Wieviel Wald braucht der Mensch?

Telepolis-Salon am 23. Juli: Die Ethnologin Saskia Brill und der Dokumentarfilmer Lion Bischof berichten von ihren Forschungsprojekten bei den Ureinwohnern Amerikas

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Die Heiltsuk-Nation in British-Columbia an der Pazifikküste Kanadas und die "Wampis" im Dschungel Perus an der Grenze zu Ecuador scheinen zwei Gegenpole in der neueren Geschichte der Ureinwohner Amerikas zu bilden.

Die einen schützen die reichen Wälder Kanadas und handeln mit CO2-Zertifikaten, die anderen verlieren durch die Abholzung des Regenwalds sukzessive ihren Lebensraum. Die einen verhandeln auf Augenhöhe mit Regierungsvertretern, die anderen sind den Interessen des peruanischen Staates an den Öl-Vorkommen ausgeliefert und ringen überhaupt um politische Anerkennung. Kurz gesagt: Die einen sind schon dort, wo die anderen hinkommen wollen.

Saskia Brill, Ethnologin am Rachel Carson Center for Environment and Society, forschte acht Monate lang in British-Columbia über das CO2-Ausgleichsprojekt der Heiltsuk. Dort befindet sich auf 64.000 km2 der Great Bear Rainforest. Er gilt als größter Regenwald der Erde in gemäßigtem Klima und enthält ein Viertel des entsprechenden Ökosystems weltweit.

Wie wird CO2 als Ware wie auch als politischer Akteur in die Kultur der Heiltsuk eingebettet? Wie kommt es überhaupt dazu, dass die Heiltsuk-Indianer seit 2006 mit Emissionslizenzen wirtschaften?

Die Heiltsuk zählen zu den First Nations, wie indigene Völker in Kanada bezeichnet werden. Ihre Vorfahren bewohnten die fischreiche Küstenregion bereits vor 9.000 Jahren. Im 19. Jahrhundert ereilte sie das Schicksal vieler indianischer Völker auf dem Kontinent, als europäische Siedler in den Nordwesten drangen und nicht nur Krankheiten, sondern auch Rechtstitel und Gesetze mit sich brachten.

Nach einer Pocken-Epidemie 1919 etwa zählten die Heiltsuk nur noch 225 Menschen. Das Fischerei-Gesetz (Fisheries Act) verbot den indigenen Völkern das kommerzielle Fischen in "kanadischen" Gewässern; zur Selbstversorgung war es nur unter vielen Einschränkungen erlaubt. In den 1960ern hatten die Weißen die Fischbestände soweit dezimiert, dass die industrielle Fischerei zwischen 1969 und 1972 eingestellt wurde.

1975 porträtierte ein Dokumentarfilm mit dem Titel "Bella Bella" das beschwerliche Leben der Heiltsuk und löste regelrechte Sympathie-Wellen aus. Der Film brachte den Kanadiern ihre Ureinwohner näher, sie wurden aus der Vergessenheit zurückgeholt.

In der Folge erhielt die indigene Bevölkerung Kanadas weitreichende Anerkennung ihrer Traditionen und vor allem eigenständige Rechte bezüglich Land, Jagd, Fischerei, Selbstverwaltung und Konsultation durch das Verfassungsgesetz von 1982.

Bild: Lion Bischof

Die Geburt einer Nation: Die Wampis

Als der Abenteuer-Filmemacher Werner Herzog für eine legendäre Szene seines Films "Fitzcarraldo" von Indigenen im Norden Perus wollte, dass sie einen großen Dampfer über einen Berg von einem Fluss zu einem anderen schleppen sollten, lehnten die Wampis und die Awajún ab. Sie ließen sich nicht kaufen und nicht vereinnahmen. Das war offenbar schon Anfang der 1980er Jahre etwas, worauf die indigenen Bewohner des Regenwaldes an der Grenze zu Ecuador großen Wert legen.

Fast vierzig Jahre später besucht der Münchner Dokumentarfilmer Lion Bischof das Volk der Wampis mit einem völlig anders gearteten Vorhaben. Die europäischen Debatten über Autonomiebestrebungen in Katalonien und in Schottland, die Diskussionen über das Selbstbestimmungsrecht der Völker hatten ihn neugierig auf das Projekt der Staatsbildung in einer von Europa weit entfernten Welt gemacht, wo die Moderne auf ein ganz spezielles Eigenleben von Ethnien trifft.

Bild: Lion Bischof

Das wollen die Wampis trotz ihrer Offenheit behalten. Wie auch das Recht selbst über ihr Gebiet zu bestimmen, das nicht zuletzt wegen der Ölvorkommen für Konzerne und für den Staat Peru von besonderem Interesse ist. Dazu kommt die ständige Bedrohung durch die fortschreitende Abholzung des Regenwalds, ihres Lebensraums. Auch Goldvorkommen ziehen nicht immer willkommene "Besucher" an.

Die Landrechte sind ein elementarer Konflikt der Autonomieregierung der Wampis mit dem Staat Peru. Die Wampis sind Peruaner, sie haben peruanische Pässe. Der Staat ist Eigentümer des Wassers, der Tierwelt und der Bodenschätze, "die Ressourcen gehören ihm". Zwar sagt dies auch ein offizieller Vertreter der Wampis, aber damit ist die Sache längst nicht beendet.

Bild: Lion Bischof

Die Autonome Regierung verfolgt, wie die Wampis betonen, keinen Separatismus, sondern Selbstbestimmung gegenüber einem Staat, der es sich in der Vergangenheit wie alle Kolonisatoren leicht machte. Man sprach sich einfach einen "leeren Raum" zu, die Bewohner ignorierend. Diese machen seit November 2015 mit der Ausrufung einer Regierung auf ihre Ansprüche aufmerksam.

Im Mittelpunkt steht Selbstbestimmung und Selbstverwaltung, die von Anthropologen, Juristen, Geografen und einer NGO unterstützt wird. Man beruft sich auf die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker von 2007 sowie auf die ILO-Konvention 169, die indigenen Gruppen Mitbestimmungsrechte bei der Ausbeutung von Ressourcen einräumt.

Wampis-Präsident Wrays Pérez Ramirez in Lima. Bild: Lion Bischof

Obwohl diese Konventionen 1994 auch von Peru ratifiziert wurden, ist die Regierung in Lima alles andere als begeistert von den Autonomiebestrebungen und der Mitsprache der Wampis, was die Ausbeutung der Boden- und Naturschätze und den damit verbundenen Umweltschutz anbelangt. Die Umsetzung der Konvention bleibt mangelhaft, stellten Beobachter Ende letzten Jahres fest. Die Regierung reagierte auf die ersten Signale einer selbstbewussteren indigenen Bevölkerung mit Beschlüssen, die deren Rechte auf die Selbstverwaltung ihres Lebensraums und der Bodenschätze noch weiter einschränkten.

Unruhen waren die zwangsläufige Folge. Ein Aufstand im Jahr 2009 verlief derartig blutig, dass auch im entfernten Deutschland darüber berichtet wurde.

Bild: Lion Bischof

Auch Lion Bischof wurden die Ereignisse des Aufstandes noch einmal erzählt - aus der Perspektive der Wampis. Bei seinem mehrwöchigen Aufenthalt im "Grenzland" bekam er einen lebhaften Eindruck vom Alltag der Ethnie und wie sie ihr Leben organisieren. Zu ihren Besonderheiten gehört, dass sie sich der Außenwelt nicht verschließen, sondern ihren Nachwuchs, der tradierte Riten durchläuft, trotz eigener Schulen auch zur Ausbildung in peruanische Städte schickt, woraus sich Spannungen ergeben. Es sind bei weitem nicht die einzigen. Dazu kommt etwa, dass sich auch die Wampis noch nicht zu einer einheitlichen Position gegenüber der Wirtschaft und den Aussichten auf Geldeinnahmen durch Ölförderung durchgerungen haben.

Auch der andere Einfluss durch die "Außenwelt", NGOs und andere Unterstützer spielen hier eine Rolle wie auch die Missionsaktivitäten von Evangelikalen, sorgt für Debatten. Die "Wambis-Nation" sei im Entstehungsprozess, sagt der Dokumentarfilmer. Er wird einiges zu berichten haben.

Telepolis-Salon im "Hecksalon" am 23. Juli um 20 Uhr mit der Ethnologin Saskia Brill und dem Dokumentarfilmer Lion Bischof als Gästen
Alte Utting
Lagerhausstraße 15
81371 München
Eintritt: 5 Euro
Anfahrt: U-Bahn: U3/U6 Poccistraße oder Implerstraße Bus: 132 / 62 Lagerhausstraße