertigt der "Kampf gegen rechts" jedes Mittel. … Die Video-Falle ist erst der erste Akt des Skandals. … Derartige Fallen zu stellen, ist mitunter einfach und kann auch zum Instrumentarium des Dirty-Campaigning gezählt werden, bei dem versucht wird, den politischen Gegner mit teilweise geheimdienstlichen Mitteln zu diskreditieren.

Hans-Georg Maaßen

Während der Mossad-Kenner des Cicero der Meinung ist, die "Operation" sei dermaßen komplex gewesen, dass nur der israelische Geheimdienst dahinterstehen könne, sieht Maaßen diese als ein einfaches Instrument linksradikalen "Dirty-Campaigning" an. Es ist aber dieselbe korrupt-autoritäre Logik wie bei FPÖ und AfD, derer sich der ehemalige "Verfassungsschützer" hier bedient: Der Skandal besteht in der Aufdeckung der korrupten Machenschaften rechtspopulistischen Machthaber.

Wie weit geht diese Logik? Bis zum ehemaligen deutschen Finanzminister Schäuble, der sich aktuell schützend vor Maaßen stellte und ebenfalls von Geheimdiensten schwadronierte, die die österreichische Rechtsregierung zu Fall gebracht hätten.