Polen: Abkehr von Brexit-Britannien?

Die polnische nationalkonservative Regierung will die Ausgewanderten zur Rückkehr bewegen, die Torys werben für ein Bleiben

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Wie viele bleiben, wie viele gehen? Die Polen, mit rund einer Million Menschen die größte nationale Minderheit in Großbritannien, und ihre Reaktion auf den kommenden Brexit beschäftigt die britische wie polnische Öffentlichkeit. Die polnische nationalkonservative Regierung will sie zur Rückkehr bewegen, die Torys werben für ein Bleiben.

Die konservative polnische Zeitung "Rzeczpospolita" meint zu erkennen, dass es einen Trend zur Remigration gebe; nur 38 Prozent der Polen haben einen Antrag auf "Settled Status" gestellt - eine Art obligatorische Aufenthaltsgenehmigung für die Zeit nach dem Brexit. Diesen Antrag hätten von den Rumänen und Bulgarien auf der Insel bereits 80 Prozent gestellt; die Prozedur muss bis Ende 2020 abgeschlossen sein. Der nächste Austritts-Termin ist auf den 31. Januar gelegt w0rden.

Bereits im vergangenen Jahr verließen 116.000 Polen das Vereinigte Königreich, die polnische Botschaft in London geht davon aus, dass davon 80 Prozent in ihr Heimatland zurückgekehrt sind. "Die Polen wollen nach Hause, da der Kurs des Pfunds aufgrund der Unsicherheiten um den Brexit fällt und weil sich die Lebensqualität in Polen zum Besseren wandelt", [Link auf sagt]sagt der Botschafter Arkady Rzegowcki.

Die polnische Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) ist derzeit sehr um die Rückkehr der Landsleute bemüht. Vor den Wahlen, die die Rechtskonservativen gewannen, warb Premierminister Mateusz Morawiecki um die Heimkehr und versprach weiterer Sozialpakete wie eine 13. und 14. Rente sowie eine Verdoppelung des Mindestlohnes. Die Rückkehr der Polen aus westeuropäischen Ländern wird so zu einer Prestigesache des "Wandels zum Guten", wie die nationalkonservative Revolution offiziell heißt.

Allerdings liegt der polnische Durchschnittslohn bei etwas mehr als umgerechnet 1000 Euro brutto, in Großbritannien bei umgerechnet rund 2800 Euro brutto. Auch hat die polnische Regierung kein Konzept vorgestellt, wie einer großen Zahl von Rückkehrern der Weg in die alte Heimat erleichtert werden kann.

Zeigten sich viele der Konservativen in Großbritannien nach der Brexit-Abstimmung 2016 gegenüber den Einwanderern, die mit der EU-Erweiterung ab 2004 nach Großbritannien migrierten, eher unwirsch im Ton, hat sich dies geändert. "Eure Rechte werden verteidigt, was immer auch passiert", erklärte Premier Boris Johnson gegenüber den Polen im Vereinigten Königreich Ende Oktober. Bei den Neuwahlen, angesetzt auf den 12. Dezember für das Unterhaus, führen bislang die Konservativen unter Johnson.

Der Abgeordnete Mark Francois hob kürzlich sogar die Bedeutung der polnischen Jagdstaffel Division 303 in der Luftschlacht 1940 um England hervor. Balsam für viele patriotisch gestimmte Einwohner von der Weichsel.

"Ich kenne keinen Betrieb hier, in dem nicht Polen arbeiten"

Einen Brexodus scheint derzeit die britische Wirtschaft nicht zu wünschen, polnische Arbeitskräfte werden gebraucht. "Ich kenne keinen Betrieb hier, in dem nicht Polen arbeiten", meint Krzysztof Kotowski, Psychologe in Peterborough, im agrarischen Ostengland, gegenüber Telepolis. Zudem seien viele Polen im Gegensatz zu den später gekommenen Rumänen und Bulgaren auf höhere Positionen gelangt, hätten mehr zu verlieren. Doch im Gespräch mit seinen Patienten hört er vor allem von Rückkehrplänen.

"Wir Polen sind da spezifisch, wir schieben alles auf", meint Jaroslaw Kozminski, der Chefredakteur der polnischen Exilzeitung Tydzien Polski in London auf Anfrage von Telepolis. Viele seiner Landsleute würden in Großbritannien in einem polnischen Ghetto leben, wichtig sei ihnen vor allem, dass das nähere (polnische) Umfeld stimme. Kosminski glaubt, dass die Polen erst einmal den Brexit abwarten und dann schnell entscheiden werden. Dank der billigen Flugangebote seien die Polen mobiler und nicht mehr so lange von ihrer Heimat isoliert wie einst und könnten vergleichen.

In Gesprächen mit Polen hat der Autor dieser Zeilen immer wieder Unterschiedliches erzählt bekommen, von erlebter spürbarer Ablehnung bis hin zum Ausbleiben jeder Unhöflichkeit. Die Aversion gegen die Zuwanderer scheint in Großbritannien jedoch zu wachsen. Zumindest im Internet. Das in Gdingen (Gdynia) ansässige AI Start-up "Samurai Labs" hat ein Anwachsen der Hetze gegen Polen in den Sozialen Medien Großbritanniens um 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet.

Die britische Polizei beauftragte die polnischen Spezialisten zu dieser Recherche, die mit der "dritten Generation der Künstlichen Intelligenz" arbeiten. Sogar Sarkasmus soll von dem polnischen Programm bereits dechiffriert werden können. Sollten sich die Aversionen der Briten nicht auf die sozialen Medien beschränken und im Alltag der Polen im Vereinigten Königreich bemerkbar werden, kann dies einen entscheidenden Einfluss für die Blackbox "Gehen oder Bleiben?" haben.

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