Syrien: Erneut israelische Luftangriffe auf "iranische Ziele"

Schäden im damaszener Vorort Qudsaya, für die der IDF-Angriff von der syrischen Regierung verantwortlich gemacht wird. Bild: Sana.

Laut IDF war dies eine Reaktion auf Angriffe aus Syrien. Russland kritisiert zwar die Angriffe, aber die israelische Armee kann auch auf einen Spielraum bauen, den Putin und Netanjahu abgesteckt haben

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Der neue israelische Verteidigungsminister Naftali Bennett steht in seinen markigen Ansagen gegenüber Iran seinem Premierminister Netanjahu in nichts nach: "Die Regeln haben sich geändert: Wer immer das Feuer auf Israel bei Tag eröffnet, der wird nachts nicht schlafen können. Unsere Botschaft an die Führung in Iran ist einfach: Sie sind nicht länger gefeit. An jedem Ort, wo sie ihre Tentakel positionieren, werden wir sie abhacken."

Bennett kommentierte damit jüngste Luftangriffe der israelischen Armee (IDF) auf Ziele in Syrien. Syrischen Quellen zufolge sind sie von Flugzeugen erfolgt, die am Mittwoch kurz nach Mitternacht über den Golanhöhen und vom libanesischen Luftraum aus Raketen abfeuerten. In der Darstellung der IDF handelt es sich um einen Vergeltungsschlag, der auf einen "Raketenangriff iranischer Streitkräfte in der Nacht zuvor antwortet" hat. Der von der IDF genannte Angriff, auf den man reagierte, ereignete sich am Dienstag.

Angeblich sollen dabei von Syrien aus vier Raketen auf die von Israel besetzten Golanhöhen abgefeuert worden sein. Nach israelischen Informationen wurden sie alle vom Luftabwehrsystem Iron Dome abgefangen. Als Hintergrund dazu wird in Berichten ein vorhergehender Angriff auf ein hochrangiges Mitglied der palästinensischen Miliz Islamischer Dschihad in Damaskus erwähnt, der Israel zugeschrieben wird. Die israelische Armee gab dazu keine Stellungname ab.

Der Schattenkrieg

Der "Schattenkrieg" (New York Times) mit Hunderten Angriffen Israels auf Stellungen "iranischer Proxys" in Syrien in den letzten Jahren ist ein Schlagabtausch, der von israelischer Seite mit einer deutlichen Botschaft der militärischen Stärke geführt wird. Sie lautet: "Wir werden verhindern, dass sich Irans Proxys in Syrien militärisch verstärken und können jederzeit, an jedem Ort, auch in Damaskus, zuschlagen". Die genauen Hintergründe der Angriffe bleiben der Öffentlichkeit weitgehend verborgen.

Im Fall der israelischen Luftangriffe auf syrisches Gebiet in der Nacht zum Mittwoch - die erneut auch Zielen bei der syrischen Hauptstadt Damaskus galt - ist auffällig, dass sich die IDF und Regierungspolitiker dieses Mal dazu bekannten und, was zur Botschaft der Stärke gehört, dass sie mit großem Aufwand ungewöhnlich viele Ziele ansteuerten.

Laut der liberalen israelischen Zeitung Ha'aretz wurden 20 Ziele getroffen. Bemerkenswert ist der Zusatz, dass "mehr als die Hälfte der Ziele iranisch" waren. Die andere Hälfte waren "syrische Ziele".

Es gab Tote und Verletzte, so die Zeitung. Auch das ist eine Botschaft, wie aus dem Statement eines ungenannten ranghohen Vertreter der israelischen Verteidigung hervorgeht: "Wir zeigten den Iranern, dass wir die Kapazität haben, mit Stärke zu reagieren. Wir wissen, dass sie Verwundete zu beklagen haben, wahrscheinlich auch Verluste."

Angriffe auf syrische Luftabwehrssysteme

Auch die syrische Nachrichtenagentur Sana berichtet von zwei Toten und zehn Verletzten - in ihrer Darstellung Zivilisten - aufgrund eines israelischen Raketenangriffs. Allerdings gibt es auch Quellen, die von einem getöteten syrischen Soldaten, "der nicht zur al-Quds gehört", berichten.

Die Ziele des Angriffs werden von Sana in der englisch-sprachigen Ausgabe nicht genannt (von al-Jazeera werden einige Angaben von der arabischen Sana zu getroffenen zivilen Zielen wiedergegeben). Dagegen verweist man darauf, dass die eigene Luftabwehr wieder einmal erfolgreich war und die "meisten Raketen" abgefangen habe. Illustriert wird dies mit nächtlichen Videoaufnahmen, die schwerlich etwas erkennen lassen. Dem angefügt werden Fotos, die auf zivile Opfer und Schäden an zivilen Gebäuden aufmerksam machen. Auch andere Fotos lassen erkennen, dass die Luftabwehr nicht wirklich erfolgreich war.

Die militärisch interessante Frage, die in diesem Zusammenhang immer wieder aufkommt, lautet, wie effektiv die russischen Abwehrsysteme gegen solche Angriffe vorgehen können. Bislang ließ man im Dunkeln, ob die große Zugnummer der russischen Waffenexporte bei israelischen Angriffen eingesetzt wurde.

Geht es nach dem genannten Ha'aretz-Bericht waren die 20 Ziele zur Hälfte "iranische Hauptquartiere und Lager" und zum anderen "syrische Batterien für Boden-Luft-Raketen" - allerdings mit der Ergänzung, dass die israelische Armee "keine russischen S-300-Luftabwehrsysteme beschädigt" habe, die in der Nähe russischer Truppen aufgestellt seien.

Bei diesem Aspekt wird einerseits die eigenwillige Selbstermächtigung zur völkerrechtswidrigen Vorwärtsverteidigung der israelischen Armee sichtbar - sie greift Ziele auf fremdem Terrain an und dazu Verteidigungsstellungen der dortigen Armee - und ein besonderes Verhältnis zu Russland in der Sache Syrien.

In der Auffassung der IDF sind auch die Angriffe auf syrische Luftabwehreinrichtungen eine gerechtfertigte Reaktion und die Schuldzuweisung klar. Man habe die syrischen Luftabwehreinrichtungen zerstört, weil von einer solchen Einrichtung - "trotz eindeutiger Warnung, von solchem Beschuss Abstand zu halten" - eine Luftabwehrrakete abgefeuert wurde, erklärt die IDF auf Twitter.

Ergänzt wird dies mit der Erklärung, die den Angriff auf syrisches Gebiet damit rechtfertigt, dass man "das syrische Regime für Aktionen auf ihrem Territorium verantwortlich" halte und die Regierung in Damaskus davor warnt, "weitere Angriffe auf Israel zu erlauben". Man werde weiter entschieden, und so lange dies nötig sei, gegen die iranische Verschanzung ("entrenchment") in Syrien militärisch antworten.

Pro-Forma-Kritik aus Russland

Aus Russland kam Kritik an den israelischen Angriffen, aber sie war nicht besonders entschieden oder laut. Zwar zitiert die syrische Nachrichtenagentur Sana den russischen Vize-Außenminister Bogdanow, der für den Nahen Osten und Afrika zuständig ist, mit den Worten, dass "die Aktion falsch ist", die Angriffe gegen Prinzipen des internationalen Rechts verstoße und Spannungen eskaliere. Doch verwies auch Bogdanow darauf, dass man mit allen Partnern im Gespräch sei, um die Umstände zu klären.

Bekanntlich besuchte der israelische Premierminister Netanjahu den russischen Präsidenten Putin häufig, dabei war Syrien öfter ein Thema. Welche Abmachungen die beiden genau getroffen haben, ist unbekannt. Bekannt ist, dass Putin das Ziel der israelischen Politik, iranische Milizen so weit wie möglich aus Syrien rauszuhalten, nur zu einem bestimmten Grad erfüllen will oder kann - die Regierung Baschar al-Assad wird zu einem erheblichen Maß von Teheran unterstützt.

Dass Putin viel an einer guten Beziehung zu Jerusalem liegt und von seiner Seite zuverlässig wenig Konträres zu den israelischen Aktionen in Syrien kommt, ist aber ebenfalls offensichtlich. Die S-300 werden offiziell, wie erwähnt, auch in Ruhe gelassen. Somit bleibt der Verkaufsschlager "russisches Luftabwehrsystem" unangetastet.

Ein deutliches Zeichen, dass sich Russland gegenüber israelischen Militäraktionen in Syrien offiziell zurückhält, ist auch daran abzulesen, dass die Nachrichtenagentur Tass bis Mittwochmittag lediglich eine kurze Nachricht dazu brachte, die damit überschrieben ist, dass Dutzende von Positionen der Iranischen Revolutionsgarden und der syrischen Armee angegriffen habe.

Laut der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights - SOHR), deren Meldung mal verlässlich und mal propagandistisch sind, sollen die Angriffe Waffenlager der al-Quds-Milizen in Vororten von Damaskus (Kisweh und Qudsaya) sowie dem Flughafen Mazzeh bei Damaskus gegolten haben.

Im Pentagon befürchtet man, dass sich Teheran künftig mithilfe von Russland und China aufrüsten will; sollte dies zutreffen, so wird damit das Verhältnis zwischen Russland und Israel nicht einfacher.