Onkel Arturo und der Mossad

Der argentinische Präsident Frondizi mit Militärs. Bild: Archivo General de la Nación.

Entführung Adolf Eichmanns im Dienstwagen - Neues vom Mai 1960 - Teil 3

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Es war nicht der Mossad, es waren hohe Mitglieder der Regierung von Präsident Arturo Frondizi, die am 11. Mai 1960 den Kriegsverbrecher Adolf Eichmann in Buenos Aires verhaftet hatten. Im Dienstwagen. "Chapa oficial", mit amtlichem Nummernschild, so ein Bericht des Geheimdienstes.

Nach drei Jahren Militärherrschaft hatten Arturo Frondizi und seine UCRI 1958 die Wahlen gewonnen. Die Partei war die linke Abspaltung der traditionellen Radikalen Bürgerunion und für die argentinischen Militärs höchst verdächtig. Sie hatte mit den Stimmen der verbotenen peronistischen Partei gewonnen und Frondizi stellte sich gegen die allmächtigen US-Erdölgesellschaften. Sein Vertrauter, der Abgeordnete José Liceaga, hatte mit dem Kreml einen 100-Millionen-Dollar-Kredit ausgehandelt; ein Jahr später stimmten argentinische Diplomaten in der UN-Hauptversammlung für die sowjetische Initiative einer atomwaffenfreien Welt.

Es tobte der Kalte Krieg und Frondizis Generäle wollten, Hand in Hand mit der Regierung von Dwight D. Eisenhower, von Rüstungskontrolle nichts wissen. Sie hatten sich zwar in ihre Kasernen zurückgezogen, kontrollierten aber über ihre Geheimdienste weiterhin das Geschehen. Sie bekämpften im Rahmen des Notstandsplans "Conintes" Gewerkschafter und den peronistischen Widerstand, ließen Widersacher foltern. Frondizi konnte dies nicht verhindern, so wenig Macht besaß er.

Das Pentagon wollte den Pariser Abrüstungsgipfel durch Provokationen zum Scheitern bringen. Am 16. Mai 1960, am selben Tag, als der Gipfel feierlich eröffnet werden sollte, landeten U2-Flugzeuge und vier US-Atomwaffenträger in Ezeiza, dem internationalen Flughafen von Buenos Aires, um zusammen mit der argentinischen Kriegsmarine in Patagonien mit Atombomben eine unterirdische Flussmündung freizulegen. Präsident Frondizi hatte gute Mine zum bösen Spiel gemacht. Im Februar 1960 hatte ihn Eisenhower besucht und mit ihm im idyllischen Bariloche Forellen geangelt. Frondizi versprach ihm, seine Atomtests zu erlauben und den obersten Chefentwickler des Pentagon, Herbert York, zu empfangen. So hoffte er, seine eigenen Pläne in Ruhe realisieren zu können (Der gescheiterte Abrüstungsgipfel in Paris, illegale Atomwaffentests der USA in Patagonien und Adolf Eichmann).

Der sowjetische Staatschef, Nikita Chruschtschow, wollte auf dem Abrüstungsgipfel auch die Verhaftung Josef Mengeles und Eichmanns bekannt geben, um einen Schlussstrich unter das Kapitel Nationalsozialismus zu ziehen. Frondizi stand bei ihm im Wort. Diese beiden mit Haftbefehl Gesuchten lebten in Buenos Aires, unter dem Schutz seiner Militärs. Interpol betrachtete NS- Kriegsverbrechen als "politische Taten" und weigerte sich, an der Vollstreckung der Haftbefehle mitzuwirken.

Die Nazis versteckten sich nicht. Die Eichmann-Kinder hatten deutsche Pässe, gingen unter ihrem richtigen Namen in deutsche Schulen. Mengele unterhielt in Buenos Aires ein pharmazeutisches Unternehmen und die deutsche Botschaft telefonierte oft genug mit dem angesehenen Geschäftsmann. Auch die vielen jüdischen Emigranten, die während des Krieges vor Hitler geflohen und am Rio de la Plata eine neue Heimat gefunden hatten, wussten, wer in ihrer Nachbarschaft lebte, und schwiegen.

Frondizi beschritt zunächst den Dienstweg und wies seine drei Geheimdienste an, den Aufenthaltsort der Gesuchten herauszufinden. Aber die stellten sich dumm, heißt es in einem Dokument des Auswärtigen Amtes: "Die drei Staatssicherheitsdienste berichteten über die Ergebnislosigkeit ihrer Nachforschungen."

Da ihn seine eigenen Beamten an der Nase herumführten, musste er das Heft selbst in die Hand nehmen und die Kriegsverbrecher festsetzen - also die deutschen Haftbefehle in Buenos Aires vollstrecken. Wo Mengele und Eichmann wohnten, war relativ schnell herauszufinden. Aber er wollte sich sicher sein, dass die Personen, die seine Leute ausfindig gemacht hatten, wirklich die gesuchten Verbrecher waren. Schließlich war der eine bei Mercedes-Benz angestellt, der andere unterhielt ein florierendes Pharmaunternehmen. Damals war die sicherste Methode der Identifikation von Personen der Fingerabdruck.

Eichmann war 1950 auf der sog. "Rattenlinie" mit Hilfe des Vatikans nach Argentinien gelangt. Zunächst arbeitete er für deutsche Firmen als Ingenieur in Tucumán, im Norden des Landes. Welch' Glück, dass 1960 der Gouverneur von Tucumán Celestino Gelsi hieß, Parteigenosse Frondizis. Seine rechte Hand war der UCRI-Abgeordnete Abraham Rosenberg. Der Staatspräsident gehörte fast zur Familie, so Lidia Rosenberg, Abrahams älteste Tochter. Sie nannte ihn "Onkel Arturo".

1952 hatte Eichmann bei der Polizei in Tucumán einen Personalausweis auf den Namen "Klement" beantragt und sich seine Fingerabdrücke abnehmen lassen. Diese verschwanden auf mysteriöse Weise aus dem Polizei-Archiv. Jemand muss sie entwendet und den künftigen Entführern gegeben haben. Der Verdacht fiel auf Rosenberg. Lidia: "Man warf meinem Vater vor, Komplize gewesen zu sein, um die Identität Eichmanns zu beweisen."

Auszug aus dem Geheimdienstbericht mit den Namen. Bild: Gaby Weber

Am 11. Mai wurde Eichmann vom Werksbus von Mercedes-Benz um 18.20 Uhr an der Stadtautobahn (Puente Saavedra) abgesetzt; von dort aus stieg er in einen lokalen Omnibus um. Arbeitskollegen haben dies dem argentinischen Ermittlungsrichter zu Protokoll gegeben.

Die Mossad-Leute trafen etwa um dieselbe Uhrzeit in Buenos Aires ein, mit einem Flugtaxi, einer Piper, aus Montevideo. Das geht aus dem Flugplan der uruguayischen Einwanderungsbehörde hervor, den ich dort gefunden habe. Der Pilot war 1960 bei der Luftwaffe und flog gelegentlich, nach Dienstschluss, also ab dem späten Nachmittag, mit dieser Piper auf die andere Seite des Rio de la Plata. Sie sei wegen ihrer Spezialausstattung außergewöhnlich schwer und nicht flugsicher gewesen.

Man kann den Mossad des Jahres 1960 nicht mit dem heutigen vergleichen. Die Agenten reisten im Wintermonat Mai in Sommerkleidung auf die südliche Halbkugel, und keiner sprach spanisch. Was sie nicht wussten: Der Flieger flog für die CIA und gehörte einem Manager von Standard Oil. Diese Auskunft erteilte mir die US-Flugbehörde FAA.

Die Piper startete am 11. Mai in Montevideo und landete in San Fernando, einem kleinen Flughafen für nationale Flüge, ohne Zoll und ohne Pass-Kontrollen. Aber natürlich kontrollierten die Sicherheitsbehörden den Landeplatz und registrierten, wer eintraf. Vermutlich hat sie der Dilettantismus der Israelis auf die Spur der Entführer gebracht.

Wer Eichmann wirklich ergriffen hat, steht in einem Dokument des argentinischen Geheimdienstes. "Eichmann wurde, bei seiner Entführung, in einem Fahrzeug des Präsidialamtes transportiert, mit einem amtlichen Nummernschild. (Frondizis) Sekretär Samuel Schmuckler saß am Steuer und brachte ihn in das Haus von Mazar Barnet. Präsident Frondizi war über alle Geschehnisse auf dem Laufenden."

Die beiden waren bewährte Mitglieder der UCRI, Mazar Barnet leitete die Zentralbank. Wer noch bei der Entführung dabei gewesen ist, kann nur vermutet werden. Aber es ist äußerst unwahrscheinlich, dass Frondizi die Operation allein in die Hände der sehr unerfahrenen Mossad-Leute legen wollte.

Fakt ist, dass Gouverneur Gelsi genau in dieser Zeit in Buenos Aires gewesen war. Überraschend kam er am Abend des 23. Mai mit einem Flugzeug der Luftüberwachung zurück nach Tucumán. Er sei wegen des Nationalfeiertags in der Hauptstadt gewesen, antwortete er einem Reporter der "Gaceta". Der Feiertag war aber erst am 25. - fragte der Journalist. Er habe sich nicht wohl gefühlt, meinte er kurz.

Die Söhne Eichmanns hatten bereits am 12. Mai das Verschwinden ihres Vaters angezeigt. Kurze Zeit später nahm die Polizei die Israelis, die UCRI-Leute und Eichmann fest. Es muss am 13. oder 14. Mai gewesen sein. Laut offizieller Geschichtsschreibung wollen die Mossad-Agenten ihre Geisel vom 11. bis 21. Mai gefangen gehalten haben, aber am 14. Mai traf Chruschtschow - einen Tag früher als geplant - wutschnaubend in Paris ein. Und ein Dokument des militärischen Geheimdienstes ("Casa militar") mit Datum vom 18. Mai berichtet von der Überprüfung von Eichmanns Identität mit den Fingerabdrücken aus Tucumán. Einer der Mossad-Agenten wurde bei der Festnahme verletzt, bestätigte mir der behandelnde Arzt Alberto Kaplan, damals Neuro-Chirurg im israelitischen Hospital .

Am Montag den 16. Mai, um 10.30 Uhr, tauchte Marisa Liceaga in der sowjetischen Botschaft in Buenos Aires auf, die Ehefrau von José Liceaga, der zwei Jahre zuvor mit der Sowjetunion den Millionen-Kredit ausgehandelt hatte. Unangemeldet, "auf ihre Bitte hin". Der Inhalt des Gesprächs ist noch nicht offen gelegt. Es folgten laut der neuen russischen Dokumente weitere Gespräche mit dem Bürgermeister von Buenos Aires, Hernán Giralt, und Innenminister Rogelio Frigerio, alle bewährte UCRI-Leute. Alexei Kossygin, stellvertretender sowjetischer Ministerpräsident, flog ein, ebenso wie der israelische Außenminister Abba Eban, der seine von den Militärs festgesetzten Leute herausholen wollte.

Kopie der Tageszeitung "Prensa" vom 17. Mai 1960. Frondizi am 16. Mai mit dem dem Chefentwickler der Atomwaffen des Pentagon, Herbert York.

Nachdem der Abrüstungsgipfel in Paris erfolglos zu Ende gegangen war, wie es die US-Administration gewünscht hatte, hatten weder die Argentinier noch die CIA eine Verwendung für ihre Geiseln. Juristisch hätte Eichmann nach Deutschland ausgeliefert werden müssen, da der Haftbefehl von der Frankfurter Staatsanwaltschaft ausgestellt war. Doch die Militärs setzten durch, dass sich Eichmann das Land, in das er abgeschoben würde, selbst aussuchen durfte. Er wählte Israel. Dort traf er unter höchster Geheimhaltung am 23. Mai ein. Der Weltöffentlichkeit wurde die Mär von der heldenhaften Entführung des Mossad aufgetischt.

Die Söhne Eichmanns und die Militärs wussten natürlich, dass das nicht stimmte und suchten Rache für den - aus ihrer Sicht - Verrat. Eine Bombe explodierte 100 Meter von Frondizis Haus entfernt, und auch die Rosenbergs mussten um ihr Leben fürchten. Die Tochter Lidia wurde bedroht von jemandem, der sich am Telefon als "Adolf Eichmann" ausgab und Rache schwor. Jahrelang durfte sie nicht mehr alleine in die Schule oder mit ihren Freundinnen ausgehen, die Familie erhielt Polizeischutz.

Ein gewisser Ezequiel Ávila Gallo hatte ihren Vater im Parlament beschuldigt, Eichmanns Fingerabdrücke aus dem Polizeiarchiv entwendet zu haben. Dieser Mann war eine schillernde Figur, der wiederholt vor einer "jüdisch-zionistischen Weltverschwörung" gewarnt hatte. Aber er hatte beste Verbindungen zu den Militärs. Ávila Gallo musste für seine Behauptung 30 Tage in den Arrest. Kaum war er wieder draußen, erstattete er bei der Strafjustiz Anzeige gegen Rosenberg wegen des Diebstahls von Eichmanns Fingerabdrücken aus dem Polizeiarchiv. Das Verfahren zog sich über Jahre hin.

Der israelische Außenminister Eban vereinbarte mit seinem argentinischen Amtskollegen, die diplomatischen Beziehungen durch diese Angelegenheit nicht weiter zu belasten. Das bereits erwähnte Dokument des argentinischen Geheimdienstes spricht von einem Vertrag ("tratado"). Am selben Abend feierte die israelische Delegation den erfolgreichen Vertragsabschluss in der Kathedrale von San Isidro, zusammen mit Monseñor Antonio Aguirre, Beichtvater Frondizis.

1971 nahm sich Abraham Rosenberg das Leben. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Sein Freund, der frühere Gouverneur, Celestino Gelsi, rief Lidia an und teilte ihr mit, dass das Verfahren "in unserem Sinne" beendet sein. Warum ihr Vater aus dem Leben geschieden war, weiß sie bis heute nicht. Wie ist er mit den Ereignissen vom Mai 1960 fertig geworden? Er hatte nie öffentlich darüber sprechen dürfen.

Lidia Rosenberg. Bild: Gaby Weber

Er und die anderen Vertrauten Frondizis waren erhebliche Risiken eingegangen, um einen Nazi-Verbrecher seinen Richtern auszuliefern und den sowjetischen Vorschlag einer atomwaffenfreien Welt zu unterstützen. Es fehlte nicht an ihrem persönlichen Einsatz. Doch die Aktion wurde von den Militärs aufgemischt und von der CIA dazu benutzt, die sowjetische Initiative für eine weltweite Abrüstung vom Tisch zu fegen. Eine historische Chance wurde vertan, sie kehrte nie wieder zurück.

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Die hier erwähnten Dokumente und Interviews sind im neuen Film Gaby Webers zu sehen: "Onkel Arturo und der Mossad".