Was war. Was wird. Ein Angriff auf uns alle?

Wahnvorstellungen? Als ob das bei den ihr Unwesen treibenden Rechtspopulisten, Identitären und Incels etwas Ungewöhnliches wäre, schüttelt Hal Faber den Kopf.

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Was war. Was wird. Ein Angriff auf uns alle?

Ja, sie sind überall, die Verschwörungen und die heimlichen Strippenzieher. Zumindest, wenn man unseren Rechtspopulisten zuhört. Aber das sollte man eh lieber lassen, gegen den Mus im Gehirn hilft kein Aluhut: Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

(Bild: Grzegorz Zdziarski / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Nein, sie haben mit der Tat rein gar nichts zu tun. Schließlich war der Mann krank und für Kranke ist die AfD nicht zuständig, sie sorgt sich ja um die Gesundheit des Volkskörpers. Bedroht wird sie zum Beispiel durch erhöhte Kohlenmonoxidwerte in Shisha-Bars, wie die AfD Celle das am Mittwoch kritisierte. Diese Bars müssen nach Meinung der Partei als Orte der Vergiftungen durch Rauch gesetzlich reguliert werden. Der letzte Satz wortwörtlich: "Derartige Kontrollen müssten viel öfter durchgeführt werden, wenn man bedenkt, was bereits in diesem einen Fall an kriminellen Machenschaften zutage gefördert wurde. Keinesfalls dürfen sich hier rechtsfreie Räume herausbilden.“

(Bild: charfilmax / Shutterstock.com)

*** Am Mittwochabend gab es den "Angriff auf uns alle". Da ermordete dann ein psychisch kranker, von Wahnvorstellungen und rassistischen Überlegenheitsfantasien geplagter Mensch in Hanau Fatih, Ferhat, Gökhan, Hamza, Kalojan, Mercedes, Said, Sedat, Vili Viorel und seine Mutter Gabriele. Geht es nach dem AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland, soll es "schäbig" sein, die Morde von Hanau zu instrumentalisieren. Das sagt einer der Führer einer Partei, die Aufwiegelung als Geschäftsmodell betreibt und "keine Gelegenheit auslässt, Straftaten, die von Migranten begangen wurden, für ihre politischen Zwecke 'zu instrumentalisieren'. Bei Verbrechen an Menschen mit ausländischen Wurzeln aber wäscht die AfD die Hände in Unschuld." Hanau liegt in Hessen, wo die AfD im Hessischen Landtag in einer parlamentarischen Anfrage zu Shisha-Bars nach verstärkten Tabak-Kontrollen rief und die Landesregierung antwortete, dass man regelmäßig "360-Grad-Kontrollen" durchführe: Kontrolliert werden auch die Gäste.

*** Wobei: Wenn man sich auch in der AfD von manchen mitgezimmerte Verschwörungstheorien anschaut, dann sind Wahnvorstellungen der Normalfall bei Rechtspopulisten, Identitären, Incels, und wer sich sonst noch so rumtreibt dunklen Ecken des Netzes. Was wir sonst noch wissen: Hessen besitzt als eines der wenigen Bundesländer ein eigenes Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum namens HETAZ, in dem Verfassungsschutz und die Polizei zusammenarbeiten, die selbst noch 140 Beamte in einer "BAO Hessen R" (Besondere Aufbauorganisation Hessen Rechts) zusammengeführt hat. Und dann ist da ja noch die wunderbare Software von Palantir Technologies: "Wenn rechte Straftäter innerhalb Hessens umziehen, bleiben sie ohne Zeit- und Wissensverlust auf dem Radar der hessischen Polizei. Dafür haben wir auch durch unsere Analysesoftware hessenDATA gesorgt. Nun ist der Mörder nicht straffällig gewesen und auch nicht umgezogen. Er wohnte bei seinen Eltern. Aber er schrieb einen Brief an die Bundesanwaltschaft, der in weiten Teilen mit dem hinterlassenen Bekennerschreiben identisch ist, freilich ohne die später eingefügten rassistischen Passagen und Vernichtungsfantasien. Müsste nicht bei den geäußerten Wahnvorstellungen von der Beeinflussung durch Geheimdienste und den Ankündigungen eines Kampfes wenigstens überprüft werden, ob der Absender im Besitz von Waffen ist? Nein, muss nicht. Ja, dann wälzen wir es auf die Ärzte ab, dass ein Waffenschein nur mit einem ärztlichen Attest der geistigen Gesundheit ausgegeben wird.

*** Es geht noch einfacher mit den Schuldzuweisungen. Da ist ja dieses schlimme Internet, der Hort von allen möglichen Informationen: "Die Botschaft in einem der Videos von R. lautet: Vertraut nicht den „Mainstream-Medien“ und beschafft Euch 'Information'! Das ist in einem Satz die Handlungsanweisung, die in die Irre führt: Wenn für Information gehalten wird, was Wahnvorstellungen sind, und für Lüge, was um die Wahrheit bemüht ist. In der digitalen Welt ist diese verkehrte Welt zum Geschäftsmodell geworden – zum politischen, zum extremistischen, zum terroristischen. Verantwortung müssen deshalb all diejenigen übernehmen, die von diesem Geschäftsmodell leben oder profitieren." Nicht nur der verdutzte Perlentaucher fragt sich:, was den FAZ-Redakteur da gebissen hat: "Vielleicht hat er ja recht, aber muss Altenbockum dann nicht auch glauben, dass die Zeitungen an Hitler schuld waren?"

*** Bekanntlich ist gerade Karneval in Deutschland, mit lustigen Motivwagen und Büttenreden. Als Hannoveraner hat man so seine Probleme mit dieser Art zu feiern. Doch aus dieser Rede eines "Obermessdieners" möchte ich zitieren: "Die Demokratie, die werden wir schützen, eure Gesinnung wird euch nix nützen. Unsere Kinder werden nicht mehr für euch erfrieren, auf keinem Schlachtfeld mehr krepieren, und auch nicht kämpfen bis zuletzt, während ihr euch in den Führerbunker setzt. Sie vor euch zu schützen ist erste Bürgerpflicht, Mainz ist weltoffen, ihr nehmt uns die Freiheit nicht. Solltet ihr für jedes Naziopfer eine Schweigeminute gestalte, müsstet ihr 38 Jahr' lang eure Schandmäuler halte. Es war millionenfacher Völkermord, ihr braunen Wichte, und kein Vogelschiss der deutschen Geschichte. Die Morde von Hanau, die Schüsse auf die Synagoge in Halle - ob Juden, Christen, Muslime, das war ein Angriff auf alle. Wir leben hier zusammen, die Demokratie wird triumphieren, dieses Land werdet ihr niemals regieren."

*** Mit dem Regieren haben andere so ihre Probleme. Die CDU debattiert seit Tagen, wie linksextrem der ehemalige Thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow ist. Nun hat die Führung in Berlin entschieden, was ein Thüringer Würstchen ausmacht. Ordentlich Flagge zeigen konnte dabei Gesundheitsminister Jens Spahn, der Parteichef werden möchte. Jens, der Macher, hat diese Woche viel gemacht. Am Ende wurde sogar ein waschechter Bundeswehrgeneral in die Abteilung Gesundheitsschutz und Gesundheitssicherheit abkommandiert, der erst im Januar ein Bundeswehr-Krankenhaus befehligte. Das abkommandiert ist wörtlich zu verstehen: Generalarzt Hans-Ulrich Holtherm wird Soldat bleiben, also in Uniform für die Sicherheit unseres Gesundheitssystems kämpfen. Wie wäre es damit, bei Arvato Systems anzufangen. Dort wird die nach der CCC-Kritik gerade reparierte "sichere Lieferkette" für die Praxiskonnektoren der Ärzte mit anonymen E-Mails und der Bitte eingeleitet, doch einen Anhang mit einer Excel-Datei zu öffnen. Mal sehen, wie die neuen elektronischen Gesundheitskarten und der zugehörige PIN-Brief verschickt werden, die für die Einführung der elektronischen Patientenakte benötigt werden.

Am kommenden Montag beginnt in London die eigentliche Gerichtsverhandlung zur Auslieferung von Julian Assange an die USA. Nach all dem, was in den letzten Tagen bekannt wurde, müsste schnell vom Gericht entschieden werden, dass der Australier nicht ausgeliefert wird: Da gibt es einen US-Präsidenten, der allen Ernstes glaubt, über dem Gesetz zu stehen. Eine Verhandlung nach dem Code of Law ist damit nicht möglich. Da gibt es Dokumente, nach denen dem Wikileaks-Gründer eine strenge Isolationshaft droht, die er nicht überleben würde. Doch was ist an diesem Verfahren schon normal? Eine wichtige Rolle soll die Aussage von Assange aus dem Jahre 2016 spielen, derzufolge der Hack des Mailsystems der Demokraten nicht durch Russland erfolgte. Für diese Aussage sollte ihm Pardon gewährt werden. Dazu wollen Assanges Verteidiger einen Zeugen präsentieren. Nun hat Assange 2016 ja erklärt, dass Russland nicht beteiligt war, also müsste das Pardon greifen. Doch das verweist wiederum auf den US-Präsidenten als höchsten Richter, mit einem neuen Geheimdienstkoordinator der, so es gewünscht wird, neue geheime Anklagen vorbereiten dürfte.

Hätte Assange am 27. September 2010 nicht fluchtartig Schweden verlassen, sähe die Sache jetzt sicher anders aus. Doch hätte, hätte, diese Fahrkette hat kein Ende. Da gibt es keine bleibenden Werte, wie die Fotos zeigen: Andy Müller-Maguhn, der treueste Besucher von Assange in der Botschaft von Ecuador, fehlt ebenso wie die mutige Sarah Harrison oder die preisgekrönte Dokumentarfilmerin Laura Poitras.

Nennen wir es die erdabgewandte Seite der Geschichte. (jk)