Kommentar zum rechten Terror: Schließt die sicherheitspolitische Mottenkiste!

Innenpolitiker fordern verstärkt härteres Vorgehen gegen rechtsextreme Strukturen. Die Ideen sind aber altbekannt und wenig effektiv, meint Keywan Tonekaboni.

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Kommentar: Mit der Mottenkiste gegen Rechtsextreme

Rechtsradikale demonstrieren im September 2018 im Dortmunder Stadtteil Marten.

(Bild: dpa / Bernd Thissen)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Keywan Tonekaboni
Inhaltsverzeichnis

Vor einem Jahr endete der NSU-Prozess, er war für die meisten Betroffenen eine herbe Enttäuschung. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe muss zwar lebenslänglich ins Gefängnis, die überzeugten und gewaltbereiten Rechtsextremen Ralf Wohlleben und André Eminger kamen mit milden Strafen und gar einem Teilfreispruch davon. Die Neonazi-Freunde im Gerichtssaal jubelten ungestört. Von der versprochenen Aufklärung und einem Sinneswandel in den Sicherheitsbehörden und bei Innenpolitikern ist kaum etwas zu merken.

Das zeigen auch die ersten Reaktionen nach dem Mord an Walter Lübcke. Sonst kaum zurückhaltende Sicherheitspolitiker verhielten sich ruhig, selbst als ein rechtsradikaler Tatverdächtiger festgenommen wurde. Insbesondere Unions-Politiker reagierten kaum, wenigstens scheinen sie allmählich die Ausmaße des Rechtsextremismus anzuerkennen.

Wenn aber Politiker wie Bayerns Innenminister Herrmann (CSU) von einer "neuen Dimension des Rechtsterrorismus" sprechen, verkennen sie die Lebensrealität migrantischer Bürger in Deutschland. Die zehn Morde des NSU waren nur die traurige Spitze eines Eisbergs, der seit 1990 fast 200 Todesopfer rechtsextremer Gewalt umfasste. Jetzt will der bayrische Justizminister Georg Eisenreich die Vorratsdatenspeicherung einführen, um Hasskommentare zu bekämpfen. Der Griff in die sicherheitspolitische Mottenkiste – "Vorratsdatenspeicherung! Quellen-TKÜ! Online-Durchsuchung! Verschärftes NetzDG!" – ist offensichtlich immer das Nächstliegende.

Dabei haben nicht Verfassungsschutz oder Polizei den NSU aufgedeckt, sondern dieser enttarnte sich nach einem gescheiterten Bankraub selbst. In diversen Untersuchungsausschüssen zeigten sich eklatante Fehler und Verstrickungen der Sicherheitsbehörden. Trotzdem wurde der Verfassungsschutz anschließend gestärkt und die Arbeit mit V-Leuten gestützt. Diese sind aber keine ausgefuchsten Geheimagenten, sondern Kriminelle oder Extremisten, die als Spitzel Geld für durchwachsene Informationen erhalten. Die Unfähigkeit, den NSU zu enttarnen, zeigt aber auch, dass die Einstellungen und Vorurteile in den Behörden selbst reflektiert werden müssen.

Auch im Fall Walter Lübcke hat der Verfassungsschutz bisher keine rühmliche Rolle gespielt. Rechercheure aus antifaschistischen Netzwerken scheinen besser informiert zu sein als die Behörden und bringen deren Einzeltäter-These zu Fall. Trotzdem fordert Bundesinnenminister Seehofer mehr Befugnisse für diese Behörde. Auch die Bundesanwaltschaft hielt im NSU-Prozess zwanghaft an der Trio-These fest, obwohl es zahlreiche Unterstützer gab und auch jetzt über Verbindungen zum Lübcke-Mord gemutmaßt wird.

Ein Kommentar von Keywan Tonekaboni

Keywan Tonekaboni schreibt für die c't über Linux, Open Source und deren Communities. Er hat ein Faible für Nischen-Projekte, die sich aber nicht alle so lange halten wie seine Begeisterung. Zwischenzeitlich war er als Antidiskriminierungsberater in Sachsen-Anhalt tätig.

Aber Vorratsdatenspeicherung und Verfassungsschutz helfen im Kampf gegen Rechtsextremismus kaum. Statt in die sicherheitspolitische Mottenkiste zu greifen müssten Politik und Sicherheitsbehörden die Strukturen der rechten Szene ernst nehmen und Zusammenhänge benennen. Gibt es vielleicht im Raum Kassel ein loses NSU-Unterstützernetzwerk, das den Mord an Lübcke begünstigt hat?

Statt diese Strukturen und Netzwerke von Rechtsextremen zu beleuchten, reden Behörden diese bislang klein. Zudem negieren Staatsanwaltschaften und Gerichte regelmäßig rechtsradikale Motive. Durch dieses nachsichtige Verhalten fühlen sich aber Rechtsextreme nachweislich gestärkt. Statt neuer Befugnisse muss das Wegsehen ein Ende haben. Beispielhaft ist hingegen der Umgang mit der sogenannten Gruppe Freital. Hier riss die Bundesanwaltschaft das Verfahren an sich.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert eine Verschärfung des Strafrechts, um Mandatsträger vor Beleidigung und Bedrohungen zu schützen. Dabei sind die Gesetze vorhanden, aber die Verfahren werden oft wegen angeblicher Nichtigkeit eingestellt. Damit sie angewendet werden, wären stattdessen Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften zu den Tatbeständen um Hassrede sinnvoller. Davon würden auch gewöhnliche, aber ebenso betroffene Bürger profitieren.

Das Problem Rechtsextremismus lässt sich aber sowieso nicht allein mit der Strafverfolgung und dem Griff in die sicherheitspolitische Mottenkiste in den Griff bekommen. Dazu gehört ein entsprechender Umgang von Zivilgesellschaft, Parteien und Medien. Menschenfeindliche Einstellungen wie Rassismus, Islamophobie oder Antisemitismus müssen als solche benannt und nicht als Fremdenfeindlichkeit oder gar Asylkritik verharmlost werden. Nur wenn wir uns jetzt vor alle Betroffenen rechtsextremen Hasses stellen, können wir künftige Taten verhindern. (ktn)