Wenn die Minze zuschlägt

Ein indischer Onlinehändler zeigt, wo der Hammer hängt. Übertragen gesagt, denn es geht um KI und das Bestellverhalten der Kunden

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Kaum haben wir uns von den Dingen erholt, die Google in letzter Zeit zu machen scheint, schon kommt der nächste Hammer aus Indien. Aber halt, vielleicht ist Ersteres gar nicht so bekannt geworden. Es geht um eine kleine, aber nicht unwesentliche Einrichtung von Gmail, die gerade Wellen schlägt.

Das Mailprogramm tracked nämlich alle Bestätigungsbrieflein von Onlineshops, die wir nach erfolgreicher Bestellung erhalten. So kann Google schön sehen, was wir gekauft haben. Da werden wir natürlich sagen: "So geht es nicht.“ Geht aber, meint Google und lässt davon weder einen Opt-out starten noch eine Löschung vornehmen. Nun ja, es soll ja in unserer noch eher jungen Geschichte der Demokratie so etwas wie Briefgeheimnis geben. Aber das kommt in Kalifornien als Grundidee bisher nicht so durch. Vielleicht passiert da in den nächsten Monaten noch etwas. In der Zwischenzeit lacht man über solche Anfänger in Indien trocken.

Dort geht man gar nicht über die Bande, sondern hat sich eine KI-basierte Methode zurechtgelegt, die obige Aspekte noch ein bisschen engagierter angeht. Dort gibt es einen Händler mit dem netten Namen "Myntra", der merkwürdigerweise auf Google Translate ein Friesisches Wort für Minze anzeigt. Aber das mag einfach der Neid von Google auf die Idee des Shops sein. Dort hat man nämlich einen Algorithmus geschrieben, der anhand des Klickverhaltens und der bisherigen Historie des Bestellers abschätzt, wie hoch die Chance einer Retour der Ware ist.

So geht Kundenscanning, eat this Google.

Innerhalb von 70 Millisekunden hat das System, sobald man den Shop wegen einer Bestellung besucht, herausgefunden, wie hoch die Chance ist, dass Kunde A das Bestellte wieder zurückschicken wird. Und dementsprechend, wer hätte das geahnt, wird ihm dann auch gleich noch vor dem Ende des Bestellvorgangs eine entsprechende Versandgebühr auf den Leib geschrieben. Vermutlich können sich beharrliche Zurückschicker irgendwann des Eindrucks nicht mehr erwehren, dass sie nicht die Kleidung, sondern die dazugeörende Fabrikationsstätte bestellt haben. So dynamisch lässt sich das Kostensystem denken. Wahrscheinlich geht aber noch mehr. Vermutlich sehen solchen Kunden vermehrt Produkte, die sie bisher weniger zurückgeschickt haben, oder sie sehen viele Angebote, die für sie nicht interessant sind, um sie einfach auszuprobieren.

Aber natürlich denkt der Retailer hier immer noch ein wenig zu kurz. Anhand der Klickmuster müsste ja auch herauszubekommen sein, ob der Kunde seit dem letzten Besuch an Gewicht zugelegt hat, mit der Maus gar nicht mehr so schnell ohne Atemnot über den Bildschirm kommt und deshalb garantiert eine falsche Hosengröße bestellt. So geht Kundenscanning, eat that Myntra.