Das Eis der Erde schmilzt – "ein gigantisches Experiment"

Mit der Erderhitzung dehnt sich das Meerwasser aus, die Eismassen schmelzen: Der Meeresspiegel steigt. Was das bedeutet, beleuchtet ein neuer Report.

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Das Eis der Erde schmilzt – "ein gigantisches Experiment"

(Bild: Ed Dods/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Simone Humml
  • dpa
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New York plant neue Mauern gegen Überflutungen, die Fidschi-Inseln haben schon einige Bewohner umgesiedelt. Die Eismassen der Erde schmelzen immer schneller, der Meeresspiegel steigt mit zunehmender Geschwindigkeit und die Ozeane werden warm und sauer. Rund 100 Forscher haben die Auswirkungen der menschengemachten Treibhausgase auf Ozeane, Eis und somit auch auf Mensch und Natur für den Weltklimarat IPCC analysiert und das Wissen zu einem Report zusammengefasst. Ab 20. September wollen sie mit Delegierten der IPCC-Mitgliedsstaaten über exakte Formulierungen des Reports debattieren und ihn fünf Tage später in Monaco präsentieren.

Die Ozeane mögen vielen Landbewohnern fern erscheinen – sie sind aber lebenswichtig, und zwar nicht nur als Nahrungsquelle: "Etwa 50 Prozent des Sauerstoffs, den wir atmen, werden im Meer gebildet", sagt Meeresbiologe Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven – jeder zweite Atemzug eines Menschen stamme quasi daher. "Zudem spielen die Ozeane eine Schlüsselrolle im Klimasystem."

Das menschengemachte Kohlendioxid (CO2) erwärmt die Ozeane, macht sie sauer und führt zu geringeren Sauerstoffkonzentrationen. "Wir sprechen hier von einem tödlichen Trio", sagt Pörtner mit Blick auf das Leben in den Meeren. "Die Faktoren verstärken sich gegenseitig."

Wegen der Ozean-Erwärmung wandern viele Meereslebewesen in Richtung der kühleren Polregionen. Schon jetzt werde die hochspezifische arktische Tierwelt in einigen Regionen zurückgedrängt, mahnt Pörtner. Es gebe zwar auch positive Tendenzen, so habe sich der Kabeljau in der russischen Barentssee vermehrt. "Wenn der CO2-Ausstoß jedoch fortschreitet, wird der Kabeljau seine Laichgründe verlieren, denn die Eier und Larven sind besonders empfindlich gegenüber Wärme und die Versauerung steigert dies noch", sagt Pörtner mit Verweis auf Laborversuche. Aus CO2 entsteht im Wasser Kohlensäure, als Folge wird das Wasser saurer.

Erste Effekte dieser Versauerung gebe es bereits. "Man sieht schon jetzt eine abnehmende Schalendicke zum Beispiel bei winzigen Flügelschnecken", erläutert Pörtner. Sie seien wichtige Nahrung für Fische wie etwa Lachse im Pazifik. "Gleichzeitig sehen wir einen Verlust von Sauerstoff." Zum einen nehme wärmeres Wasser weniger Sauerstoff auf, zum anderen mache die Erwärmung des oberen Wasserbereichs die Schichtung des Wassers stabiler, sodass den Fischen in den unteren Lagen nicht mehr so viel Sauerstoff zur Verfügung stehe.

Im Sommer seien auf einigen Gletschern Grönlands Gummistiefel nötig, erklärt Glaziologin Angelika Humbert vom AWI. Dort gebe es oft Schneematsch. 2012 sei erstmals seit Beginn der Satellitenbeobachtung Anfang der 90er Jahre sogar die gesamte Oberfläche von Grönland aufgetaut – und die ist bis zu gut 3000 Meter hoch. Das Wasser dringe in das Eisschild ein und bilde Wasserschichten (Aquifere), die die Eisschmelze wiederum beschleunigen könnten. "Die Eisschilde (auf Grönland und der Antarktis) verlieren an Masse und der Verlust beschleunigt sich. Das ist das Beunruhigende an der Sache."

Die übrigen Gletscher der Erde schmelzen ebenfalls mit zunehmender Geschwindigkeit, weltweit verlieren diese laut einer Studie vom April jährlich rund 335 Milliarden Tonnen Eis. Das lässt nicht nur den Meeresspiegel steigen – mit ihnen schwinden auch wichtige Wasserspeicher für Mensch und Natur.

New York möchte riesige Schutzbauten gegen Überflutungen für Manhatten und Staten Island errichten. Auf den Fidschi-Inseln sind Bewohner mehrerer Dörfer in höhere Gebiete gezogen. Gründe sind in beiden Fällen jedoch nicht nur der steigende Meeresspiegel, sondern auch zerstörende Wirbelstürme. Auf Fidschi kam das Abholzen von Mangrovenwäldern hinzu, die ein bedeutender Küstenschutz sind. An der nordamerikanischen Atlantikküste und ausgerechnet auch bei den Tropeninseln steige der Meeresspiegel allerdings besonders rasch, sagt der Ozeanograph Detlef Stammer von der Universität Hamburg.

Ursachen für Unterschiede im Anstieg seien etwa Meeresströmungen, Winde und Anhebungen des Ozeanbodens. Grönland und der angrenzende Meeresboden werden sich laut Stammer weiter erheben – um rund einen Meter bis 2100. Eine der Ursachen: Wegen der Eisschmelze laste weniger Gewicht auf Grönland. Das Wasser, das durch das Anheben verdrängte werde, fördere andernorts wieder den Meeresspiegelanstieg. Für Deutschland sieht Stammer erst einmal keine größere Gefahr, weil die Deiche hoch genug seien und auch noch höher gebaut werden könnten.

Der Meeresspiegel steigt nach Auskunft der Weltwetterorganisation WMO durch Eisschmelze und Wassererwärmung immer schneller: Derzeit im Schnitt über drei Millimeter pro Jahr. Und das System sei träge, sagt Stammer. "Der Meeresspiegel wird etwa 1000 Jahre weiter ansteigen, auch wenn wir heute die Temperaturerhöhung stoppen würden."

Insgesamt sei der Meeresspiegel seit 1900 im globalen Durchschnitt schon um über 20 Zentimeter gestiegen, sagt Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. "Das klingt wenig, aber etwa bei Hurrikans ist es bedeutend, ob bestimmte Stadtflächen überflutet werden oder nicht", ergänzt der Ozeanograf. Bis Ende des Jahrhunderts könnten es ein Meter oder mehr werden. Es gebe eine große Unsicherheit bei der Vorhersage. Latif sieht eine besondere Gefahr darin, dass sich die Eisschmelze auf Grönland oder der Antarktis sehr beschleunigt, sich verselbstständigt und dann nicht mehr zu stoppen ist.

"Wir wissen nicht, ob solche Kipppunkte schon überschritten sind", sagt Latif. Es gebe zwar die Hoffnung, dass solche Punkte bei einer Erderwärmung von bis zu 1,5 Grad noch nicht erreicht werden. Doch vieles dabei sei für den Menschen noch nicht abzusehen: "Wir führen ein gigantisches Experiment auf unserem Planeten aus." (mho)