Klare Linien am Hindukusch: Es gibt Helden und Verräter

US-Präsident Trump zu Besuch in Afghanistan, rechts neben ihm sein "Gast", der afghanische Präsident Aschraf Ghani, 29. November 2019. Bild: US-Verteidigungsministerium/gemeinfrei

Afghanistan nach dem Trump-Besuch: Reden über ein Puppenregime und Gespräche mit den Taliban

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Es war mitten in der Nacht, als Donald Trump praktisch ohne jegliche Ankündigung am US-Luftwaffenstützpunkt in Bagram nahe Kabul landete. Plötzlich war er da, und zwar zum allerersten Mal in seiner gesamten Amtszeit. Während die meisten Afghanen schliefen, freute dies vor allem einen Mann: Afghanistans gegenwärtigen Präsidenten Ashraf Ghani, dem Trump bis dato jegliches Treffen verwehrt hatte. Ghani fuhr nach Bagram und stellte sich zwischen Trump und den versammelten US-Soldaten.

Neben ihm stand weder ein Minister noch ein afghanischer Soldat oder Sicherheitsmann. Ghani war allein, und er sang ein Loblied auf Trump, das selbst von regierungsfreundlichen Kommentatoren nicht nur als einschmeichelnd, sondern als totales Eingeständnis, ja, als völlige Unterwerfung bewertet wurde.

Patrioten und Marionetten

Die meisten Afghanen werden dieses Szenario gewiss nicht vergessen, denn vor allem in Sachen Geschichtserzählung ziehen die meisten Menschen am Hindukusch ganz klare Linien. Es gibt Helden und Verräter. Patrioten und Marionetten. Das klingt nicht nur schwarz und weiß, sondern ist es auch. Es wird sich allerdings nicht ändern.

Bereits seit 2014 hat sich die Ghani-Administration den Meistern in Washington voll und ganz ergeben, während sie sich an der Tötung der eigenen Zivilbevölkerung massiv beteiligt. Kurz nachdem Ghani 2014 zum Präsidenten ernannt - nicht gewählt! - wurde, unterzeichnete er ein umstrittenes Bilaterales Sicherheitsabkommen (BSA) mit den Amerikanern, welches eine Fortführung des Krieges und Straffreiheit für US-Soldaten bedeutete.

Im Laufe der Amtszeit Ghanis haben die Bombenabwürfe des US-Militärs sowie die damit verbundenen zivilen Opfer einen Höhepunkt erreicht. Der gesamte Staatsapparat unterstützt den "War on Terror" der Amerikaner und ist der Meinung, dass der Krieg im Land nicht durch Gespräche, sondern lediglich durch die Fortführung von brutalen Militäroperationen beendet werden kann.

Zivile Opfer, darunter auch zahlreiche Kinder, werden in diesem Kontext regelmäßig entmenschlicht und als "Terroristen" oder "heranwachsende Militante" abgestempelt. Beispiele hierfür lassen sich mittlerweile fast täglich finden.

Nicht jeder ist mit diesen Entwicklungen zufrieden. "Wir haben ein ganzes Dorf zu Taliban-Anhängern gemacht, und das ist nachvollziehbar", meint ein Regierungsoffizieller, der anonym bleiben möchte. Er bezieht sich auf eine Militäroperation, die im vergangenen Oktober in der Provinz Wardak stattfand und ausschließlich Zivilisten das Leben kostete. "Ich arbeite für die Regierung, doch sie muss einsehen, dass sich der Konflikt auf diese Art und Weise nicht lösen lässt", sagt er in einem vertraulichen Gespräch.

Der afghanische Präsident als Gast des Gastes Trump

Kritisiert wird auch Ghanis jüngste Rede vor Trump in Bagram. "Der Präsident ist zum Gast seines Gastes geworden, und zwar in seinem eigenen Land. Er hat sich ganz klar untergeordnet und damit die Narrative verstärkt, dass er lediglich eine Marionette sei. Warum sollten die Taliban nun mit ihm verhandeln?", meint etwa Ershad Ahmadi, ehemals Vizeaußenminister Afghanistans.

Vor den versammelten Soldaten meinte Ghani unter anderem, was für ein toller und erfolgreicher Präsident Trump sei und gratulierte ihm zur Tötung des IS-Führers Abu Bakr al Baghdadi. Dass der US-Krieg gegen den IS in Irak und Syrien Tausenden von Zivilisten das Leben kostete, war nicht der Rede wert.

Die Frage nach den Verhandlungen mit den Taliban steht nun tatsächlich abermals im Raum. Trump kündigte in Bagram an, die Gespräche wieder aufnehmen zu wollen - und das nachdem er sie im September via Twitter für tot erklärt hatte. Ob die Taliban darauf eingehen werden, wird sich zeigen.

Es grenzt ohnehin schon an Ironie, dass die Extremisten, die man bereits vor Jahren vertreiben und vernichten wollte, nun - nach einem fast zwanzigjährigen Krieg - glaubwürdiger dastehen als Washington und seine Kabuler Statthalter.