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Was war. Was wird. Vom Überqueren und Überwachen

Während Greta Thunberg idealerweise über das Wasser laufen können sollte, grübelt Hal Faber über gestrichene Zapfen und zertrampelte Grundrechte.

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Was war. Was wird. Vom Überqueren und Überwachen

Auge zudrücken: Für eine Überwachungsmaßnahme eines informationsetchnischen Systems soll künftig eine einfache Verordnung genügen – die bisher geforderte richterliche Genehmigung wäre Makulatur.

(Bild: pixabay)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Greta Thunberg segelt mit einer Rennyacht über den Atlantik. Eigentlich wäre das eine Sommerloch-Geschichte wie die von Sammy, dem Kaiman im Baggersee. Aber die Zeiten ändern sich und das Nachrichtenklima wird rauer. Also muss erwähnt werden, dass es an Bord der Yacht keine Toilette gibt (britische Medien) und dass sich da eine Tragödie abspielt (deutsche Medien): "Greta Thunberg ist die tragische Heldin, die die Wahrheit zwar sieht und ausspricht, aber dennoch nur scheitern kann." Die Yacht muss zurück für ein anderes Rennen und deshalb wird gelästert. Es wird erst enden, wenn Frau Thunberg kein CO2 mehr emittiert. Klar, richtig wäre es gewesen, wenn Greta und die Fridays for Future-Bewegung im Stil von Boris Johnson einfach ein paar Antonovs 225 gechartert hätten und alle, alle nach New York zur Demo fliegen würden. Aber wer denkt da an die armen Lehrer, die vor leeren Klassen stehen und das zum Schulanfang. So warten wir also gespannt auf die Positionsmeldungen von Greta, die All watched Over by Machines of Loving Grace behütet über den Atlantik rauscht.

"Die Menschheit hat noch keinen Weg gefunden, um einen Ozean zu überqueren, ohne einen CO2-Fußabdruck zu hinterlassen."

(Bild: pixabay)

*** Sollte sie in New York der schönen PR-Bilder wegen an der Freiheitsstatue vorbei schippern, wäre ein Blick auf die Inschrift fällig, die bekanntlich von einem Trump-Anhänger in dieser Woche abgeändert wurde: "Gebt mir Eure Müden und Eure Armen, die auf ihren eigenen Füßen stehen können und nicht zu einer Belastung für die Öffentlichkeit werden." Gebt mir eure Mücken! Dazu passt vielleicht die Nationalhymne, die Jimi Hendrix mit seiner hastig zusammengestellten Band of Gypsies heute vor 50 Jahren in den Morgenstunden in Bethel zerfetzte. Er war der teuerste Musiker bei Woodstock und spielte, als die meisten Besucher schon auf dem Rückweg waren.

*** Ja, ja, das richtige Einwandern ist lukrativ geworden – für eine Firma wie Palantir Technologies. Stimmen die Angaben der Bürgerinitiative "No Tech for ICE", die nun in einem Report zusammengefasst wurden, dann hat allein der Auftrag für die Datenbank der Einwanderungsbehörde ICE einen Umfang von 42 Millionen Dollar. Dabei nicht eingerechnet die 52 Millionen für ein Vorgangsbearbeitungssystem Palantir ICM, das von der Homeland Security zur Einwanderungskontrolle genutzt wird. Natürlich vezwergt das alles vor der satten Milliarde, die das Verteidigungsministerium der Firma für zwei Dutzend Projekte überweist, die allesamt streng geheim sind. Insgesamt macht es deutlich, warum Palantir-Anteilseigner Peter Thiel einer der wenigen IT-Zaren ist, die Trump mögen. Ob das auch für den Firmenchef Dr. Alex Karp gilt, der in Frankfurt mit "Aggression in der Lebenswelt: die Erweiterung des Parsonsschen Konzepts der Aggression durch die Beschreibung des Zusammenhangs von Jargon, Aggression und Kultur" promovierte, ist schwer zu sagen. Schließlich arbeitet Palantir mit fast jeder Demokratie im Westen zusammen, da heißt es, Animositäten und Aggressionen im Zaum zu halten. Die einen haben einen Sumpf, die anderen pflegen ihren polizei/industriellen Komplex.

*** Zumindest in Deutschland ist eine Landespolizei schwer von Palantirs Technologie begeistert. Die Rede ist von Palantir ICM, bei uns als "Hessendata" bekannt und von aller US-amerikanischen Herkunft bereinigt. Nunmehr kann Hessendata auch mobil eingesetzt werden und die "hessenweite Ausflächung" steht bevor. Die Vorteile sind sa-gen-haft, wie man aus der Pressemitteilung einer Übung mit einem "fiktiven Bedrohungsszenario" entnehmen kann: "Dafür verknüpfen die Beamtinnen und Beamten ausschließlich bereits vorhandene Informationen aus polizeilichen Datenbanken und öffentlich zugängliche Informationen, um schnell gebündelte Erkenntnisse – zum Beispiel über islamistische Gefährder – zu generieren und polizeiliche Gegenmaßnahmen einleiten zu können." Dann generiert man schön, möchte man sagen, wäre denn da der stets mögliche Irrtum ausgeschlossen. Wie prägnant und schnell man in Hessen arbeitet, zeigt die aufregende Jagd auf Helene Fischer: 83 Mal in der Nacht wollten Polizisten ihre persönlichen Daten und damit verknüpfte öffentlich zugängliche Informationen sehen. Hessendata lieferte.

*** Was bei der Polizei nicht so besonders läuft, ist Polizei 2020, das "digitale Haus der Polizei", ein supertolles länderübergreifende Gemansche aller Daten in einer einzigen großen Polizeicloud. Im Sommerloch verschwand die Meldung, dass der Projektleiter von Polizei 2020, Kriminaldirektor Andreas Lezguz, nur noch Projektbegleiter ist. Die Leitung hat jetzt der Superstar der deutschen IT-Branche übernommen, jedenfalls der Superstar nach den Vorgaben des Bundesinnenministeriums. Das setzte die Einmannfirma Holger Gadorosi Consulting schon mehrfach ein, zuletzt nach Auskunft der Bundesregierung (PDF-Datei) für ein Honorar von schlappen 8,7 Millionen Euro bei dem umstrittenen Projekt Netze des Bundes.

*** Sollte Holger Gadorosi Polizei 2020 2020 in den Testbetrieb überführen können, kann er gleich die nächste millionenschwere Aufgabe vom Innenministerium übernehmen: Es läuft nicht wie gewünscht bei den Bodycams, wie ein Forschungsbericht aus Nordrhein-Westfalen zeigt. Eigentlich sollen die eingeschalteten Kameras gewalttätige Aktionen gegen Polizisten verhindern oder zumindest dokumentieren, doch lassen sich nur wenige Randalierer von ihnen beeindrucken. Stattdessen halten sich Polizeibeamte "unangemessen" zurück, eben weil sie wissen, das gefilmt wird. Der beherzte Griff zum Knüppel wird in Nordrhein-Westfalen vermisst. Erfolgreicher sollen Polizisten im hohen Norden sein, wo Bodycams auf dem Festival in Wacken eingesetzt wurden. Doch der Abschlussbericht steht noch aus. Gespannt warten wird noch auf Nachrichten vom Bahnhof Südkreuz, auf dem jeweils Dienstag und Mittwoch eigens engagierte Schauspieler nach einem Drehbuch gefährliche Situationen simulieren, die von Kameras und Software zur "intelligenten Verhaltensanalyse" entdeckt werden sollen. Ob Bundesinnenminister Seehofer wieder von der überragenden Leistung schwärmen wird, wie er das anlässlich der Gesichtserkennung am Südkreuz getan hat? Anderswo hat man ganz andere Ergebnisse bekommen.

Schwuppdiwupp sind wir mit Horst Seehofer in der Zukunft gelandet. Während andere sonnenbaden und zapfenstreichen, hat Seehofer mit seinen Juristen etwas geschnürt, das in den nächsten Wochen und Monaten für Gesprächsstoff sorgen wird. Eigentlich ging es nur um die Umsetzung von Empfehlungen, die die Innenministerkonferenz zur Rechtsvereinheitlichung des Verfassungsschutzrechts ausgesprochen hat. Herausgekommen ist ein Entwurf für eine weit reichende Stärkung des Geheimdienstes. Das geplante neue Gesetz zur Stärkung des Verfassungsschutzes ist nicht nur ein sprachliches Ungetüm, das möglichst kompliziert formuliert ist. Es zertrampelt auch Grundrechte, weil dem Geheimdienst weitreichende Befugnisse zur Hand gegeben werden. Das fängt bei der "privaten" Videoüberwachung in Kaufhäusern und Einkaufszentren an, auf die sich der Verfassungsschutz künftig bei Bedarf "live aufschalten" kann.

Vielleicht wird man eines Tages von IT-Geräten sprechen, die geseehofert sind oder horstig gemacht wurden.

(Bild: pixabay)

Bekannt war schon der Passus, dass Verfassungsschützer in Wohnungen einbrechen dürfen, um einen Staatstrojaner oder sonst eine Überwachungssoftware aufzuspielen. Das ist jetzt noch einmal verschärft worden: "Das Bundesinnenministerium soll künftig IT-Unternehmen per Verordnung zwingen können, beim Aufspielen von Spähsoftware auf Handys, Computer oder andere Geräte mitzuhelfen." Was jetzt noch fehlt, ist ein schnuckeliger Name für diesen "Sofort Überwachbar Service" der Ich-bin-doch-nicht-blöd-Branche. Vielleicht wird dann man von Geräten sprechen, die geseehofert sind oder horstig gemacht wurden. Die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme wird ohnehin überbewertet. Schick ist auch, dass künftig eine einfache Verordnung genügen soll und die bisher geforderte richterliche Genehmigung für eine Überwachungsmaßnahme Makulatur ist. Dass der Verfassungsschutz künftig auch Redaktionen und Verlage mit Staatstrojanern ausspionieren darf, ist da nur konsequent. (bme)