Sampling-Prozess: "Musiker können ein bisschen mutiger sein"

Der Europäische Gerichtshof stärkt mit seinem Urteil zum sogenannten Sampling-Streit die Kunstfreiheit. Doch unklar bleibt, wie deutsche Gerichte die Entscheidung im konkreten Fall auslegen.

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Sampling-Prozess: "Musiker können ein bisschen mutiger sein"

(Bild: dbosnj35 on Unsplash)

Lesezeit: 4 Min.

Es geht eigentlich nur um zwei Sekunden, doch an ihnen entzündet sich ein Rechtsstreit, der nun bereits 20 Jahre andauert. Im Kern geht es um die Frage, ob der Musikproduzent Moses Pelham eine kurze Rhythmussequenz aus dem Titel "Metall auf Metall" der Elektronik-Musiker Kraftwerk für einen eigenen Song verwenden durfte, ohne um Genehmigung zu fragen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jetzt zugunsten Pelhams entschieden. Doch für Urheberrechts-Experte Leonard Dobusch bleiben weitere Fragen offen.

TR: Ist die Rechtslage nach dem EuGH-Urteil nun eindeutig?

"Sampling-Künstlern stehen neue Wege offen", sagt Leonhard Dobusch. Er ist Jurist und Professor an der Universität Innsbruck, er engagiert sich für die Initiative "Recht auf Remix".

(Bild: Dominik Landwehr)

Dobusch: Der EuGH stellt mit seiner Entscheidung klar, dass das Sampling eine Kulturpraktik ist, die von der Kunstfreiheit gedeckt ist und dass es Varianten des Samplings gibt, die keine Rechteklärung bedürfen. Das ist auf jeden Fall eine Verbesserung. Bislang galt: Will ich etwas samplen, sei es auch noch so kurz, muss ich die Rechte dafür klären. Das ist oft recht schwierig und teuer, wenn nicht überhaupt unmöglich. Laut neuem Urteil gibt es nun zwei Möglichkeiten, ohne das Klären der Rechte zu samplen: Wenn das Fragment entweder als solches gar nicht mehr erkennbar ist oder wenn es als Zitat fungiert, das sich mit dem gesampelten Werk auseinandersetzt und mit ihm interagiert. Da fangen allerdings die Probleme an.

Welche sind das?

Es bleiben zwei Punkte offen. Erstens: Die Frage der Erkennbarkeit des Samples. Ein Musikexperte erkennt mehr als der gemeine Radiohörer. Wer gilt hier als Referenzgruppe? Der EuGH hat nichts dazu gesagt. Zweitens: Die Frage der Interaktion. Wann genau ist ein Sample ein Zitat?

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Der Prozess geht nun wieder vor den Bundesgerichtshof. Welche Optionen gibt es?

Der BGH kann sagen, die Erkennbarkeit ist nicht gegeben. Dann gewinnt Pelham. Oder der BGH sieht eine Erkennbarkeit, aber keine Interaktion mit dem zitierten Werk. Untermauert würde das von Pelhams Aussage, er habe nicht gewusst, dass das Sample von Kraftwerk ist. Dann wäre das Sample illegal und der BGH würde seine bisherigen Urteile bestätigen. Dritte Möglichkeit: Das Sample ist erkennbar, aber vom Zitatrecht gedeckt, weil Pelham ganz bewusst ein Kraftwerk-Sample genommen hat. Dann würde Pelham ebenfalls gewinnen.

Was glauben Sie, wie der BGH entscheiden wird?

Auf Basis des EuGH-Urteils könnte man sehr sampling-freundlich urteilen. Aber das heißt nicht, dass die deutschen Gerichte das auch tun werden. Sie sind sehr streng in dem, was sie als Zitat zulassen. Bei Texten muss ein Zitat beispielsweise eine "Belegfunktion" erfüllen, das heißt als "Erörterungsgrundlage" für eigene Ausführungen dienen. Das halte ich für zu restriktiv. Ich vermute also, dass Kraftwerk gewinnen wird, weil das der bisherigen BGH-Rechtsprechung entsprechen würde. Die Frage ist dann, ob Pelham wieder zum Bundesverfassungsgericht geht. Dort wären dann zu klären, ob die BGH-Definition von Erkennbarkeit und Interaktion gegen das deutsche Verfassungsrecht verstößt.

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Können sich Sampling-Musiker nun sicherer sein und auf das EuGH-Urteil berufen?

Ich glaube, selbst wenn Pelham vor dem BGH verliert, ist trotzdem klar, dass durch dieses EuGH- Urteil Sampling-Künstlern und Künstlerinnen neue Wege offenstehen, um transformative Werknutzung zu legitimieren. Sie können ein bisschen mutiger sein. Sie müssen weniger Angst haben, wenn sie Samples stark verfremden, und sie können offensiver damit umgehen, wenn sie sich auf das Zitatrecht berufen und argumentieren, dass es sich hier um eine bewusste Interaktion handelt. Die Ironie ist, dass dieser Prozess jetzt 20 Jahre dauert und es am Ende noch viel mehr solcher Prozesse geben könnte, weil mehr Künstler und Künstlerinnen sich auf das Zitatrecht berufen wollen, was bisher nicht als Option auf dem Tisch lag.

(jle)