Motorolas Falt-Klapp-Phone Razr in einem ersten Hands-On

Schon vergangene Woche wurde das neue Motorola Razr angekündigt. Nun konnten wir es in London einmal anfassen.

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Motorolas Falt-Klapp-Phone Razr in einem ersten Hands-On
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Inhaltsverzeichnis

2019 ist das Jahr, in dem faltbare Smartphones Schlagzeilen machen sollten. Royole FlexPai, Galaxy Fold, und Huawei Mate X sind kleine Tablets, die sich zu dicken Smartphones falten lassen. Motorola bringt den Gegenentwurf: Ein schlankes Android-Handy, das sich klein zusammenfaltet. Dieses Konzept überzeugt mich mehr als die drei anderen.

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Angekündigt wurde das neue Razr bereits letzte Woche in Los Angeles, aber heute hatten wir in London erstmals Gelegenheit, so ein Gerät in die Hand zu nehmen. Für jemanden, der jahrelang das 2004er Moto RAZR benutzt hat, ist das ein großen Déjà-vu.

Ja, es ist breiter und doppelt so schwer, aber die Art wie man es aufklappt und mit einem lauten Schnapp zusammenfaltet, das weckt Erinnerungen. So wie man seit dem iPhone gerne den Gummibandeffekt auf dem Display nutzt, so hat man früher gedankenverloren immer wieder das RAZR auf- und zugeklappt. RAZR wurde gesprochen wie Razor, Rasierer, und so dünn erschien das Gerät gegenüber der Konkurrenz. Technisch gab es besseres, aber nichts war so sexy. Oder so teuer.

Das wiederholt sich nun. Von den technischen Daten eher obere Mittelklasse, vom Preis her dagegen teurer als Flaggschiffe sämtlicher Android-Hersteller, allerdings deutlich günstiger als Galaxy Fold oder gar Mate X. In USA wird das Razr für 1500 US-Dollar exklusiv bei Verizon angeboten, in Europa wird man mit 1600 Euro rechnen müssen.

Motorola Razr (13 Bilder)

Einmal aufklappen, bitte ...
(Bild: Volker Weber / heise online)

Man kann sich dem Razr also nicht mit dem Datenblatt nähern, um seine Faszination zu verstehen. Dennoch seien die Eckpunkte kurz aufgezählt: Snapdragon 710, 6 GByte RAM, 128 GByte Speicher. Das Gehäuse ist derart klein, dass weder Speicherweiterung, Kopfhöreranschluss noch eine SIM reinpassen. Stattdessen muss man sich vom Carrier eine eSIM provisionieren lassen. Das dicke Kinn enthält die Funktechnik, einen GPS-Empfänger, einen Fingerabdrucksensor und den USB-Anschluss. Die beiden Akkus kommen zusammen auf magere 2500 mAh. Das flexible Display schafft nicht einmal 1080p und ist im 21:9-Format ausgesprochen lang und schmal. Das außenliegende, kleine Display dient nur für Statusanzeigen und Mitteilungen. Apps laufen dort nicht, anders als etwa beim Galaxy Fold.

Was macht das Razr nun besonders? Die Kunst besteht im Weglassen. Nur eine 16-Megapixel-Kamera mit f/1.7-Optik schießt Selfies und normale Fotos. Zweimal schnell das Handgelenk twisten und die Kamerasoftware startet. Ist das Razr zusammengeklappt, schaut man direkt in die Linse und sieht sein Konterfei auf dem kleinen Display. Klappt man das Gerät auf, wird das große Display zum Sucherbild, die Kamera wird von der Selfie- zur Hauptkamera. Für Videotelefonie gibt es oben am Bildschirmrand noch eine 5-Megapixel-Kamera, aber für Selfies klappt man das Razr einfach zu.

Ein aufgeklapptes Razr bedient sich wie jedes Android-Telefon. Bis auf die Moto Actions, etwa der Doppeltwist für die Kamera, ist das ein schlankes Android 9 ohne große Anpassungen. Alles ist vertraut und man kann gleich loslegen. Das Display ist dabei komplett flach, eine Falte ist nicht zu erkennen. Das liegt an der Konstruktion des Gelenks. Das Razr schließt nämlich komplett, bis beide Display-Hälften aufeinanderliegen. Um einen Falz zu vermeiden, wird das flexible Display in einem Bogen geführt, der zwischen den beiden Scharnieren verläuft. Im Profil würde das wie ein fallender Wassertropfen aussehen. Motorola hat dazu ein faszinierendes Video veröffentlicht.

Dieses Gelenk ist der heimliche Star des Razr. Das hat Motorola nicht allein hinbekommen, sondern Erfahrung aus Lenovos Yoga-Entwicklung einfließen lassen. Auch das ThinkPad X1 Fold, von dem heise online einen frühen Prototyp ausprobieren konnte, hat ein biegsames Display, das sich völlig glatt präsentiert, nachdem man es komplett aufgeklappt hat. Da sich Glas nicht biegen lässt, muss auch das Razr-Display eine Kunststoff-Oberfläche haben. Motorola macht sich hier die Erfahrungen zunutze, die mit dem Droid Turbo 2 und dem Moto Z Force gemacht wurden. Deren Displays waren schlagfest aber nicht ganz kratzfest. Allerdings liegt beim Razr das Display innen, wenn man es transportiert, und man kann es nur bei der Benutzung beschädigen.

Wasser- oder staubdicht ist Razr nicht. Das kann man schon sehen, wenn man die Scharniere am Rande des Bildschirms anschaut. Ein Nanocoating soll die Elektronik vor Spritzwasser schützen, man kennt das von Sportkopfhörern. Das Display bleibt beim Klappen ziemlich in Bewegung. So schiebt es sich am unteren Ende auch in das Kinn, um Spannungen zu vermeiden. Dieses Kinn ist ein prächtiger Griff beim Fotografieren und einhändiger Video-Betrachtung. Da sich die meisten Icons und Bedienelemente am unteren Rand befinden, bedient sich das Razr sehr leicht mit einer Hand. Ein nostalgisches Osterei liefert Motorola auch noch mit. Die untere Bildschirmhälfte erscheint dann im Tastaturlook des alten Moto RAZR.

Eigentlich wollte Motorola das neue Klapphandy schon Ende Mai präsentieren. Die ersten Leaks gab es im März. Als Samsung den Start des Folds versemmelte, bekam Exklusivpartner Verizon kalte Füße. Alles musste noch mal gecheckt werden, über die Samsung-Pleite sollte Gras wachsen. Diese Verzögerung erklärt auch, warum Razr mit Android 9 statt dem mittlerweile verfügbaren Android 10 startet. Verizon nimmt um Weihnachten herum Bestellungen auf, im Januar soll geliefert werden. Auch in Europa geht Razr an den Start, vermutlich in UK und Italien zuerst.

Das Razr wird ein teurer Spaß. Es könnte durch sein pfiffiges Design zu einem Verkaufserfolg werden, aber es könnte wegen seines hohen Preises auch ein Ladenhüter werden. Ich wage da keine Voraussage. Ein Erfolg ist es für Motorola jetzt schon, denn die Aufmerksamkeit ist enorm. Sehr schön anzusehen ist der Wettbewerb der Ideen. Nach Jahren der immer gleicher werdenden Smartphones kommt endlich wieder Bewegung ins Design. Dass Motorola hier die eigene glorreiche Vergangenheit zitiert, tut dem keinen Abbruch. Ich persönlich finde ein sich klein zusammenfaltendes Handy begehrenswerter als ein Tablet, das zusammengelegt immer noch ein großes Smartphone ist. Das liegt auch daran, dass der flexible Bildschirm des Razr ein gewohntes Format hat. Apps sehen einfach gut aus. Mit einem langen Display kann ich zudem mehr anfangen als mit einem quadratischen.

So oder so wird Razr kein Einzelstück bleiben. Motorola spricht schon von einem Franchise, mit anderen Worten einer ganzen Reihe von Geräten. Man muss sich nur den Rest des Portfolios anschauen, um die Vielfalt von Geräten zu erahnen, die Motorola aus einem Modell herausholen kann. So, Schluss aus. Ich lege jetzt auf. Klapp! (vowe)