Frankreich: Verteidigungsbereitschaft der EU verstärken

Laut Medienberichten arbeitet die französische Regierung darauf hin, die Beistandsklausel im EU-Vertrag zu ändern. Ziel ist mehr Unabhängigkeit von der Nato

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"Europa kann sich selbst verteidigen", sagte Macron kürzlich und hat mit dieser und anderen Äußerungen im "Nato-Hirntod-Interview" Irritationen ausgelöst. Nun würden strategische Risse deutlich, berichtet die SZ aus Berlin und Brüssel. Macrons Stachel gegen die USA und die Nato sitzt an einer interessanten Stelle, so die Zeitung:

Schon länger wirkt die Kanzlerin genervt von der hibbeligen Art des Präsidenten, doch nun geht der Konflikt tiefer. Gilt der Erhalt der Nato in Berlin als sicherheitspolitische Überlebensfrage, so scheint Paris andere Ziele zu verfolgen.

SZ

Dass Macron das Überleben der Nato gefährdet, wie dies die Zeilen der beiden Korrespondenten aus Berlin und Brüssel suggerieren, spiegelt deutsche Sorgen wieder, Frankreich weist sich seit de Gaulle eine eigene Rolle im transatlantischen Verteidigungsbündnis zu. Auch kamen von US-Präsident Trump beim letzten Nato-Gipfel schon andere Attacken - auch da waren "die Staatschefs baff", wie der Spiegel seinerzeit berichtete.

Wenn die Trump-Äußerung - vom Spiegel so wiedergegeben: "Wenn nicht alle Nato-Partner bis Januar 2019 das Zwei-Prozent-Ziel erreichten, 'muss ich mein eigenes Ding machen'" - schon zu Krisensitzungen führt, zeigt sich, wie blank die Nerven bei den Nato-Partnern liegen und wie groß die Abhängigkeit von den USA ist.

"Unabhängiger vom Schutz der Nato werden"

Dagegen setzt nun Frankreich den Willen zu mehr Unabhängigkeit, der sich bisher in großen Worten seines Präsidenten und in kleineren, aber als bedeutend wahrgenommenen Aktionen zeigt. Wie am heutigen Samstag zwei deutsche Medien berichten, kursiert in EU-Diplomatenkreisen ein Arbeitspapier aus Paris, das die Beistandsklausel im EU-Vertrag modifizieren will - "um unabhängiger vom Schutz der Nato zu werden", wie Die Welt schreibt.

Die Beistandsklausel steht im Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags und war bis vor genau vier Jahren, bis zum 17. November 2015, der großen Öffentlichkeit unbekannt, wie es die damalige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini herausstellte. Vier Tage nach den fürchterlichen Terroranschlägen in Paris änderte sich dies. Der damalige französische Präsident bezog sich in seiner Rede zu den Terroranschlägen auf den Beistands-Artikel im EU-Vertrag, um Unterstützung zu fordern (Frankreich will militärischen Beistand der Europäer).

Dabei ging es nicht um einen Verteidigungsfall und Szenarien, die angestoßen werden, wenn der berühmte Artikel 5 des NATO-Vertrags erwähnt wird. Frankreich wollte damals, dass die französische Armee auf den "vielen Bühnen" seiner Auslandseinsätze z.B. in der Sahelzone unterstützt wird. Doch wurde damals schon der Vergleich zwischen dem Artikel des EU-Vertrags und dem Nato-Artikel gezogen.

Der Passus im EU-Vertrag sieht so aus:

(7) Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.

Die Verpflichtungen und die Zusammenarbeit in diesem Bereich bleiben im Einklang mit den im Rahmen der Nordatlantikvertrags-Organisation eingegangenen Verpflichtungen, die für die ihr angehörenden Staaten weiterhin das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung und das Instrument für deren Verwirklichung ist.

Artikel 42, EU-Vertrag

Aus dem Welt-Artikel geht hervor, dass nach Ansicht der französischen Regierung "die Operationalisierung der gegenseitigen Unterstützungsklausel (Art. 42,7; verstärkt werden soll". Sichergestellt werden soll, "dass jedes EU-Land, unabhängig von der Größe seines militärischen oder diplomatischen Netzwerks Artikel 42,7 reibungslos und rechtzeitig aktivieren kann".

Die geforderten Maßnahmen sollen nach Ansicht der französischen Regierung dazu führen, dass auch kleinere EU-Länder wie Schweden und Finnland, die zusammen mit vier weiteren Staaten (Zypern, Malta, Österreich, Irland) nicht der Nato angehören, im Falle eines Angriffs wirksam unterstützt werden können.

Die Welt

Das Handelsblatt, das sich auf dpa-Angaben bezieht - der Nachrichtenagentur liegt das Pariser Arbeitspapier ebenfalls vor - berichtet zusätzlich davon, dass Frankreich die Koordination unter EU-Staaten in einer Art "EU-Verteidigungsfall" ausbauen will. Das zeigt schon die Absicht, hier eine Eigenständigkeit zur Nato aufzubauen, auch wenn da noch ein ziemlich weiter Weg zurückzulegen ist.

"Krisensimulationsübungen"

Konkret, so der Handelsblatt-Bericht ist in dem Papier die Rede davon, "dass der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) im Fall eines Angriffs auf einen EU-Staat als 'Koordinationsdrehscheibe' für Unterstützungsleistungen aus den anderen EU-Ländern fungieren kann".

Gefordert werden zudem "Krisensimulationsübungen", um Fähigkeitslücken identifizieren "und den Geltungsbereich der Klausel überdenken". Geklärt werden solle zudem, "ob auch bei Cyberattacken oder sogenannter hybrider Kriegsführung Beistand geleistet werden müsse". Das klingt alles ziemlich fiktiv und virtuell, aber der "strategische Riss" zwischen Frankreich und Deutschland soll laut SZ echt sein, auch wenn man sich so nahe wie nie zuvor sei.

Für den Riss mitverantwortlich soll der Annäherungskurs Macrons an Russland sein, heißt es von den SZ-Korrespondenten. Das Verhältnis zu Russland bleibt der große wunde Punkt für die Nato und die alte Schule der Transatlantiker.

Das "Krisenjahr 2014" war entscheidend für eine engere Verknüpfung der EU-Verteidigungspolitik mit der Nato, wie ein Grundlagenpapier des deutschen Verteidigungsministeriums vom Juli dieses Jahres verdeutlicht. 2014 wird als Wendepunkt für eine "strategische Neuorientierung" ausgegeben. Man darf gespannt sein, ob Macron neue Weichen stellen kann.