Hamburg: "Volksparteien" stürzen weiter ab

Grüne trotz Gewinnen mit Beschränkungen nach oben, AfD hat Höhepunkt überschritten, es fehlt eine Alternative

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Hamburg ist sicher eine Ausnahmestadt. Zu erwarten war nach allen Umfragen, dass Rot-Grün wieder eine Mehrheit erreichen würden, unklar war nur, wie viel die SPD verlieren wird und die Grünen zulegen werden. Die Grünen dürften mit den 25 Prozent und der Verdoppelung der Stimmen, wohl ihr oberes Limit erreicht haben. Dass Rot-Grün so deutlich gewann, dürfte eine Folge des anhaltenden Desasters in Thüringen sein, was vor allem die CDU betrifft, die unfähig zu rationalen Entscheidungen zu bleiben scheint. Vermutlich war dies und das Massaker des rassistischen Verwirrten in Hanau ein Grund für die hohe Wahlbeteiligung.

Dass die SPD auch mit deutlichen Verlusten mit Abstand stärkste Partei blieb, verdankt sie zum guten Teil ihrer konservativen, wirtschaftsfreundlichen Ausrichtung in der Hansestadt. Um dem nicht zu schaden, distanzierte man sich auch von den neuen Parteivorsitzenden. Jetzt hat die SPD die Wahl, eine Regierungskoalition mit den starken Grünen oder mit der schwachen CDU einzugehen. Das verschafft ihr die Möglichkeit, grünen Forderungen nicht ganz so stark nachgeben zu müssen, schließlich würden die SPD-Wähler sich betrogen fühlen, wenn es zu einer rot-schwarzen Regierungsbildung käme. Die Linken haben sich auch im Westen, zumindest in den Städten, etabliert, die FDP hingegen ist auf dem absteigenden Ast, wenn sie sich nicht von dem neoliberalen Profil löst, mit dem sie auch gerne nach rechts schwenkt, weil sie keine dezidiert politisch liberale Partei mehr ist.

Zuwanderung ist kein vorherrschendes Thema mehr

In Hamburg könnte sich dennoch eine Trendwende abzeichnen. Der Höhenflug der AfD ist beendet, sie verliert und ist gerade noch über die 5-Prozent-Hürde gesprungen. Wie schon Umfragen zu Hamburg zeigten, verstärkt sich der Trend, dass die Menschen das Alleinthema der AfD ("bürgerlich, konservativ, patriotisch") nicht mehr für entscheidend halten und es hinter anderen, wichtigen Themen zurückfällt. Ganz oben steht mit 21 Prozent das Thema Klima und Umwelt, zu dem die Rechtsnationalen nichts zu sagen haben, abgesehen von Scheuklappen und Leugnen. Auch zu den anderen Themen Verkehr und Infrastruktur, Bildung, Soziale Sicherheit und Wohnen mit jeweils 16 Prozent haben sie kaum etwas Fundiertes entwickelt. 5 Prozent geben nur noch Zuwanderung als ihr wichtigstes Thema an.

Das Ausspielen von Angst und nationaler Einigelung sowie das Fehlen einer konstruktiven, zukunftsgewandten Politik können bei den Menschen in den Städten nicht verfangen. Allerdings ist Zuwanderung bei den verbleibenden AfD-Wählern mit Abstand das wichtigste Thema (49 Prozent), das zweitwichtigste ist mit 13 Prozent Soziale Sicherheit. Die meisten Stimmen erzielte die AfD bei den 45-69-Jährigen. Bei den Jüngeren verliert sie, was auch darauf verweist, dass sie mit ihren Hauptthemen Zuwanderung und Sicherheit eine Auslaufpartei ist. Das wird auch dadurch bestätigt, dass 55 Prozent der AfD-Wähler sagen, ihre Entscheidung für die AfD sei aus Enttäuschung erfolgt, nur bei 39 Prozent aus Überzeugung. Enttäuschung gaben bei allen Befragten 22 Prozent, Überzeugung aber 73 Prozent an. Die größte Berufsgruppe unter den Wählern sind mit Abstand Arbeiter, obwohl die AfD für sie nichts zu bieten hat, abgesehen vom Schüren der Angst vor dem Abstieg wegen der Zuwanderer.

Thüringen: Machttaktische Spiele unerwünscht

Björn Höcke hat unbeabsichtigt mit seiner Reaktion auf das Massaker in Hanau klargemacht, dass die AfD Teil des Wahnsinns ist, der das Land überflutet: "Die abscheuliche Mordtat von Hanau, bei der zehn Menschen unvermittelt aus dem Leben gerissen wurden, macht uns fassungslos. Wir trauern mit den Hinterbliebenen. Der Wahnsinn scheint sich in diesem Land immer mehr auszubreiten."

Zwar sagen bei den Anhängern der übrigen Parteien, dass die Vorgänge in Thüringen keinen sehr großen Einfluss auf die Wahlentscheidung haben, bei den CDU-Wählern sagen dies nur 3 Prozent, bei den FDP-Wählern gar nur 0 Prozent. Dennoch wurden beide Parteien, die mit der AfD kokettieren, auch wegen Thüringen abgestraft. Aber erstaunliche 34 Prozent der AfD-Wähler erklären, Thüringen hätte einen großen Einfluss auf ihre Wahlentscheidung. Das dürfte nicht zugunsten der AfD ausgefallen sein.

Alle drei Parteien haben wahrscheinlich wegen ihres taktischen, vermutlich mehr oder weniger abgesprochenen Spiels an Vertrauen verloren. FDP und CDU, weil sie versuchten, sich mit der Hilfe der AfD und einem Ministerpräsidenten einer 5-Prozent-Partei an die Macht zu bringen und damit zu demonstrieren, was sie unter der bürgerlichen Mitte verstehen, die rechts außen liegt. Und die AfD zeigte, dass sie nicht hinter ihrem (Schein)Kandidaten steht, sondern ihn fallen lässt, um Einfluss auf eine Minderheitsregierung zu erhalten, oder auch nur, um zu provozieren. Absehbar muss allen drei Parteien gewesen sein, dass sie damit nicht durchkommen werden. An solchen taktischen Spielereien haben dann doch nur wenige Gefallen oder Interesse.

Es fehlt eine Alternative zur Alternative

Trotz der Warburg-Kungelei wurde der SPD, die am meisten verlor, von den Wählern zugestanden, dass sie am besten für die Wirtschaft, die Soziale Sicherheit und bezahlbaren Wohnraum sei. Hier können die Grünen kaum mithalten. Sie werden wesentlich für die Umwelt- und Klimapolitik gewählt. Wenn hier die Union, wie es die CSU vormacht, und die SPD stärker mitziehen, ist unsicher, wie weit die Grünen sich halten können. Aber die Grünen sind die Partei der jüngeren, akdemisch gebildeten, urbanen, kosmopolitischen und der Zukunft zugewandten Bevölkerung, während Union und SPD vergreisen.

Was lässt sich aus der Wahl über die besondere Situation in Hamburg hinaus ablesen? Die AfD mit den Themen Zuwanderung/Ausländerfeindlichkeit/Sicherheit dürfte im Westen ihren Höhepunkt überschritten haben und sich zerbröseln. Im Osten sieht es (noch) anders aus, aber nach den Spielchen in Thüringen ist das Image als Antisystem-Partei endgültig zerplatzt. Was bleibt: Es wäre Raum für eine Partei der Unzufriedenen links oder rechts der beschworenen Mitte, aber sie müsste neben dem Wut-Ablassen ein konkretes und konstruktives, vor allem auch für die Zukunft überzeugendes Programm anbieten, das die jungen Menschen und die Städter anspricht. Das Feld besetzen derzeit die Grünen, die aber kaum Chancen haben, zur neuen Volkspartei zu werden.

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