Smogware: Kunst mit Feinstaubbelastung

Zwei Künstlerinnen aus Rotterdam visualisieren mit Porzellangeschirr die Menge an Feinstaub, die wir im Laufe des Lebens einatmen.

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Smogware: Kunst mit Feinstaubbelastung
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Grace Dobush

Zwanzig Personen mit Atemschutzmasken, die Dreck von den Geländern am Berliner Hauptbahnhof kratzen – bei dieser Gruppe handelte es sich nicht um besonders engagierte Mitarbeiter der Straßenreinigung, sondern um Helfer des Projekts „Smogware“. Bei einem Workshop im Oktober vergangenen Jahres war ich dabei.

Iris de Kievith und Annemarie Piscaer aus Rotterdam leiten das Projekt. Auf holländisch heißt es Servies, was Geschirr oder Steingut bedeutet, vies allein heißt schmutzig. Für das Projekt sammeln die Frauen Feinstaub aus verschiedenen Weltstädten und verarbeiten ihn zu Keramikglasur. Mit der Farbe glasieren sie Geschirrsets und zeigen mit der vielfarbigen Glasur auf, wie viel Dreck wir jeden Tag einatmen – quasi Umweltverschmutzung zum Anfassen.

Make 1/20

Smogware startete mit einer Frage: Wie kann man Menschen zeigen, was es wirklich bedeutet, über 10, 20 oder 85 Jahre lang verschmutzte Luft einzuatmen? Piscaer sagt dazu: „Wir reden über ein unsichtbares Problem. Wir müssen es zuerst sichtbar machen.“

De Kievith und Piscaer wiegen die Feinstaubmengen, die man über 10, 25, 45, 65 oder 85 Jahren in den jeweiligen Städten einatmet haargenau ab. „Wir wollen Daten zeigen, echte Fakten“, sagt de Kievith. Der Feinstaub wird mit Glasur gemischt, und auf 230 Quadratzentimeter beschichtet. Das entspricht einer ganzen Espressotasse oder dem Inneren eines Bechers.

Die Glasur für 10 Jahre Feinstaub-Inhalation sieht aus wie milchiger Tee. Bei 85 Jahren erinnert sie an dunkle Erde. Die Glasuren sehen in jeder Stadt ein wenig anders aus. Es kommt drauf an, was für Schwermetallen in der lokalen Verschmutzung enthalten sind. In Berlin war die Glasur zuerst betongrau, nach dem Backen tabakbraun. Einen so lasierten Becher führt man nur mit Unbehagen an den Mund.

Mit Feinstaub glasiertes Porzellan, das nicht wirklich zum Essen einlädt.

Die beiden Künstlerinnen trafen sich in Rotterdam bei einem Stadtforum zum Thema Luftverschmutzung. Sie stellten schnell fest, dass sie ein gemeinsames Interesse für die Umwelt und für Kreislaufwirtschaft verbindet. Piscaer hatte Design studiert, de Kievith Architektur. Piscaer mag die Theorie, de Kievith macht lieber was Praktisches. Mit dem Sammeln von Feinstaub fingen fingen sie ebenfalls in Rotterdam an, dann ging es weiter nach Amsterdam, Paris, Kiel und mehrere chinesische Städte. „Wir spüren den selben Wind und atmen alle den gleichen Staub ein. Wir alle müssen uns um unsere Atemluft kümmern“, sagt de Kievith.

In Rotterdam unterstützte die Stadtregierung das Projekt finanziell. In Berlin war das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes der Gastgeber des Workshops, in einem Pop-Up-Veranstaltungsort namens Fiction Forum.

Wir Workshop-Teilnehmer wurden mit Schutzhandschuhen, Atemschutzmasken, Tupperdosen und einer Plastikkarte ausgerüstet, um unsere Staubjagd zu beginnen. Wir haben an den Gehwegen am Hauptbahnhof schnell die dreckigsten Ecken entdeckt. An vielen Stellen sind die Geländer und Barrieren vor Regen geschützt, so dass sich besonders viel Feinstaub vom starken Verkehr ansammeln kann.

Beim Sammeln von Feinstaub lernt man schnell, dass die schmutzigsten Stellen am schwersten zu erreichen sind. Ich habe mich beim Putzen noch nie so gefreut und verdreht, um den perfekten Dreck zu erreichen. Unsere Plastikkarten waren praktische Werkzeuge: Das Material biegt sich stark genug, dass man die Oberflächen abschaben und den Staub in den Behälter schieben kann.

Die Ausbeute eines Smogware-Workshops in Kiel.

Nach einer Stunde ging es zurück zum Fiction Forum. Dort stellten wir fest, dass wir insgesamt 60 Gramm Feinstaub gesammelt hatten. Piscaer hat dann einen Teil des Staubs in eine Keramikglasur gemischt, damit wir Teststücke aus Porzellan bemalen konnten.

Workshop-Teilnehmer bei Smogware in Berlin.

In diesem Jahr werden Piscaer und de Kievith noch mehr Städte besuchen. Sie freuen sich auch, wenn Interessierte aus der Ferne Feinstaub sammeln und nach Rotterdam schicken. Zum Ende des Projekts möchten sie einen Welttisch decken, mit einem Platz für jede Stadt. Mahlzeit! (rehu)