Polizeigewalt und Armutsquote: Macron in der Kritik

Sein Innenminister will nichts von Vorwürfen einer unprovozierten Polizeigewalt wissen; Ergebnisse des statistischen Amts weisen Macron als Präsident der Reichen aus

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Die Kurven für die Industrieproduktion in Frankreich zeigen nach unten. Das sei wirklich schlimm, so der Befund von Makroskop zur europäische Konjunktur. Frankreich und Italien wird vom Wirtschaftsmagazin der Weg in eine Rezession vorausgesagt.

Beim Bau und im Einzelhandel sieht es auch nicht gut aus im Nachbarland. Im großen Bild für den europäischen Wirtschaftsraum prognostiziert man eine "Verschärfung der wirtschaftlichen Lage sowohl auf der Preisseite als auch auf der Seite der Arbeitslosigkeit". Dabei zeigt Makroskop auf den neuralgischen Punkt, den man insistierend der gängigen Wirtschaftsvernunft vorwirft: Das verbreitete Rezept, Unternehmen über Steuersenkungen zu mehr Investitionen anzutreiben, bezeichnet man als eine der dümmsten Ideen überhaupt. "Wer bisher bei relativ hoher Auslastung nicht investiert hat, wird das staatliche Geschenk einstreichen und weiterhin nichts tun."

Auf dieser Annahme, wonach mehr Steuerentlastungen Geld für Unternehmer und für Begüterte zu mehr Investitionen führen, beruht im Kern auch das Wirtschaftskonzept des französischen Staatspräsidenten Macron. Bislang bleiben die großen Erfolge aber aus. Stattdessen rumort es im Land. Am Wochenende sorgten Streiks der Eisenbahngesellschaft SNCF für "Chaos".

Vergangene Woche gingen Mitglieder der Berufsfeuerwehr auf die Straße. Es ging um eine bessere Entlohnung und Prämien, aber auch generell um einen besseren Schutz ihrer Arbeit. Wie in Deutschland auch gibt es in Frankreich das Phänomen, dass Feuerwehrleute bei Rettungseinsätzen behindert und beschimpft werden ("Verbale und physische Unhöflichkeiten, die sich häufen"). Ziel der Kritik war Innenminister Castaner.

Die Realität nicht sehen

Nun kam es auch bei der Demonstration der Feuerwehr zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die sich aufschaukelten. Die Bilanz wies die von Gelbwesten-Protesten bekannten Resultate auf: Es gab Verletzte durch Polizeigewalt. Die Umstände sind noch nicht geklärt, aber Innenminister Castaner verstärkte bei einem TV-Auftritt am vergangenen Donnerstag den Eindruck, dass die französische Regierung bei Vorwürfen der Polizeigewalt die Realität nicht sehen will, sondern eine Wirklichkeit nach eigener Auslegung bevorzugt.

Castaner bezeichnete den Vorwurf, dass die Polizeigewalt während der Gelbwestenproteste auch Unschuldige traf, als falsch. Der David Dufresne hatte ihn damit konfrontiert, dass 80 Personen durch den Beschuss mit "nicht-tödlichen Waffen" seitens der Polizei ihr Augenlicht und fünf eine Hand verloren haben, ohne dass die sich die Polizisten einer der Vorfälle Prüfung unterziehen mussten.

Der Innenminister bestritt den Skandal und betonte, dass man solchen Fällen juristisch nachgehe. Doch hatte die Zeitung Le Monde tagsüber einen exemplarischen Fall dokumentiert. Dort wird in Einzelheiten, unterlegt mit Bildmaterial und einer genauen Analyse der Szene, in der ein Demonstrant, der nichts mit Gewalttaten bei den Protesten zu tun hatte und die Polizei auch nicht provozierte, durch einen Beschuss von Polizisten schwere Kopfverletzungen davontrug. In seinem Fall gab es keine Prüfung.

Die Umgebung des Innenministers musste einräumen, dass es in diesem Fall eine "Confusion" gebe, Innenminister Castaner weigerte sich jedoch weiter, auf die Vorwürfe des Journalisten Dufresne einzugehen.

Verstärkte Anzeichen für Ungleichheit

Das Bild einer Regierung mit einer einseitigen Betrachtungsweise wurde dann noch mit einer Mitteilung des staatlichen Statistikamtes Insée erhärtet. Daraus geht hervor, dass die steuerlichen Maßnahmen unter Macron - insbesondere die Abschaffung der Vermögensteuer und die "Flat-Rate" bei der Kapitalertragssteuer - offensichtlich den Bessergestellten nutzen, für die eine deutliches Einnahmeplus verbucht wird. Dass aber anderseits die Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit bislang nichts fruchten.

Der Indikator für die Ungleichheit - so der Gini-Koeffizient - sei nach mehreren Jahren nun wieder gestiegen (er liegt derzeit bei 0,294), die Armutsquote habe sich gegenüber dem Vorjahr von 14,1 Prozent auf 14,7 gesteigert. Das entspricht etwa 9,3 Millionen Franzosen, die als Einzelpersonen mit weniger als 1.050 Euro im Monat auskommen müssen oder als vierköpfige Familie mit weniger als 2.205 Euro.

Da aber bestimmte Maßnahmen der Regierung wie die Kürzung von Mietzuschüssen für Sozialwohnungen durch geringere Mieten konterkariert würden und die Effekte noch nicht klar zu berechnen sind, wäre es möglich, so Insée, dass die Armutsquote bei 14,1 bleibt. Auch das wäre aber ein schwaches Zeugnis für Macron, so die Kritiker, da er eine Verbesserung versprochen habe und die einige Verbesserung, die ohne jeden Zweifel sichtbar ist, sind die Gewinne derjenigen, die schon Kapital haben.