Die kontrollierte Abwicklung der Sowjetunion

Ronald Reagon und Margaret Thatcher, 1988. Bild: Amt des US-Präsidenten, gemeinfrei

Die Marktradikalen, das Organisierte Verbrechen, die Geiselnahme 1979 in Teheran und die Iran-Contra-Affäre: Wie sich die USA anschickten, die kommunistische Weltordnung auszuradieren

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Im Schatten des offiziellen Europas versteckt sich ein anderes, ein diskreteres und weniger vorzeigbares Europa. Es ist das Europa der Steuerparadiese, die ohne Barrieren dank des internationalen Kapitals wachsen, ein Europa der Finanzplätze und der Banken, für die das Bankgeheimnis zu oft ein Alibi und einen Schutzschirm darstellt. Dieses Europa der Nummernkonten und der Geldwäscherei wird benutzt, um Geld von Drogen, Terror, Sekten, Korruption und Mafiaaktivitäten in den Wirtschaftskreislauf einzuschleusen. Diese dunklen Umlaufkreise, die von kriminellen Organisationen benutzt werden, entwickeln sich zur gleichen Zeit, in der die internationalen finanziellen Transaktionen explodieren, die Unternehmen ihre Aktivitäten ausbauen oder ihre Hauptsitze über die nationalen Grenzen hinaus verlegen. Gewisse politische Persönlichkeiten und Parteien haben selbst bei bestimmten Gelegenheiten von diesen Umlaufkreisen profitiert. Im Übrigen erweisen sich die politischen Autoritäten aller Länder heute unfähig, diesem Europa des Schattens klar und effizient entgegenzutreten.

Genfer Appell

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Prolog in der Hölle - Der Vormarsch des Organisierten Verbrechens

Klarer kann man die realen Machtverhältnisse in der heutigen Welt kaum noch auf den Punkt bringen. Die Herren, die ihrem Zorn Luft machen, müssen es wissen. Es handelt sich hier um den so genannten Genfer Appell von sieben führenden Richtern und Staatsanwälten aus verschiedenen europäischen Ländern, veröffentlicht im Jahre 1996. Die Presse erwähnte diesen Notruf der Juristen mit keinem Wort.

Dabei war der spanische Untersuchungsrichter Balthasar Garzon schon damals international bekannt. Er sollte später den chilenischen Horrordiktator Augusto Pinochet mit Haftbefehl verfolgen, und er kümmert sich aktuell um den Wikileaks-Gründer Julian Assange. Weil Garzon so unerschrocken die Mächtigen herausfordert, wurde gegen ihn ein mehrjähriges Berufsverbot verhängt.

Das Elend, das die wackeren Sieben im Genfer Appell für Europa so treffend anprangern, das aber genauso in der ganzen Welt vorherrscht, hat seine Ursprünge in den späten 1960er Jahren aufzuweisen. Durch den Terror des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA waren integre nationalistische Regierungen in der Dritten Welt gewaltsam gestürzt und durch korrupte Militärregime ersetzt worden. Deswegen erhob der streitbare spanische Richter Garzon auch gegen Henry Kissinger Anklage. Kissinger war der Drahtzieher der Operation Condor: in Lateinamerika wurden reihenweise Horrordiktaturen wie jene des Augusto Pinochet in Chile installiert. Dasselbe traurige Bild ergibt sich für die 1960er und 1970er Jahre für Afrika oder Asien.

Die Folge: abrupt unterbrochene wirtschaftliche und politische Entwicklungen. An die Stelle einer Aufbruchsstimmung nunmehr Angst, Einschüchterung, Lähmung und innere Kündigung der Bürger. Über die bleierne Duldungsstarre herrschten ab jetzt Militärdiktatoren und kriminelle Banden. Die Regierung mit dem ihr anvertrauten Volksvermögen war für jene Kreise zum Selbstbedienungsladen verkommen. Gelder und andere Vermögenswerte wurden massenhaft außer Landes geschafft.

Anstelle demokratischer Abstimmungsprozesse und regelbasierter Konfliktlösung nunmehr der blanke Terror der Waffen, flankiert von strangulierenden Vorschriften des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. In jener ohne Not verwüsteten Welt sind nur noch die Kirchen und andere religiöse Gemeinschaften, das Militär sowie kriminelle Netzwerke voll funktionsfähig.

Das alleine ist schon schlimm genug. Es gibt aber einen Brandbeschleuniger, der dafür sorgen sollte, dass das Organisierte Verbrechen als vierter großer globaler Spieler neben den Multinationalen Konzernen, den aus Bretton Woods entstandenen Nichtregierungsorganisationen und den zusammengestutzten Nationalstaaten am Runden Tisch der Weltregierung Platz nehmen konnte. Ermöglicht wurde der Eintritt der Al Capones dieser Welt in das Zentrum der Macht durch das so genannte Clearing-System. 1968 hatte die private Citibank die Firma Clearstream gegründet. 1970 folgten konkurrierende Banken mit der Gründung der Clearingfirma CEDEL im biederen Luxemburg.

Die Clearing-Stellen sind sozusagen die "Notariate des Globalkapitals". Wenn früher Wertgegenstände, sagen wir mal: ein Goldbarren, den Besitzer wechselte, dann musste der Goldbarren mit allerlei Transportaufwand von Verkäufer A zu Käufer B transportiert werden. Wenn z.B. die Nazis ihr Gold, das sie eroberten Zentralbanken oder ermordeten jüdischen Mitbürgern geraubt hatten, zum Umschmelzen zur Basler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich mit LKWs transportierten, war das eher auffällig.

Die Clearing-Stellen dagegen bürgen ganz einfach dafür, dass die Goldbarren in einem bestimmten Safe deponiert sind. Der Besitzer wechselt, aber nicht der Standort des Wertgegenstandes. Auf diese Weise kann jede Art von Wertgegenstand transferiert werden, ob nun teure Gemälde, Aktienpakete, Devisen, wertvolle Teppiche, einfach alles. Clearing kümmert sich nicht um die Herkunft oder die Legalität der transferierten Werte.

Das wird möglich dadurch, dass die Besitzerwechsel nicht in Textform protokolliert werden, sondern in chiffrierten Zahlencodes, deren Bedeutung nur ganz wenige Mitarbeiter in den höheren Rängen der Firmenhierarchie kennen. Der untere Sachbearbeiter verschiebt den ganzen Tag nur stumpfsinnig Zahlenkolonnen. Auf diese Weise gibt es kaum Mitwisser oder gar Whistleblower über die getätigten Transaktionen.

Passend zur Einrichtung dieser Clearingstellen sorgte die Gründung des weltweiten Kontoführungssystems SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunications) im Jahre 1973 für sichere Wege, auf denen Kontobewegungen weltweit über 11.000 angeschlossene Banken abgewickelt werden können. Clearing-System und SWIFT sind sozusagen die Entsprechung zur digitalen Informationsrevolution, für die Finanzwelt: alle Transaktionen sind gleich, ungeachtet der qualitativen und quantitativen Unterschiede.

Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch des Autors: "Der Griff nach Eurasien: Die Hintergründe des ewigen Krieges gegen Russland".

Sie sind nur noch anonyme Zahlenkolonnen: in diesem Zahlenbrei sind Einkünfte aus ehrlicher Arbeit nicht mehr zu unterscheiden von Einkünften aus Verbrechen. Man könnte hier von einer "Digitalisierung des Geldes" sprechen, denn die sich rasch entwickelnde Computertechnologie beschleunigt jene Transaktionen zusätzlich.

Die durch CIA, IWF und Weltbank chaotisierte Weltordnung bietet ein ideales Brutbett für unzählige neue Verbrecherorganisationen, die jetzt durch die Clearingstellen ihre Erträge ganz schnell und unauffällig weltweit äußerst gewinnbringend einsetzen und reinwaschen können. Hinzu kommen jetzt die berüchtigten Steueroasen oder Offshore-Banken, wo diese Erträge steuerbefreit für ihre Besitzer arbeiten können.

All diese Entwicklungen zusammengenommen laugen den Nationalstaat immer weiter aus, so dass wir jetzt jener beklagenswerten Ohnmacht ins Auge schauen müssen, die die tapferen sieben Juristen zu ihrem Notruf im Genfer Appell veranlasst hat.

Bühne frei für die Marktradikalen: Friedman, Hayek, Buchanan und Co

Passend zu dieser neuen Weltlage sollte jetzt auch eine neue "Weltanschauung" in den Vordergrund treten: der Marktradikalismus. Nach dieser Theorie soll der Staat sich fast komplett zurücknehmen und nur noch Polizei und Militär anleiten. Wenn der Staat sich in wirtschaftliche Prozesse einmischt, dann stört er damit nur die natürliche Balance konkurrierender Marktkräfte. Nach Adam Smith kommt für die Gesamtheit aller Bürger das Optimum heraus, wenn jeder Einzelne seinem gesunden Egoismus frönt. Wie viel Staat noch erlaubt sein soll, darüber gibt es im Spektrum der marktradikalen Schulen unterschiedliche Auffassungen.

Die Schule des Marktradikalismus entstand aus einem Reflex der Reichen und Privilegierten auf die ungeheure Beliebtheit des US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt. Wie wir gesehen haben, bemühte sich Roosevelt um mehr Mitbeteiligung und Mitbestimmung aller Bürger an den wichtigen politischen Entscheidungen. Nach Roosevelts Erdrutschsieg 1936 schlossen sich einflussreiche Unternehmer zusammen, um einen elitären kapitalistischen Gegenentwurf zum New Deal auf den Weg zu bringen.

Sie entwarfen auf der New Yorker Weltausstellung von 1940 eine schöne neue Konsumwelt mit satten, aber entmündigten Bürgern. Die Theorie zu dieser Gegen-Revolution entwarf Walter Lippmann in seinem 1937 erschienenen Grundlagenwerk "The Good Society". Der Zweite Weltkrieg jedoch erforderte zunächst die Bündelung aller Kräfte in einer kapitalistischen Planwirtschaft.

Nach dem Krieg trafen sich die Gegner jeder Art von Planwirtschaft in der Mont-Pelerin-Gesellschaft. Man gab der neuen Strömung den Namen: "Neoliberal". Allerdings entwickelte sich daraus der Dialekt des Marktradikalismus, besonders in den USA und Großbritannien. Ausgehend von der genossenschaftsfeindlich-aristokratischen Schule des gebürtigen Österreichers Ludwig von Mises entwarf sein Landsmann und Schüler Friedrich von Hayek das Programm für eine über mehrere Generationen verlaufende Demontage staatlicher Autorität. Aus seiner universitären Denkschule sollten auf diese Weise durch eine unermüdliche Ausbildung Absolventen in die Gesellschaft einsickern und auf allen Ebenen den Staat von innen und von außen umkrempeln.

Hayek und Mises sollte sich der Ökonom Milton Friedman mit seiner Chicago-Schule hinzugesellen. Wieder eine andere Abart des Marktradikalismus vertrat der tief im Südstaaten-Rassismus verwurzelte Hochschullehrer James Buchanan. Während diese Denker noch einen Rest von Staatlichkeit vorsahen, steht Murray Rothbard für einen bedingungslosen Anarchokapitalismus. Die dazu passend kreierte Bewegung vom Reißbrett sollte den Namen "Libertarismus" erhalten. Äußerst künstlich wird hier ein unversöhnlicher Gegensatz von Freiheit hier und sozialer Gerechtigkeit dort konstruiert. Der moderne Sozialstaat ist in dieser Ideologie der größte Feind der Freiheit.

Nun nützen all diese Gedankenspiele gar nichts, wenn sie nicht irgendwie mit Geld und real existierenden gesellschaftlichen Bewegungen verknüpft werden. Das Geld sollte den Professoren jedoch ohne Mühe zugetragen werden. Unter den Superreichen fanden sich einige Vertreter, die nur äußerst ungern mit ärmeren Gesellschaftsschichten teilen wollen. Der Milliardär Richard Mellon Scaife spendierte aus seiner Portokasse allein 600 Millionen US-Dollar zur Förderung marktradikaler Netzwerke. Es galt, US-Kongressabgeordnete gewogen zu machen für die neuen Ideen.

Wo Universitäten keine marktradikalen Propheten ordinieren wollten, galt es, private Universitäten oder Denkfabriken neu zu gründen. David und Charles Koch besitzen ein milliardenschweres Öl-Imperium in Texas. Auch sie finanzieren seit den Tagen von Präsident Johnson das marktradikale Roll-Back wo immer sie können. Es handelt sich ganz einfach um unternehmerischen Pragmatismus: man sorgt für ein optimales Investitionsklima der eigenen Unternehmungen.

Deshalb finanzieren die Kochs auch millionenschwere Institute und Pressure-Groups, die der Öffentlichkeit einhämmern, am Niedergang des Klimas sei der Mensch völlig unschuldig, und natürlich ganz besonders unschuldig sind die armen diskriminierten Ölunternehmer. Dann gibt es noch, natürlich unter vielen anderen, den Briten Sir Antony George Anson Fisher. "AGAF", wie ihn seine Freunde nannten, war reich geworden, indem er die industrielle Herstellung von Eiern in Legefabriken als neue profitable Wirtschaft aus den USA nach Europa importierte.

Mit seinem immensen Reichtum gründete er eine Reihe von Denkfabriken und Lobbygruppen. Die folgenreichste unter ihnen ist zweifellos das Atlas-Network, das überall auf der Welt Filialen mit eigenen Namen unterhält, wo Nachwuchskräfte in der Technik der marktradikalen Regierungskunst unterwiesen werden.

Nun nützt das schönste Theoriengeflecht rein gar nichts, wenn man es nicht auch mit einer ganz realen Strömung in der Bevölkerung verbinden kann. Für sich gesehen kann eine Wirtschaftstheorie wohl kaum Menschen zu Aktionen bewegen, besonders dann nicht, wenn nicht klar erkennbar wird, was für die Menschen draußen im Lande Positives dabei herauskommen soll. Dem Publizisten William Francis Buckley ist jedoch in den USA der geniale Streich gelungen, christlich-fundamentalistische Gruppierungen für eine Fusion mit dem Marktradikalismus zu gewinnen.

Eigentlich widersinnig. Wie soll denn die Bergpredigt mit ihrem Verzicht auf schnöden Eigennutz und der bedingungslosen Nächstenliebe mit den harschen Dogmen des rücksichtslosen Egoismus der Marktradikalen vereinbar sein? Nun, die USA sind bekanntlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Fusion gelang, und seitdem haben die Marktradikalen einen feste Wählerschaft im so genannten "Bibelgürtel" (Bible Belt), wovon dann die Republikaner seit den 1980er Jahren profitieren sollten.

Die Hochschulen und Universitäten okkupiert; eine Massenbewegung gekapert. Fehlt nur noch der Beweis, dass man mit den Koch-Rezepten tatsächlich einen ganzen Staat mitsamt seiner Bevölkerung erfolgreich regieren und verwalten kann. Milton Friedman hatte an der - übrigens privat betriebenen - Universität von Chicago bereits einige Generationen von Schülern ausgebildet, die so genannten "Chicago-Boys", zum großen Teil ausländische Studierende, die nun die neue Heilslehre in ihre Heimatländer mitbrachten.

Bei dem mörderischen Putsch gegen die Sukarno-Regierung 1965 in Indonesien hatten bereits Adepten der neuen Lehre CIA-Agenten begleitet und bei der Einführung kapitalistischer Wirtschaftsweisen ein wenig herumexperimentieren dürfen unter dem Schirm der Suharto-Diktatur.

Als nun der CIA am 11. September 1973 die rechtmäßige Regierung Allende aus dem Weg räumte und etwa 30.000 Linke in Konzentrationslager verschleppte, war die Bühne frei für chilenische "Chicago-Boys", am lebenden Objekt die Hausmittel der Marktradikalen auf ihre Wirksamkeit zu testen. Dank Henry Kissingers Operation Condor ergaben sich auch in Argentinien und in Uruguay wunderbare Versuchslabore für die liberalen Extremisten.

Ergebnis: eine Menge bedauerlicher Kollateralschäden. Die Verarmung der Massen zum Beispiel. Aber die Zerschlagung genossenschaftlicher Strukturen sowie öffentlich-rechtlicher Renten- und Gesundheitskassen und ihre Ersetzung durch profitorientierte Privatfirmen funktionierte, mehr schlecht als recht. Aber es funktionierte. Irgendwie. Und das zählte. Mit diesen Erfahrungen im Gepäck konnte man sich daran machen, auch die USA und Großbritannien entsprechend umzupolen.