Die Erde hat Fieber und die Heilung ist mehr Kapitalismus?

In seinem provokanten neuen Buch behauptet MIT-Ökonom Andrew McAfee, dass die reichen Länder herausgefunden haben, wie sie mit geringeren Umweltschäden weiter wachsen können.

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Die Erde hat Fieber und die Heilung ist mehr Kapitalismus?

(Bild: Photo by Thomas Millot on Unsplash)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • James Temple
Inhaltsverzeichnis

Die USA senken ihre Treibhausgasemissionen, den Energieverbrauch, die Luftverschmutzung und den Verbrauch wichtiger Ressourcen, während die Wirtschaft und ihre Bevölkerung wachsen. Diese Entkopplung von Wachstum und Umweltzerstörung zeigt sich auch in anderen großen Volkswirtschaften, und sogar in einigen Entwicklungsländern, argumentiert der Ökonom Andrew McAfee vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in seinem neuen Buch "More from Less", das im Oktober auf Englisch erscheint und kontrovers diskutiert werden dürfte. Technology Review hat eine Druckfahne einsehen können.

Der Co-Direktor der MIT-Initiative für die digitale Wirtschaft argumentierte Mitte Juni auf der "Breakthrough Dialogue"-Konferenz im kalifornischen Sausalito, dass das beschriebene Phänomen einen kritischen Wendepunkt in der Wirtschaftsgeschichte darstelle – und einen wesentlichen dazu, wenn wir eine wachsende Weltbevölkerung zu erhalten hoffen, ohne den Planeten zu dezimieren. Um den Wandel global voranzutreiben, müssen wir das kapitalistische System nicht überarbeiten, sondern intensivieren, behauptet der Ökonom.

Es scheint ein kontraintuitives Argument zu sein, wenn ein Großteil der Welt damit beschäftigt ist, die Ozeane mit Plastik zu füllen, auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu pfeifen und eine immer wachsende Anzahl von Tierarten auszurotten. McAfee beeilt sich zu betonen, dass lange nicht alles in Butter ist. Der Klimawandel, die Umweltverschmutzung, Armut und Unterernährung seien gewaltige Herausforderungen, die dringend bewältigt werden müssen. Sein Standpunkt ist vielmehr, dass die Entkopplung zeige: Wir haben die Werkzeuge, um diese Probleme anzugehen.

Auf der Breakthrough-Konferenz stellte McAfee eine Reihe von Diagrammen vor, die einen weiteren Anstieg des Bruttoinlandprodukts in den USA zeigten, obwohl die Verwendung von Metallen, Stein, Zement, Sand, Holz und Papier in den letzten Jahren zurückgegangen ist. "Wir haben ein Plateau erreicht und begannen, unseren Gesamtverbrauch dieser wortwörtlichen Bausteine zu senken", sagte er. Eine weitere Grafik zeigte, dass der Verbrauch von Düngemitteln, Ackerland und Wasser in den USA rückläufig ist, auch wenn die Getreide-Gesamtproduktion weiter steigt. In seinem Buch fügt McAfee hinzu, dass unter den mehr als 70 Mineralien, Metallen und anderen Ressourcen, die seit langem von der Kartographie-Behörde "US Geological Survey" verfolgt werden, bei lediglich sechs der Verbrauch noch nicht sinkt. Der Verbrauch von Stahl, Aluminium und Kupfer liegt um jeweils 15 Prozent, 32 Prozent und 40 Prozent unter den Spitzenwerten.

Doch einige Experten stellen mehrere Schlussfolgerungen McAfees in Frage. Ariane de Bremond, Direktorin des "Global Land Program", betonte, dass es in einer eng verknüpften Weltwirtschaft sehr schwierig sein könne, den tatsächlichen Rückgang des Ressourcenverbrauchs zu entschlüsseln. Zum Beispiel habe sich die weltweite Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzfläche zwar verlangsamt, doch die Anbaufläche nehme insgesamt weiterhin zu. "Ist wirklich alles Entkoppelung, oder handelt es sich bei einem Teil um Verschiebung in andere Teile der Welt?", fragte de Bremond.

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Es gibt andere gute Gründe, vorsichtig zu sein, wenn es darum geht, zu feste oder allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen, wie McAfee zugibt. Zum einen könnten einige der rückläufigen Trends bei der Ressourcennutzung immer noch einer Katerstimmung nach der Großen Rezession zuzuschreiben sein. Ein Großteil des Fortschritts der USA bei der Atmosphärenverschmutzung durch Treibhausgase ist auf die Verlagerung von Kohle zu sauberem Erdgas zurückzuführen, das dennoch mit einem hohen Kohlendioxidausstoß verbunden ist und seine eigenen ökologischen Herausforderungen hat. Und was auch immer an kleinen Gewinnen in einigen Ländern erzielt werden kann, könnte durch den wachsenden Appetit der aufstrebenden Volkswirtschaften wieder zunichte gemacht werden.

McAfee ist jedoch der festen Überzeugung, dass einige lang gehegte Annahmen über die unvermeidlichen Wachstumskosten einfach und häufig falsch sind. Technologischer Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum haben sicherlich sehr reale ökologische und soziale Kosten verursacht. Aber sie haben unbestreitbar auch massive Zugewinne für eine bessere Gesundheit, Wohlstand und Lebensstandard mit sich gebracht.

Und auch wenn die Vorstellung einigen tief verwurzelten Überzeugungen zuwiderläuft, ist klar, dass Technologie eine Rolle bei der Lösung einiger der Probleme, die sie verursacht, spielen kann und vielleicht auch spielen muss.

(vsz)