Menschenrechtsverletzungen in der Wertschöpfungskette

Rafaël Schneider. Alle Bilder: Uwe Kerkow

Die Welthungerhilfe arbeitet an einem Standard für Ernährungssicherheit bei landwirtschaftlichen Produzenten, dem "Food Security Standard" (FSS)

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In unseren Supermärkten werben die Hersteller mit einer verwirrenden Vielfalt von Kennzeichnungen und Produktlabels für faire und nachhaltige Erzeugung. Und doch klafft da immer noch eine ganz gewaltige Lücke und zentrale Menschenrechtsfragen bleiben unberücksichtigt.

Dr. Rafaël Schneider ist Koordinator des Food Security Standard Projekts der politischen Abteilung der Welthungerhilfe in dem ein zertifizierbarer Standard für Ernährungssicherheit (Food Security Standard, FSS) für Unternehmen entwickelt wird. Kooperationspartner sind das Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn und der WWF Deutschland.

Herr Dr. Schneider - noch ein Standard? Haben die Verbraucher nicht schon viel zu viele Informationen?

Rafaël Schneider: Wir wollen gar kein Logo! Wir haben aber ein Set an Kriterien entwickelt, mit dem bestehende Nachhaltigkeitsstandards ihre Siegel um den Aspekt der Ernährungssicherung ergänzen können. Dafür arbeiten wir mit renommierten Zertifizierern zusammen wie der Rainforest Alliance, mit dem niederländischen UTZ-System, mit dem Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl, mit dem Internationalen Zertifizierungssystem für Biokraftstoffe und Biomasse ISCC und mit Cotton made in Africa. Denn keiner ihrer Standards adressiert bisher das Recht auf Nahrung. Das wollen wir ändern.

Und der faire Handel? Ist es nicht selbstverständlich, dass die Produzenten im Fair Trade genug zu essen haben?

Rafaël Schneider: Leider nein. Alle Zertifizierungssysteme haben gemeinsam, dass sie sehr viele Umweltfragen berücksichtigen und auch viele Zusammenhänge im sozialen Bereich. Aber die Frage, ob Kleinbauern oder Arbeiter auf Plantagen wirklich ernährungssicher sind, ihre Arbeitsbedingungen auch mit dem Menschenrecht auf Nahrung in Einklang stehen, wurde bislang nicht überprüft.

Nahrung, Bildung, Gesundheit

Wie funktioniert der FSS?

Rafaël Schneider: Die Auditoren gehen raus ins Gelände und schauen sich die landwirtschaftliche Erzeugung bei den Bauern an. Dabei geht es um eine ganze Reihe von Fragen: Wie ist die Ernährungslage? Haben die Arbeiter oder Bauern das ganze Jahr über genug zu essen? Hat sich das Unternehmen darüber informiert? Werden angemessene Löhne gezahlt? Und werden sie pünktlich gezahlt? Gibt es Nachweise darüber wie zum Beispiel Gehaltsbescheinigungen?

Allerdings wird nicht nur geschaut, ob die Leute satt werden. Denn zum Recht auf Nahrung gehören auch Bereiche wie Bildung und Gesundheit. Viele Aspekte betreffen Fragen zur Wasserversorgung und auch die Landrechte müssen gewahrt sein und bleiben. Das ist alles deutlich komplexer, als einfach nur zu schauen 'Sind alle satt?‘

Standard für Ernährungssicherheit (5 Bilder)

Audit bei Baumwoll-Kleinbauern in Sambia

(Bild: Uwe Kerkow)

Aber dafür reicht es doch nicht, ein Unternehmen zu prüfen, das zum Beispiel Palmölfrüchte von Kleinbauern aufkauft. Dazu muss man doch die Kleinbauern befragen, oder?

Rafaël Schneider: Ja, tatsächlich muss man bei den Kleinbauern nachfragen. Da gibt es einmal generelle Fragen, zum Beispiel, ob Schulen und Gesundheitseinrichtungen vorhanden sind. Außerdem gibt es Einzelinterviews, wo Kleinbauern oder Landarbeiter unter vier Augen über ihre Ernährungssituation befragt werden. Das wird anonym erfasst, so dass man die Angaben des Unternehmens gegenprüfen kann ohne die Informationsquellen preisgeben zu müssen.

Darüber hinaus werden auch noch Personen in der Region befragt wie zum Beispiel Lehrer oder Ärzte, Behörden, Nichtregierungsorganisationen, die dann eine externe Einschätzung der Situation geben. Denn trotz allem kann es sein, dass Arbeiter, die bei einer Plantage unter Vertrag stehen, nicht immer in der Lage sind, wahrheitsgemäß zu antworten.

Und in einigen Entwicklungsländern liefen schon die ersten Versuche?

Rafaël Schneider: Genau. Unser Kriterienkatalog ist soweit erstellt - auch die Tools für Interviews und die Vorab-Informationen für die Auditoren sind fertig. Die werden jetzt in verschiedenen Situationen überprüft: Zum einen in sehr ernährungsunsicheren Ländern wie Sambia und Kenia, zum anderen in weniger kritischen Ländern wie Malaysia oder Bolivien.

Dabei schauen wir genauso auf kleinbäuerliche Produktion wie auf Plantagenwirtschaft. So bekommen wir die ganze Bandbreite und können prüfen, wo das Verfahren gut funktioniert und wo nachgebessert werden muss. Wir haben zudem verschiedene Versionen des FSS entwickelt; eine Version, die eher für Plantagen geeignet ist und eine, die für Kleinbauern erarbeitet wurde. Denn da sind die relevanten Fragestellungen doch sehr unterschiedlich.

Biosprit und Biodiesel müssen zertifiziert sein

Wenn ich mich aber als Verbraucher am Regal nicht bewusst dafür entscheiden kann, FSS-zertifizierte Produkte zu kaufen, wo soll dann der Anreiz für Unternehmen oder Verbände herkommen, die zusätzliche Zertifizierung trotzdem zu machen?

Rafaël Schneider: Auf der einen Seite kann man den Kunden guten Gewissens versichern, dass die Produkte im Einklang mit dem Menschenrecht auf Nahrung hergestellt werden. Damit können Unternehmen natürlich auch werben.

Auf der anderen Seite möchte kein Unternehmen damit konfrontiert werden, dass in seiner Wertschöpfungskette grundlegende Menschenrechte verletzt werden. Für die Unternehmen bieten wir ein Werkzeug, mit dem sie nachweisen können, dass sie ihr Möglichstes getan haben, um mit dem Menschenrecht auf Nahrung im Einklang zu sein. So kann das Unternehmen also auch Risiken managen.

Aber Unternehmen können rechtlich nicht dazu verpflichtet werden, den Standard für Ernährungssicherheit einzusetzen, oder?

Rafaël Schneider: Direkt einklagen kann man die Verwendung unseres Standards nicht. Bisher sind alle Zertifikate noch freiwillig - es sei denn, die Rohstoffe kommen in den Tank. Biosprit und Biodiesel müssen zertifiziert sein.

Deutsche Unternehmen kaufen Agrarrohstoffe in der Regel auf dem Weltmarkt ein. Deshalb sollten sie auf die Einhaltung der Menschenrechte in den Wertschöpfungsketten achten.

Schlussendlich wird das alles aber doch auch Geld kosten. Als Verbraucher muss ich zwar nichts zusätzlich wissen, aber ich muss die Zertifizierung mitbezahlen - oder?

Rafaël Schneider: Die Zertifizierung wird schlussendlich der geringste Kostenfaktor werden. Die wirklich hohen zusätzlichen Kosten werden dort entstehen, wo wir Agrarprodukte importieren, bei deren Erzeugung bisher keine Ernährungssicherheit gewährleistet ist. Die betroffenen Menschen durch würdige Arbeitsbedingungen, landwirtschaftliche Voraussetzungen und Infrastruktur et cetera so weit zu bringen, dass sie das ganze Jahr über genug und gut zu essen haben, das wird sich in unseren Preisen niederschlagen.

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