Rückschau 2019: Wie war Ihr Klimajahr?

Wie war Ihr Klimajahr? Wir haben fünf bekannte Umwelt- und Wirtschaftsforscher zu den wichtigsten Entwicklungen im vergangenen Jahr ­befragt.

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Rückschau 2019: Wie war ihr Klimajahr?

Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts.

(Bild: Esther Horvath/AWI)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Astrid Dähn

Antje Boetius ist Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für ­Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Die Meeresbiologin hat bereits an einer Reihe von Polarexpeditionen teilgenommen. Auch an der wissenschaftlichen Planung der aktuellen ­Arktis-Mission Mosaic ist sie federführend beteiligt.

Antje Boetius: Seit ungefähr einer Dekade beobachten wir eine sehr starke Abnahme des Meereises in der Arktis, die unsere Klimamodelle so nicht vorhersagen. Dieses Jahr schrumpfte die eisbedeckte ­Fläche im Sommer auf den zweitkleinsten Wert, der jemals beobachtet wurde. Und das Zufrieren im Herbst begann später als je zuvor. Mit meinen Kolleginnen und Kollegen verfolge ich das mit großer Sorge.

Das Meereis ist dabei ja nicht nur Lebensraum für eine ganz eigene Tierwelt – vom Einzeller über Krebse, Fische und Robben bis hin zum Eisbären –, sondern ein wichtiges, stabilisierendes Element des Klimasystems. Es bildet ein riesiges weißes Schild, das einen Teil der eingestrahlten Sonnenenergie reflektiert und die Erde auf diese Weise kühlt. Wird das Schild kleiner, nimmt der darunterliegende dunkle Ozean mehr Sonnenlicht auf. Das führt zu einer Rückkopplungsschleife: Das Wasser erwärmt sich weiter, das Eis schmilzt daraufhin noch rascher, und die kühlende Wirkung in der Arktis verringert sich.

Dabei könnte der Kühleffekt auch für unsere Breitengrade ­relevant sein. Denn wie neue Studien vermuten lassen, sorgt der bisher – dank des Eises – recht beständige Temperaturunterschied zwischen Nordpol und Äquator dafür, dass die großen Windbänder in den oberen Atmosphärenschichten stabil bleiben. Wie das Zusammenspiel zwischen arktischer Eisbedeckung und unseren Großwetterlagen genau funktioniert, ist allerdings noch unklar. Für feinmaschige Analysen fehlte es bislang an ­verlässlichen Messdaten zu den Witterungsverhältnissen in der ­Arktis.

Das könnte sich jetzt ändern. Ende September ist ein Team des Alfred-Wegener-Instituts gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 19 weiteren Ländern zur Mosaic-Mission aufgebrochen, der aufwendigsten Nordpolexpedition aller Zeiten. In einer Eisscholle festgefroren, driftet die Mannschaft mit unserem Forschungsschiff "Polarstern" ein Jahr lang quer durch das Polarmeer, von der sibirischen See an der Nordpolregion vorbei bis zur Ostküste Grönlands. Inzwischen haben die Kolleginnen und Kollegen auf ihrer Eisscholle ein ganzes Netz aus Beobachtungsstationen aufgebaut, um herauszufinden, was im polaren Winter vor sich geht – und anschließend besser zu verstehen, warum das Eis schneller schmilzt als erwartet, wie ein Jahr das nächste prägt und welche Fernwirkungen die Eisdynamik hat.

Noch ist der Kipppunkt nicht erreicht, an dem der arktische Ozean im Sommer eisfrei wird und die Existenzgrundlage von heimischen Arten wie dem Eisbären gefährdet ist. Aktuellen Prognosen zufolge könnten wir aber schon in wenigen Jahrzehnten an diesen Punkt kommen, wenn wir die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen nicht drastisch einschränken. ­Parallel dazu gibt es auch andere Rettungskonzepte für das ­arktische Eis. Forscher haben zum Beispiel errechnet, dass man die Eisfläche erhalten könnte, indem man Millionen ­windgetriebene Pumpen auf ihr installiert. Sie sollen Meerwasser von unten aufs Eis befördern, damit es oben anfriert und die Decke ­dicker macht. Hört sich aufwendig an, aber wenn es darum geht, diesen einzigartigen Lebensraum zu ­schützen, braucht es ­viele Ideen.

(Protokoll: Astrid Dähn)

(rot)