Amazonas-Anrainer nach Vergabe "ihrer" Domain: ICANN muss reformiert werden

Die Saga um die Vergabe der Top-Level-Domain .amazon ist offiziell vorbei. Aber die Bewohner der Amazonas-Region geben noch nicht klein bei.

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Amazonas-Anrainer nach Vergabe „ihrer“ Domain: ICANN muss reformiert werden

(Bild: Ioan Panaite/Shutterstock.com)

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Von
  • Monika Ermert
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Die Vergabe der Top-Level-Domain (TLD) .amazon an die Firma von Jeff Bezos zeigt nach Ansicht der Amazonas-Anrainerstaaten vor allem eines: die Reformbedürftigkeit der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Das teilten Vertreter der Amazon Corporation Treaty Organization (ACTO) auf eine Anfrage von heise online mit. Man behalte sich weitere Schritte gegen die Entscheidung der privaten Netzverwaltung vor, den sieben Jahre dauernden Streit um die TLD zugunsten des Megakonzerns zu entscheiden.

Insgesamt neun Second-Level-Domains unter .amazon gesteht Amazon in dem noch im Dezember vom Vizepräsidenten der ICANN Cyrus Namazi und von Eva Gehlin, Geschäftsführerin von Amazon EU unterzeichneten Vertrag zu. Praktisch erhält damit jeder der acht ACTO-Mitgliedsstaaten eine Second-Level-Domain, und eine könnte die Organisation der Amazonas-Anrainerstaaten für sich selbst reklamieren. Das gestand das Unternehmen der ACTO in einem Zusatz zum unterzeichneten Vertrag zu, den sogenannten Public Interest Commitments (Specification 11).

Allerdings hat Amazon die Vergabe an eine ganze Reihe von Bedingungen geknüpft: Keine Ländernamen dürfen es sein, die Domains dürfen nur zu nicht-kommerziellen Zwecken genutzt werden und dynamische oder User-generierte Inhalte sind tabu. Außerdem können die Staaten insgesamt 1500 Namen, die von kultureller oder geographischer Bedeutung sind, auf eine Reservierungsliste setzen. Zwei Jahre bekommen die ACTO-Staaten Zeit, um diese Liste zu füllen.

Auch hier behält sich Amazons Management vor, Namen zurückzuweisen, zum Beispiel wo es eigene Markenrechte oder solche von Partnern berührt sieht oder die entsprechenden Begriffe schon registriert sind. Natürlich steht in der freiwillig eingegangenen Selbstverpflichtung auch wohlmeinend, das Unternehmen werde in seiner neuen Adresszone keine Domainnamen verwenden, "die eine hervorragende und bekannte Bedeutung für das kulturelle Erbe der Amazonasregion besitzen."

ACTO hätte noch ein bisschen mehr herausschlagen können, hätte die Organisation Angebote des Unternehmens angenommen, die Amazon-Vertreter im Verlauf der siebenjährigen Saga fast schon verzweifelt unterbreitet hatten. 2017 unterbreitete das Unternehmen den Vorschlag, ACTO den Verzicht auf .amazon mit Amazon Web Services und nach Wunsch gefüllten Kindles im Wert von 5 Millionen Dollar zu vergolden. Kategorisch abgelehnt hat das Unternehmen aber stets eine Mitsprache in Gestalt eines gemeinsamen Beirates für die Zone.

Noch lehnen die Amazon-Anrainerstaaten die Entscheidung des ICANN-Vorstandes vom vergangenen Jahr entschieden ab. In einem Brandbrief an die Organisation von Mitte Januar bezeichnen sie das Vorgehen der ICANN als "illegal und eine ungerechtfertigte Enteignung unserer Kultur, Tradition, Geschichte und unseres Bildes in der Welt." Man werde daher diesen "Akt der Gewalt" weiter bekämpfen.

Auf Anfrage von heise online erklärte der brasilianische Vertreter im Regierungsbeirat Achilles Zaluar, die ACTO prüfe alle Möglichkeiten. Ob sie sich beispielsweise nochmal auf eine Antrag auf Neubewertung durch den Vorstand beruft – ein solcher von Bolivien wurde allerdings im September abgelehnt – oder sogar versucht, die ICANN-Gremien dazu zu bewegen, den Entscheid des Vorstands vom Mai vergangenen Jahres aufzuheben, ist daher offen. Letzteres ist allerdings ein aufwändiges, bislang noch nicht erprobtes Verfahren. Auch den Schritt, vor Gericht zu gehen, dürfte ACTO erwogen haben – das legt Zaluars Hinweis nahe, ein Aspekt der Reformbedürftigkeit der ICANN sei der Umstand, dass die private Netzverwaltung nur einer, nämlich der US-Jurisdiktion unterstellt und nicht allen Staaten in gleicher Weise rechenschaftspflichtig ist.

Die ACTO-Staaten berufen sich dabei weiterhin darauf, dass der Regierungsbeirat eine einvernehmliche Lösung zwischen Unternehmen und den acht Regierungen unterstützt habe. Die Kehrtwendung des US-Vertreters im Regierungsbeirat, die pikanterweise etwa zur gleichen Zeit kam, als Amazon den Chef der in der US-Verwaltung für das Thema zuständigen National Telecommunications and Information Agency (NTIA) anheuerte, hat nach Ansicht der ACTO keinen Einfluss auf den gemeinschaftlichen Beschluss des Regierungsbeirates. Geht die Saga rund um .amazon in eine weitere Runde? Auf jeden Fall dürfte die ICANN – und wohl auch Amazon – sich für die Zukunft entschiedene Gegner in den ACTO-Staaten geschaffen haben. (tiw)