USA: Debatte über Dezentralisierung

Graue Wolken über Washington D.C. Foto: Pixabay

Zwei Senatoren wollen Regierungsarbeitsplätze aus dem Moloch Washington über ganz Amerika verstreuen

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Marsha Blackburn und Josh Hawley, zwei republikanische Senatoren aus Tennessee und Missouri, erregen derzeit mit dem von ihnen eingebrachten Helping Infrastructure Restore the Economy Act (HIRE) Aufmerksamkeit. Die Gesetzesvorlage fordert nämlich, dass zehn amerikanische Bundesministerien umziehen sollen.

Vier der neuen Standorte, die die Senatoren vorschlagen, sind Rust-Belt-Bundesstaaten, die früher einmal zum industriellen Herz Amerikas gehörten, jetzt aber an den deindustrialisierenden Auswirkungen des Freihandels leiden: Michigan (wohin sie das Verkehrsministerium verlagern wollen), Ohio (das zukünftig das Wohnungs- und Stadtentwicklungsministerium beherbergen soll), Pennsylvania (das als neue Heimat des Handelsministeriums vorgesehen ist) und Indiana (das sie für einen geeigneten Standort für das Gesundheitsministerium halten.

Die restlichen sechs sind eher ländlich geprägt, wobei West Virginia mit seinen Kohlegruben eine Verbindungsposition zum Rust Belt einnimmt. An diesen Bundesstaat soll das Arbeitsministerium gehen. South Carolina soll das Veteranenministerium bekommen, New Mexico die Bundesimmobilienverwaltung, Kentucky das Energieministerium, Tennessee das Erziehungsministerium und Missouri das Landwirtschaftsministerium.

Vorwurf Kirchturmpolitik

Dass mit Tennessee und Missouri auch die beiden Heimatbundesstaaten der beiden Senatoren vom Großumzug profitieren würden ist nachvollziehbar. Wäre das nicht der Fall, bräuchten sie sich wahrscheinlich gar nicht erst um eine Wiederwahl bewerben. Es ist aber auch der Angriffspunkt, an dem die Gegner so einer Dezentralisierung ansetzen. Sie werfen Blackburn und Hawley eine Kirchturmpolitik vor, die vor allem die Interessen ihrer Wahlgebiete im Auge hat. Ein Vorwurf, dem sich schwer offen widersprechen lässt, wenn man wiedergewählt werden will.

Die demokratische Washingtoner Repräsentantenhausabgeordnete Eleanor Holmes Norton rechnete Blackburn und Hawley darüber hinaus vor, dass 85 Prozent aller Bundesangestellten ohnehin gar nicht im Großraum der Bundeshauptstadt leben, weil sie in einer der zahlreichen Außenstellen der Behörden arbeiten. Die beiden Republikaner können dem entgegenhalten, dass sich die gutbezahlten Spitzenjobs mit sechsstelligen Jahresgehältern trotz dieser 85 Prozent in der Bundeshauptstadt konzentrieren. Und weil man auch in den USA besser mit dem Schmid als mit dem Schmidl redet, siedeln sich dort auch die meisten der zahlreichen privaten Dienstleister an, die von Regierungsaufträgen leben.

"It's hard to hate someone you know"

Wegen dieser örtlichen Nähe und der in jeder Hinsicht kurzen Wege neigt man nicht nur in Washington, sondern auch in anderen Hauptstädten häufig zur Blasenbildung. Politiker und Wirtschaftsakteure, aber auch die Mitarbeiter von Medien, die dort leben, tendieren dazu, sich und ihr Umfeld immer mehr als Nabel der Welt und "die Menschen draußen im Lande" als "Deplorables" wahrzunehmen, als "Bedauernswerte". So entstehen Spaltungen, die sich zunehmend vertiefen. Eine räumliche Dezentralisierung wirkt solchen Spaltungen potenziell entgegen. Ein Effekt, den der für South Carolina im Senat sitzende Republikaner Tim Scott mit dem Satz "It's hard to hate someone you know" auf den Punkt brachte.

Auch in Deutschland zeigen sich solche Effekte bereits 20 Jahre nach dem Regierungsumzug nach Berlin deutlich - trotz des Verbleibs der Ministerien für Verteidigung, Landwirtschaft, Entwicklungshilfe, Umwelt, Gesundheit und Bildung sowie dem von zusätzlich etwa 50 Bundesämtern und -einrichtungen in Bonn. Das hängt auch damit zusammen, dass es der deutschen Bundeshauptstadt nach der Wiedervereinigung nicht gelang, sich wirtschaftlich auf eigene Füße zu stellen. Man lebt - wie zu Zeiten der Mauer - über den Länderfinanzausgleich zu einem guten Teil von den Steuergeldern, die die Bürger anderswo erwirtschaften (vgl. Berlin macht Deutschland ärmer und "Fordern und fördern auch für Bundesländer").

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