Autoritäres Gesellschaftsmodell oder emanzipative Alternative zum Kapitalismus

Hochsee-Yacht Malizia II, zur Zeit mit Greta Thunberg an Bord Richtung New York unterwegs. Bild: Xriss - Andreas Lindlahr/CC BY-SA 4.0

Die Diskussion über die Thunberg-Reise in die USA könnte auch anzeigen, wie sich die Jugendumweltbewegung in zentralen Fragen positioniert. Kommentar

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Manche Taz-Leser sind wieder mal sehr empört und teilen ihr Gefühl den anderen durch Leserbriefe mit. Hat sich doch ihre Lieblingszeitung getraut zu recherchieren, wie ökologisch der Segeltörn der Öko-Ikone Greta Thunberg und ihres Vaters nun wirklich ist. Sie kam zu dem nicht so überraschenden Ergebnis, dass es für die Umwelt sinnvoller gewesen wäre, die beiden wären geflogen.

"Etwa fünf Mitarbeiter würden die Yacht zurück nach Europa segeln", zitierte die Taz Andreas Kling, den Pressesprecher von Thunbergs Skipper Boris Herrmann. "Natürlich fliegen die da rüber, geht ja gar nicht anders", sagte Kling. Herrmann werde für die Rückreise ebenfalls das Flugzeug nehmen: "Der Segeltörn löst also mindestens sechs klimaschädliche Flugreisen über den Atlantik aus", so die Taz. Thunberg und ihr Vater hätten weniger Flugreisen gebraucht.

Es handelt sich also bei dem ganzen Unternehmen um Symbolpolitik. Darin sind auch die Politiker und politische Kreise geübt, wenn es um ökologische Maßnahmen geht. Da werden gerne Dinge als Erfolg für die Umwelt verkauft und wenn man dann mal die Nebenkosten nachrechnet, schaden sie der Umwelt mehr als sie nützen. Umweltverbände sind ebenso geübt darin, eine solche Symbolpolitik von Politikern wirkungsvoll zu kritisieren.

Solche Kritik in den eigenen Reihen anzubringen, fällt aber manchen schwer, wie die Reaktion auf die Taz-Recherche zeigt. Manche Leser sehen sie als Angriff auf ihr Idol oder gleich auf die Jugendumweltbewegung insgesamt. Dabei hat Taz-Kolumnistin Bettina Gaus ganz sachlich festgestellt:

Greta Thunbergs Atlantiküberquerung mit einer Rennjacht zum Klimagipfel von New York mag dem Nervenkitzel dienen. Ansonsten ist sie unsinnig.

Bettina Gaus, Taz

Sollte der US-Transfer der Thunbergs einen Vorbildcharakter haben, dann wäre es tatsächlich besser gewesen, sie hätten von den technischen Möglichkeiten Gebrauch gemacht und sich auf der Konferenz per Monitor zuschalten lassen. Damit hätte sie bei ihren Fans, dem jungen bildungsaffinen Mittelstand, der sich in einigen Jahren in diversen NGOs und ähnlichen Organisationen verdingen dürfte, signalisiert, dass man nicht bei jeder Konferenz, in der es um Umwelt, Schrumpfwirtschaft und Nachhaltigkeit geht, persönlich anwesend sein muss.

Individuelle Freiheit unter dem Vorwand des Klimawandel radikal einschränken

Da könnte man ja den Verzichtsideologen Nico Paech mal beim Wort nehmen, der die Umweltdebatte zur "Neujustierung der persönlichen Freiheitsrechte" nutzen will. Hinter diesem Begriff lauern Diktaturgelüste, die begünstigt durch die beständigen Rufe nach einem Klimanotstand vielleicht auf einen fruchtbaren Boden fallen.

Nun ist diese grüne Seifenblase geplatzt. Das bedeutet, die einzig wirksame politische Steuerung kann nur noch darin bestehen, den von der Bevölkerungsmehrheit zunehmend praktizierten ökologischen Vandalismus, sein Kosename lautet "individuelle Freiheit", radikal einzuschränken. Dumm nur, dass dafür demokratische Mehrheiten nötig wären.
Im Klartext: Die Mehrheit müsste ihren eigenen Lebensstil abwählen, sich quasi um 180 Grad wenden, nämlich plötzlich befürworten, was seit dem Zweiten Weltkrieg jede gesellschaftliche Modernisierung auszumerzen versucht hat: Genügsamkeit, Selbstbegrenzung, Entsagung…

Nico Paech, Taz

Nach einigen Absätzen, in denen Paech versichert, dass er keine Ökodiktatur installieren und auch keine Öko-Stasi etablieren will, folgt der kryptische Satz:

Wer also die Freiheit bewahren will, darf sie nicht im Übermaß beanspruchen, sondern muss sie vorsorglich und freiwillig begrenzen.

Nico Paech, Taz

Und wenn eine relevante Anzahl von Menschen die Freiheiten nicht vorsorglich freiwillig begrenzt? Droht doch dann das Verbot mit Verweis auf den Klimanotstand?

Wenn dann noch der Diskurs über das Klima mit einer neuen Rezension zusammenfällt, könnte die Stunde der Notstandpolitiker schlagen. Darauf weist der Publizist Ambros Waibel in einem hellsichtigen Essay hin, der allerdings nicht im Politik-, sondern im Kulturteil der Taz veröffentlicht wurde.

Auf zehn Jahre Wirtschaftswunderland Deutschland folgt nun das Ende des Booms. Für kommende Verwerfungen liegen die Instrumente schon bereit. Die Krise ist da, die Wirtschaft schrumpft im zweiten Quartal, die Rezession kratzt an der Tür - aber keine Bange: Deutschland ist bestens vorbereitet!

Rechtzeitig zur anstehenden Aufstandsbekämpfung haben die Bundesländer die Gesetze verschärft. Wenn demnächst die arbeitslosen Massen aufmarschieren, können Polizisten dank Präventivhaft nicht erst bei schon geplünderten Lebensmittelgeschäften einschreiten, sondern bereits wenn derartige gewaltsame Umverteilungen sich auch nur abzeichnen.

Ambros Waibel, Taz

Man muss sich nur vorstellen, wie dann eine durch die Rezession fortschreitende Verarmung und die tatsächlichen oder imaginierten Zwänge des Klimawandels der Motor einer neuen autoritären Gesellschaftsformierung werden können, bei der Verzichtsideologen wie Nico Paech nur einen kleinen, aber nicht unwichtigen Part spielen könnten.

Grüne Weltrettung als profitables Geschäft

Dabei hat Paech mit seiner Kritik an "grünen Klimalügen" nicht Unrecht. Auch die Publizistin Kathrin Hartmann geht hart mit den "grünen Klimalügen" ins Gericht. Doch Hartmann propagiert nicht wie Paech den Verzicht, sondern beschäftigt sich mit den kapitalistischen Verhältnissen, die auch den Umweltschutz zur profitablen Marke machen, hinter der oft nicht einmal der Schutz der Umwelt steht - Symbolpolitik wie der Segentörn der Thunbergs eben.

Hartmann kritisiert die Greenwashing-Methoden großer Konzerte, aber auch von Startup-Unternehmen. Noch mehr aber setzt sie sich kritisch mit der Vorstellung auseinander, wir müssen nur den Kapitalismus grün anstreichen und alles wäre in Ordnung. In einem Interview mit der Monatszeitung konkret geht Kathrin Hartmann genauer darauf ein:

Die Grundlage grüner Politik ist das Versprechen, das System sei in Ordnung, man müsse nur an Stellschrauben drehen und Auswüchse korrigieren

Kathrin Hartmann, konkret

Als Gegenentwurf bezieht sich Hartmann auf außerparlamentarische soziale Bewegungen, die sich wie im Hambacher Forst aktiv gegen menschenfeindliche Technologieprojekte wenden. Vielleicht setzt sie darauf auch zu große Hoffnungen. Denn auch dort gibt es viele, die wenig Interesse haben, beispielsweise mit Beschäftigten aus der Kohlebranche ins Gespräch zu kommen, um von ihren Problemen und Ängsten zu erfahren. Ambros Waibel verweist in seinem pessimistischen Essay auch die Gegenkräfte.

Gewerkschaftler solidarisieren sich mit Klimabewegung

Es gibt sie ja, die emanzipatorischen Antworten auf die kommenden, von der nicht mehr zu verhindernden Klimakrise verschärften Verteilungskämpfe, so Waibel und verlinkt dazu auf ein Interview im Guardian. Dabei gäbe es auch in Deutschland einige kleinen Zeichen für eine emanzipativen Ausweg aus Klimakrise und Rezension.

Hunderte Gewerkschaftler haben den Streikaufruf der Jugendumweltbewegung zum 20. September aufgegriffen. In einem Aufruf von Verdi wird der Appell der Fridays-for-Future-Bewegung an die Gewerkschaften und Beschäftigten begrüßt:

1. Der menschengemachte Klimawandel geht uns alle an: Wenn die aktuelle Wirtschaftsweise die Natur zerstört und im schlimmsten Fall große Teile der Erde unbewohnbar macht, ist es unsere Pflicht, gegen die Umweltzerstörung zu kämpfen und einen ökologischen Umbau zu fordern.
2. Dieser ökologische Umbau darf nicht auf dem Rücken der Arbeiter*innen, der Jugend und der Rentner*innen vollzogen werden. Die größten Klimakiller sind große Industrie- und Handelskonzerne. Sie sollen die Hauptlast tragen. Ökologie und soziale Gerechtigkeit müssen Hand in Hand gehen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
3. Wir begrüßen den Aufruf von FFF an die Gewerkschaften, weil wir der Meinung sind, dass die Arbeiter*innenbewegung ihre wichtigste Waffe - den Streik - in die Waagschale legen sollte, um die Umstrukturierung zu erzwingen.

Auszug aus dem Verdi-Aufruf

Es wird sich nun zeigen, ob daraus eine Kooperation zwischen den aktiven Gewerkschaftern und zumindest Teilen der Jugendumweltbewegung entsteht. Bisher orientiert der Mainstream der Jugendumweltbewegung sich unkritisch an der Wissenschaft und bejubelt Wirtschaftsvertreter, die in Umweltprojekte investieren. Beim Sommerkongress von Fridays for Future Anfang August ging es eher um Selbstoptimierung als um Systemkritik, wie der journalistische Beobachter Sebastian Weiermann berichtete:

Die beiden Podien beim "Fridays for Future"-Kongress geben einen guten Einblick in die Jugendbewegung. Sie ist anders als die meisten sozialen Bewegungen in der Geschichte. Den Klimawandel aufhalten, das ist ein riesiges und schwieriges Ziel. Um das zu erreichen, setzen die jungen Aktivisten auf Selbstoptimierung, Appelle an die Politik und die Kraft der Wissenschaft. Wenn wichtige Personen wie der "Wirtschaftsweise" Christoph Schmidt ihnen zuhören, dann sind viele Aktive schon froh. Wenn klimafreundliche Reformen stattfinden, haben sie ihr Ziel erreicht. Die Politik könnte es mit "Fridays for Future" leicht haben. Ein Systemwechsel ist nicht das Ziel der Schüler.

Sebastian Weiermann, Neues Deutschland

Nun ist auch nicht verwunderlich, dass eine im Kern mittelständische Bewegung keinen Systemwechsel anstrebt. Eine länderübergreifende Initiative von Gewerkschaftern könnte da neue Akzente setzen. Schon vor mehr als 100 Jahren hieß es auf Plakaten der Wooblies, einer Basisgewerkschaft in den USA, dass nur die Arbeiterklasse die Umweltverschmutzung stoppen könne.

Damals waren auf den Plakaten rauchende Schornsteine als Symbol der Umweltverschmutzung zu sehen. Die Orientierung an den Eliten und dem angeblich grünen Kapital ist nicht nur illusionär, wie es Kathrin Hartmann beschreibt.