Biotech: Warum Medikamente künftig in Tabak wachsen

Das Coronavirus zeigt, wie wichtig rasch verfügbare Impfstoffe oder Antikörper im Notfall sind. Nun ist Forschern der entscheidende letzte Schritt gelungen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 72 Kommentare lesen
Tabak stellt Impfstoffe her

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 4 Min.

Um das derzeit wütende Coronavirus "Sars-CoV-2" einzudämmen, arbeiten Pharmaunternehmen und Wissenschaftler weltweit an einem Impfstoff. Die Universität Hongkong hat bereits mitgeteilt, einen Impfstoffkandidaten in der Hand zu haben – bis ein neuer Impfstoff die nötigen klinischen Studien durchlaufen hat, die seine Wirkung und Sicherheit belegen, dürften allerdings Monate vergehen. Noch schwieriger ist jedoch die zweite Hürde zu nehmen: Millionen von Impfdosen müssen produziert werden. Schnelle Hilfe könnten hier in Pflanzen gewachsene Medikamente bringen, das berichtet Technology Review in seiner neuen März-Ausgabe (jetzt im Handel).

Bisher stellt die Pharmaindustrie Biologika – Medikamente wie Insulin, Grippeimpfstoffe oder therapeutische Antikörper gegen Infektionen oder Krebs – in bakteriellen oder tierischen Systemen her. Das Insulin produzieren genetisch veränderte E.-coli-Bakterien in gigantischen Stahltanks. Therapeutische Antikörper liefern Zelllinien, die ursprünglich aus chinesischen Zwerghamstern stammen. Für die Grippeimpfsaison werden jedes Jahr bis zu 500 Millionen Hühnereier benötigt.

TR 3/2020

Wenn es nach Julia Jansing geht, stammen Medikamente bald aus dem Gewächshaus. Es braucht keine empfindlichen Zelllinien oder Fermenter voller Bakterien – sondern Pflanzen wie Tabak. In ihnen sieht Jansing, die am Aachen-Maastricht Institute for Biobased Materials forscht, künftig in großem Maßstab humane Antikörper gegen Ebola, Krebs oder Impfstoffe gegen plötzlich auftretende Viren wachsen.

Für die Medizin könnten solche Pflanzensysteme in Zukunft ein Turbo für den Notfall sein – etwa um schnell Antikörper oder Impfstoffe gegen neu aufkommende Krankheitserreger bereitzustellen. Ein Kilogramm Tabakblätter kann mehrere Gramm eines Medikaments innerhalb weniger Tage herstellen. Im Falle des gerade grassierenden Coronavirus aus Wuhan wäre dieses Tempo ein Segen.

Bisher besaß das System für die groß angelegte Produktion ­allerdings eine Schwäche: Pflanzen bauen die fremden biologischen Moleküle meist ein wenig anders zusammen. Sie fügen in das Pro­tein-Grundgerüst des Wirkstoffs differierende Zuckermoleküle ein. Die Folge können allergische Reaktionen oder eine geringere Effektivität sein. Jansing hat sich nun die Genschere CRISPR gegriffen und ­das Tabak-Genom so verändert, dass die Pflanzenzellen diese Zuckermoleküle nicht mehr einbaut. Damit stehen jetzt Tabak-Bioreaktoren bereit, in denen effektive und sichere Antikörper produziert werden können. Nach etwa 30 Jahren Forscherarbeit steht die Technologie damit vor ihrem großen Durchbruch.

Dass Notfallmedikamente so zügig von Pflanzen produziert werden können, hat das kalifornische Start-up Mapp Biopharmaceutical während des großen Ebola-Ausbruchs 2014/2015 erstmals gezeigt. Mit dem Antikörpercocktail ZMapp konnten sieben Patienten behandelt werden. Fünf von ihnen überlebten Ebola. Um die Baupläne in die Pflanze zu transportieren, nutzte die Firma einen ebenso genialen wie einfachen Weg: die sogenannte transiente Genexpression, eine Methode, die 1998 an der RWTH Aachen für Antikörper entwickelt wurde. Sie nutzt die Blätter ausgewachsener Tabakpflanzen und nach nur etwa fünf Tagen kann der Antikörper aus den Blättern geerntet werden. Die Herstellung lässt sich vergleichsweise mühelos an den aktuellen Bedarf anpassen.

Mehr Infos rund um das Coronavirus

Erste Unternehmen produzieren Medikamente in Pflanzen und ein Impfstoff aus Tabak steht kurz vor der Zulassung. Ob das den Durchbruch für die großtechnische Produktion von Biologika in Gewächshäusern bringt? Die Chance, schnell auf neue Krankheitserreger zu reagieren, bietet es allemal: Kennt man den Erreger, vergehen mit den etablierten Industrie-Methoden fünf bis sechs Monate, bis das Medikament tatsächlich bereitgestellt werden kann. Es dauert seine Zeit, bis die Bakterien- oder Tierzellen genug davon produzieren. "Viel schneller geht es, wenn wir Pflanzen einsetzen", sagt Jansing. "Damit benötigen wir nur etwa zwei bis drei Monate von der Gensequenz, bis wir es in Händen halten."

Mehr über "Tabak, der ab jetzt gesund macht" erfahren Sie in der neuen März-Ausgabe von Technology Review (im gut sortierten Zeitschriftenhandel erhältlich). (jsc)