Faschistoide VOX drittstärkste Kraft in Spanien

Foto: Ralf Streck

Die nationalistische Partei Ciudadanos ist als Wegbereiter dagegen abgestürzt; Parteichef Rivera muss den Hut nehmen und tritt von der politischen Bühne ab

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Dass in Spanien wieder einmal Katalonien bei den vierten Wahlen in nur vier Jahren am Sonntag entscheiden würde, war abzusehen. Ebenfalls abzusehen war, dass die rechtsradikale Partei VOX noch größeren Zulauf bekommen würde. Unklar war, ob die Linkskoalition Unidas Podemos ("Gemeinsam können wir es") etwas besser abschneiden würde und so verhindern könnte, dass die offen faschistoid auftretende und argumentierende Vox sogar drittstärkste Kraft werden würde. All das geschah nicht, weil es aus der Linkskoalition zudem eine Abspaltung gab, die das verhinderte.

Spanien als Ausnahmeerscheinung

Lange wurde behauptet, dass Spanien eine Ausnahmeerscheinung sei, weil angeblich keine rechtsextreme Partei im Parlament gesessen haben soll. Das hatte sich schon im April geklärt, als Vox mit gut 10% eingezogen ist. Falsch war die Ansicht ohnehin, wie der Experte Jordi Borràs im Telepolis-Interview ausführlich erklärt hatte, weil Rechtsextreme, Franquisten und Faschisten zwar keine eigene Partei hatten, aber in der - nach Auffassung des Autors "postfaschistischen" - Volkspartei (PP) überwintert hatten.

Gegründet vom ehemaligen PP-Parlamentarier Santiago Abascal ist Vox nur eine rechte Abspaltung einer von ehemaligen Ministern der Franco-Diktatur gegründeten Partei, die sich nie von Putsch und Diktatur distanziert hat. Dass wir es mit Vox nun mit einer deutlich radikaleren Partei zu tun haben, die keinerlei Blatt vor den Mund nimmt und unmissverständlich für rechtsextreme Ansichten steht, damit ist Spanien vermutlich nun tatsächlich in Europa eine Ausnahmeerscheinung, da eine solche Partei von 15,1% der Wahlberechtigten gewählt wurde, die ihre Stimme abgegeben haben.

Das sind mehr als 3,6 Millionen Menschen. In einigen Gegenden Andalusiens ist sie stärkste Partei mit bisweilen 35%. Sie wird dort nun mit 52 statt mit 28 Sitzen vertreten sein. Im April erhielt sie noch 10,3 Prozent.

Absturz der rechts-neoliberalen Ciudadanos

Auch die PP konnte zulegen. Sie kam statt auf knapp 16 nun auf knapp 21 Prozent. Statt 66 erhält sie nun 88 Sitze. Die Gewinne kommen aus dem Absturz der rechts-neoliberalen Ciudadanos. Die Partei von Albert Rivera - ebenfalls einst PP-Mitglied -, stürzte auf 6,8% ab und hat nur noch 10 von zuvor 47 Sitzen. Noch im April war die Cs, die sich selbst "liberal" nennt, mit knapp 16% drittstärkste Kraft. Parteichef Rivera wollte in der Wahlnacht keine Konsequenzen ziehen, doch der Absturz war so fatal, dass er am Montag angekündigte, sich komplett aus der Politik zurückzuziehen. Er gibt nun auch seinen Parlamentssitz ab.

Viel Gutes kann man über den Mann nicht sagen, der vor allem mit Ultranationalismus gegen den Feind in Katalonien Stimmung machen wollte. Er fuhr eine Hetzkampagne, doch die Früchte daraus ernten die noch radikaleren Vox-Leute, die er hoffähig gemacht hat, als er mit ihnen gemeinsam in Madrid gegen jeden Dialog - und damit gegen Politik - mit den Katalanen demonstriert hat.

Fatal für ihn und seine Partei war auch, dass er in Andalusien, Madrid und Murcia mit der PP in Koalitionen steckt, die von den Ultrarechten abhängig sind. Damit hatte er es sich schon bei vielen Wählern im Zentrum verscherzt. Und dass er sich weigerte, Pedro Sánchez eine Mehrheit zu verschaffen, womit dem Land nun immer klarer das Label der Unregierbarkeit aufgeklebt wird, haben ihm auch in der Partei viele nicht verziehen. Parteigründer und Parteiführer verließen die Partei in Scharen.

Das Rivera nun den Hut nimmt, ist ein erstes positives Zeichen, da es Spanien fast unbekannt ist, dass Politiker Verantwortung für ihre Fehlleistungen übernehmen. "In Kohärenz mit dem was ich bin, wird es wohl niemanden überraschen, dass ich heute als Präsident der Ciudadanos zurücktrete."

So ganz sicher war er sich dann wohl doch nicht, sonst hätte er gleich in der Wahlnacht die Verantwortung für das Debakel übernommen. Die Partei ist tief in der Krise und ob die vermutliche Nachfolgerin Ines Arrimadas, die diesen Kurs mit vorangetrieben hat, sie aus dieser Sackgasse herausführen kann, ist eher unwahrscheinlich.

Die Sozialdemokraten (PSOE) von Pedro Sánchez legen nicht zu

Nach einer ersten schnellen Einschätzung aus der Wahlnacht lohnt es sich aber die Ergebnisse noch genauer anzuschauen. Denn insgesamt haben die drei rechten Parteien gegenüber April leicht an Bedeutung verloren. Sie kamen nur noch auf 42,7% statt 42,9%. Sie haben aber mehr als eine Million Stimmen verloren, wofür die geringere Wahlbeteiligung verantwortlich ist, die mit 69,9 % zwei Punkte niedriger ausfiel. Dass der Rechtsblock nun mit 152 Sitzen drei mehr als noch im Frühjahr erhalten hat, ist dem absurden Wahlgesetz geschuldet.

Üblicherweise schadet eine geringere Beteiligung der Linken, was nun nicht der Fall war. Die Sozialdemokraten (PSOE) von Pedro Sánchez legen aber nicht zu, wie es der geschäftsführende Ministerpräsident beim Ansetzen von vorgezogenen Neuwahlen absurderweise erhofft hatte. Man fragt sich, welche Berater er hat.

Er hatte nichts vorzuweisen außer gebrochenen Versprechen. Dass er den Diktator dann noch aus wahltaktischen Gründen exhumiert hat, daraus praktisch aber ein Staatsbegräbnis gemacht und nun zwei Gedenkstätten für Ewiggestrige wie Vox geschaffen hat, nützte ihm nichts mehr.

Die PSOE fiel von knapp 29 Prozent auf 28% zurück und verliert damit drei Sitze. Fatal ist für Sánchez, dass der Absturz der Cs ihm definitiv den Weg verbaut, mit ihr eine Mehrheit zu schaffen, wie er es stets im Auge hatte und wie es im April möglich war. Doch Rivera verweigerte sich und führte die Cs an den rechten Abgrund. Eine Koalition PSOE-Cs bliebe mit 130 Parlamentariern weit entfernt von einer Mehrheit.

Die Linken

Selbst wenn die Linkskoalition Unidas Podemos ("Gemeinsam können wir es"/UP) einsteigen würde, wäre man mit 165 noch weit von den notwendigen 176 Sitzen entfernt, dazu müsste aber die katalanische Schwester En Comu Podem mitmachen, die auch Federn lassen musste, allerdings ihre sieben Sitze verteidigen konnte. Podemos mit der Schwester in Katalonien kommt auf knapp 13% und erhält damit einen Punkt mehr als bei den Wahlen im April.

Mit der Abspaltung Mas País, die weitere 2,3% einfuhr und drei Sitze erhält, hätte man den Stimmenanteil sogar deutlich vergrößern können. Doch das Wahlgesetz straft die Zersplitterung ab. Hatten UP mit den Comunes bisher 42 Sitze, so sind es nach der Spaltung nur noch 38. So ergibt sich durch das absurde Wahlgesetz die verzerrte Lage, dass die Linke sogar insgesamt Zugewinne verzeichnet, aber nun über noch weniger Sitze im Parlament verfügt als noch im April.

Eigentlich müssten die Parteiführer von Sozialdemokraten und Unidas Podemos dem Vorbild von Albert Rivera folgen und ebenso den Hut nehmen. Denn die beiden Alfa-Männchen Pedro Sánchez und Pablo Iglesias sind für die fatale Lage ebenfalls zentral mitverantwortlich. PSOE-Chef Sánchez ist absolut dialogunfähig und das gilt auch zu einem guten Teil für Iglesias.

Sein Macho-Auftreten hilft nicht weiter und auch er ist ein Narziss, der niemanden neben sich duldet, der ihm gefährlich werden könnte. Er hat seinen früheren Freund Inigo Errejón faktisch aus der Partei geworfen, nachdem er ihn wie andere kaltgestellt hatte.

Mit einer Kampfkandidatur gegen ihn hatte Iglesias sogar im Frühjahr dafür gesorgt, dass dessen Formation in Madrid nicht weiterregieren konnte. Eine von Vox gestützte Koalition kam an die Macht und dreht nun Erfolge der Linken zurück, dank der erratischen Politik von Iglesias. Nur wenn die Protagonisten abtreten, die eine Regierungsbildung im April unmöglich gemacht haben, besteht eine Chance, dass Spanien aus dem Schlamassel kommt.

"Sit and talk"-Aktion. Bild: Anonymous

Dass nun die PSOE und ihr Chef schon wieder einmal umgeschwenkt sind und plötzlich wieder einer "progressiven Regierung" das Wort reden, ist fast schon peinlich. Die Vorrausetzungen dafür waren im April deutlich besser. Klar, Sánchez ist der Wunschpartner weggebrochen, da er unbedingt wieder Regierungschef werden will, ist er plötzlich zu einer Koalition mit UP bereit, die sich aber angeblich nicht auf Stimmen der Katalanen stützen soll.

Mehrheitsbildungen?

Will die Truppe von Sánchez Spezialdemokraten die Menschen für dumm verkaufen? Sogar mit den Stimmen der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) kommt er nicht auf eine Mehrheit, wenn UP sogar die Stimmen der Cs akzeptieren würde. Er braucht ohne die Cs die Stimmen der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) erneut und dazu sogar die Stimmen der baskischen EH Bildu ("Baskenland vereinen") oder einige von Gemeinsam für Katalonien (JxCat).

Und all diese Parteien an der "Peripherie" sind wichtiger geworden. Sowohl die katalanische als auch die baskische Unabhängigkeitsbewegung haben ihr Gewicht im Kongress vergrößert. So zieht die linksradikale katalanische CUP erstmals mit zwei Sitzen ins spanische Parlament ein. Die Republikanische Linke (ERC) wurde wieder stärkste Partei in Katalonien. Sie verliert aber Stimmen und kommt nur noch auf 13 statt auf 15 Sitze, was genau dem Schmusekurs gegenüber Sánchez geschuldet war. Ihr Versuch, Sánchez durch Enthaltung ohne Gegenleistungen an die Macht bringen zu wollen, hob sie nicht auf neue Rekorde.

Diese Stimmen wanderten zur CUP und zur offenen Liste von Exilpräsident Carles Puigdemont ab, auf der auch gestandene Linke wie Roger Español kandidiert haben, der das im Telepolis-Interview ausführlich begründet hat. Obwohl die Wahlbeteiligung niedriger ausfiel, erhielt die Partei Gemeinsam für Katalonien (JxCat) knapp 30.000 Stimmen mehr und kam auf 13,7 statt auf 12%. JxCat war nicht bereit, Sánchez gratis erneut zum Regierungschef zu machen. Sie zeigt sich erneut zum Dialog bereit, doch sie macht klar, dass die Unterstützung ihren Preis hat. Und auch die ERC formuliert nun Forderungen, nachdem ihr Weg nicht goutiert wurde.

Der "Tsunami" ist unterwegs

Ähnlich waren die Ergebnisse im Baskenland. Die Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) gewann einen Sitz hinzu, der nicht auf Kosten der linken EH Bildu ging, holte ein Rekordergebnis und legte trotz geringerer Beteiligung 20.000 Stimmen zu und kam nun auf 18,3%. Belohnt wird ihr Kurs mit nun fünf Sitzen im Parlament und einer eigenen Fraktion. Die drei spanischen Rechtsparteien holten im Baskenland keinen einzigen Sitz.

Auf den katalanischen Straßen ist derweil wieder der Tsunami unterwegs. Viele hatten, nach dem Fest-Tsunami am Samstag für Montag als Reaktion auf die Wahlergebnisse eine erneute Flughafenblockade erwartet. Doch seit dem Morgen ist die Grenze zu Frankreich auf der französischen Seite blockiert, um spanischen Sicherheitskräften ein erneutes brutales Vorgehen gegen die friedlichen Protestierer zu verunmöglichen.

Staus an der Grenze bei Pertus. Foto: Anonymous

Ausgeharrt werden soll bis Mittwoch. "Wenn Europa nicht hört, kommt Europa nicht durch", ist die Parole und der Waren- und Personenverkehr über die zentrale Mittelmeerroute derzeit fast unmöglich. Auch an anderen Orten werden Straßen blockiert, wie in Barcelona.

"Sit and talk" heißt hier erneut die Devise, um Spanien klarzumachen, dass man sich an einen Tisch setzen und verhandeln muss. Am Dienstag und Mittwoch wird Tsunami Democràtic zu weiteren spektakulären Aktionen über ihre APP mobilisieren, die trotz Verbot einwandfrei funktioniert.