Wie der Mensch korrumpiert wird

In der kapitalistischen Gesellschaft wird häufig auf die falsche Art der Motivation gesetzt. Dies hat verheerende Folgen

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Nicht nur in Erziehung und Schule ist eine zentrale Grundfrage, was den Menschen motiviert. Auch in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Was motiviert den Menschen zum sozial verträglichen, zum altruistischen Verhalten? Was zum Lernen und zur Arbeit?

Gemeinhin wird zwischen zwei Formen der Motivation unterschieden: intrinsischer und extrinsischer. So sind Menschen intrinsisch motiviert, wenn sie beispielsweise ein Buch lesen, weil sie hieran ein Interesse verspüren oder einfach Lust darauf haben. Lesen sie hingegen das Buch, weil der Lehrer es verlangt, eine Strafe droht oder eine kleine Belohnung für die Lektüre winkt, so sind sie extrinsisch motiviert.

Allgegenwart extrinsischer Motivation

Es ist augenscheinlich, dass derzeit die allgemeine Überzeugung herrscht, dass der Mensch am besten und erfolgreichsten extrinsisch motiviert wird. In der Schule wird für Noten in der nächsten Prüfung gelernt und ein mögliches Sitzenbleiben dient als stete Abschreckung. (Eine weitere Motivation: 40 Prozent der Schüler erhalten Geld für gute Schulnoten und ein knappes Viertel der Kinder bekommt die Mithilfe im Haushalt ausgezahlt).

In der Berufswelt wird die Arbeit durch das Gehalt bezahlt und mit einer möglichen Gehaltserhöhung oder durch Boni und Beförderung zusätzlich motiviert. Und nicht zuletzt basiert auch die Sozialpolitik auf der Überzeugung, dass der Mensch am besten extrinsisch motiviert werden kann. Mit Zuckerbrot und Peitsche. Entsprechend lautet das Motto: Fördern und Fordern.

Geld wirkt

Geld spielt im Kapitalismus die zentrale Rolle des Motivators. Oder, um es mit den Worten des Sozialwissenschaftlers Meinhard Miegel zu sagen: "Das kapitalistische Belohnungs- und Bestrafungssystem (ist) von bestechender Schlichtheit."

Tatsächlich spricht Geld direkt das sogenannte Belohnungszentrum des Gehirns direkt an. Je größer die Summe, die in Aussicht steht, desto stärker der Ausstoß an Dopamin, dem Neurotransmitter, der auch gerne mit dem vielsagenden Namen "Glücksbotenstoff" bezeichnet wird.

Geld ist die extrinsische Motivation par excellence. Und es scheint zu funktionieren: Es reicht sogar bereits aus, Menschen nur unbewusst an Geld zu erinnern, damit diese ein höheres Durchhaltevermögen an den Tag legen. Sie versuchen fast doppelt so lange, ein sehr schwieriges Problem zu lösen, als Menschen, die nicht an Geld erinnert wurden.

Liebesentzug und Harsh Parenting

"Erziehung ist schließlich die Kindern täglich abgerungene Überwindung ihres Egoismus und ihrer Trägheit," so eine grundlegende Ansicht des Pädagogen Bernhard Bueb. Daher lautet seine Mahnung: "Erziehung ist nur erfolgreich, wenn sie die zum Egoismus neigende menschliche Natur gegen den Strich bürstet."

Buebs Darlegung kann stellvertretend für eine Reihe von pädagogischen Konzepten stehen, die der intrinsischen Motivation der Menschen sehr skeptisch gegenüberstehen und daher massiv auf extrinsische Motivationen setzen. An dieser Stelle seien kurz zwei Erziehungskonzepte skizziert, die extrinsische Motivationen in Form von Strafe und Zuwendung einsetzen.

Ein in der Fachliteratur häufig empfohlenes Verfahren zur Disziplinierung vorpubertärer Kinder ist der sogenannte "Liebesentzug" oder die "Auszeit". Wenn das Kind ein nicht gewünschtes Verhalten zeigt, sollen die Eltern eine Zeitlang schlicht nicht mehr auf das Kind reagieren oder sich räumlich von diesem trennen. (Bemerkenswerterweise geht dieses Konzept auf einen Artikel eines Behavioristen über Verhaltenssteuerung bei Schimpansen und Tauben zurück.)

Ein ähnliche Anwendung zeigt sich beim sogenannten "harsh parenting", das - wie der Name schon andeutet - im Falle von zu missbilligendem Verhalten die Anwendung geringer körperlicher Strafen rät.

Aber was wäre, wenn der Mensch tatsächlich intrinsisch motiviert wäre, zu helfen, altruistisch zu sein und zu lernen? Was wäre, wenn extrinsische Motivation im Allgemeinen und Geld im Besonderen Leistung und positives Verhalten reduziert? Was wäre, wenn die unausgesprochene Grundannahme, der Mensch müsse extrinsisch zum gewünschten Verhalten motiviert werden, schlicht in das Reich der Mythen gehört?

Wie man Hilfsbereitschaft zerstört

In einem faszinierenden Experiment untersuchten Felix Warneken und Michael Tomasello von der Universität Harvard und dem Max-Planck-Instituts (Leipzig) den Einfluss von extrinsischer Motivation auf die Hilfsbereitschaft von 20-Monate alten Kindern (Beispielsweise versuchte ein Mann, der einen Stapel Bücher trug, erfolglos eine Tür zu öffnen, während die Kinder in ein neuentdecktes Spiel vertieft waren). Nachdem in der ersten Runde der erstaunlich hohe Grad der Hilfsbereitschaft der Kinder geprüft wurde, teilte man diese anschließend in drei Gruppen auf.

Während die Kinder aus der ersten Gruppe weiterhin keinerlei Reaktion auf geleistete Hilfe erhielten, wurde den Kindern aus der zweiten Gruppe hierfür jedes Mal ein Dank ausgesprochen, die Kinder der dritten Gruppe erhielten schließlich für jede Hilfe eine Belohnung. Nach mehrfacher Wiederholung des Tests wurde dann eine letzte Runde durchgeführt: Alle Kinder wurden wieder mit Situationen konfrontiert, die ihre Hilfsbereitschaft testeten, jedoch sollte diesmal (genauso wie in der ersten Testrunde) kein Kind eine Belohnung oder auch nur ein Lob erhalten.

Ergebnis: Die erste Gruppe zeigte weiterhin eine sehr hohe Hilfsbereitschaft, die der ersten Testrunde entsprach. Die zweite Gruppe hatte eine minimal verringerte Hilfsbereitschaft. Die dritte Gruppe jedoch, die zuvor jedes Mal eine Belohnung erhalten hatte, zeigte einen fast vollständigen Zusammenbruch ihrer Hilfsbereitschaft.

Das Experiment demonstriert, dass die intrinsische Motivation nicht nur der Natur des Menschen entspricht, sondern auch besser und dauerhafter motiviert als extrinsische Anreize. Es zeigt aber auch ein fundamentales Problem: Die hohe und intrinsisch motivierte Hilfsbereitschaft des Menschen läuft Gefahr zerstört zu werden, wenn man sie durch extrinsische Motivation ersetzt.

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