Iran: Internet-Blackout und unklare Lage

Proteste in Ariashahr, Tehran. Bild (16. November 2019): GTVM92/ CC BY-SA 4.0

Die iranische Regierung hat mit einer umfassenden Internetsperre auf die jüngsten Demonstrationen reagiert, Amnesty spricht von über 100 Toten

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Nachdem es seit Beginn der Proteste gegen Benzinpreiserhöhungen in Iran immer wieder zu Internet-Sperrungen gekommen war, herrscht seit Dienstagmorgen nahezu vollständige Funkstille. Die iranischen Social-Media-Nutzer sind verstummt. Per Mail, Messenger oder Mobilfunk ist es nicht mehr möglich, die Menschen im Land zu erreichen. Innerhalb Irans sind nur noch staatliche Websites und Online-Services erreichbar.

Und von dort gibt es allenfalls zweifelhafte Informationen. Schon im Vorfeld der Reform, die am vergangenen Freitag die Proteste auslöste, hatten iranische Medien die Anweisung erhalten, diese positiv zu behandeln. Journalisten, die offen über die Demonstrationen berichten, wurden Konsequenzen angedroht. Seither mühen sich sowohl staatliche Stellen als auch die Medien im Land, das Ausmaß der Unruhen herunterzuspielen.

"Situation unter Kontrolle", Verhaftungen

Am Dienstag sagte ein Regierungssprecher, die Situation sei weitgehend unter Kontrolle. Die Tageszeitung Kayhan, die Revolutionsführer Ayatollah Ali Chamenei nahesteht, forderte die Todesstrafe für die Initiatoren der Proteste, das Fernsehen zeigte zahlreiche verhaftete Männer, die allerdings nicht identifizierbar waren, da sie sich die Hände vor die Gesichter hielten. Es hieß, sie hätten gestanden, vom Ausland finanziert worden zu sein. In Iran ist es üblich, dass von politischen Häftlingen falsche Geständnisse vor laufender Kamera erzwungen werden.

Während nach offiziellen Angaben bislang neun Menschen ums Leben gekommen sein sollen, spricht Amnesty International von mindestens 106 Toten, oppositionelle iranische Exilmedien sogar von mehr als 200 Toten. Verifizieren lassen sich diese Angaben nicht. Seit Montag kommen nur noch sehr sporadisch Informationen aus dem Land.

Revolutionsgarden drohen mit Gewalt

Zwar hatte es auch bei den Aufständen der Grünen Bewegung im Sommer 2009 und bei den Massenprotesten zum Jahreswechsel 2017/2018 Internetsperren gegeben, aber einen Blackout dieses Umfangs hat das Land bislang nicht erlebt - ein Hinweis darauf, dass das Regime diesmal besser vorbereitet war, andererseits aber auch ein Indiz dafür, dass der Widerstand deutlich größer und andauernder ist, als man zugeben will. Nur wenige Stunden vor der Komplettsperre hatten die Revolutionsgarden den Demonstranten offen mit Gewalt gedroht.

Um die Benzinpreiserhöhungen geht es derweil nur noch am Rande. Auf Aufnahmen aus dem ganzen Land waren Großdemonstrationen zu sehen, bei denen sowohl die Regierung von Präsident Rohani als auch Revolutionsführer Chamenei direkt angegriffen wurden.

Demonstranten griffen Banken, Polizeiwachen, Theologieschulen und Einrichtungen der Revolutionsgarden an und setzten sie in Brand. Polizisten schossen mit scharfer Munition in Menschenmengen, auf den Straßen lagen Tote und Verletzte. Drohnen filmten die Demonstranten aus der Luft, wahrscheinlich, um sie später identifizieren zu können. Bislang soll es mehr als 1.000 Festnahmen geben.

All diese Informationen sind inzwischen mindestens zwei Tage alt. Während sich die Lage in der Hauptstadt Teheran scheinbar beruhigt hat, sollen die Demonstrationen in zahlreichen anderen Städten weitergehen und auf blanke Gewalt seitens der Polizei und der Revolutionsgarden treffen. Welches Ausmaß die Proteste tatsächlich haben und wie sie sich auswirken, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.

Da die iranische Regierung aber verkündete, die Internetsperren vorerst aufrechtzuerhalten, ist davon auszugehen, dass sich die Lage keineswegs beruhigt hat. Menschenrechtsorganisationen sowie die Vereinten Nationen riefen die iranischen Behörden dazu auf, die Gewalt zu beenden und friedliche Demonstrationen gewähren zu lassen.