Coronavirus und der Ausbau der staatlichen Macht

Ein irritierendes Video aus China, Donald Trump und wie man sich angeblich schützen kann

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein Video von einer Straßensperre in China zirkuliert. Es zeigt, wie die Epidemie ein Ordnungsregime zur Folge hat, das im Ausnahmezustand aggressiv Maßnahmen durchsetzt, um die Ausbreitung der Epidemie zu verhindern. Lückenlose Überwachung und Kontrolle der Bewegung ist Voraussetzung für den mit der Epidemie einhergehenden Panoptismus, wie Michel Foucault dies am Beispiel der Pest in "Überwachen und Strafen" beschrieb.

Eine "verpestete" Stadt wurde dabei zu einem Gefängnis, die Bewohner in ihre Häuser eingeschlossen und regelmäßig kontrolliert, in denen sie von außen versorgt wurden, die Straßen wurden streng überwacht, eingeführt wurde ein lückenloses Registrierungssystem, um polizeilich Kranke, Tote, Beschwerden oder Probleme aller Art zu erfassen: "Der Raum erstarrt zu einem Netz von undurchlässigen Zellen. Jeder ist an seinen Platz gebunden. Wer sich rührt, riskiert sein Leben: Ansteckung oder Bestrafung."

In dem wahrscheinlich unlängst gedrehten Video will der Fahrer eines Autos, offenbar ein Angehöriger der Mittelklasse, von der besonders von der Coronavirus-Epidemie belasteten Provinz Hubei, in deren Hauptstadt Wuhan sie vermutlich ihren Ausgang hatte, in Tongbay auf eine Autobahn in Richtung der benachbarten Provinz Henan fahren. Die Straße wird von Polizisten und Angehörigen eines Sondereinsatzkommandos abgesperrt, der Fahrer muss anhalten, das Fenster öffnen, um seine Körpertemperatur messen zu können. Vermutlich hatte er Temperatur und sollte aussteigen, um weiter untersucht und bei erhärtetem Verdacht in Quarantäne zu landen.

Trotz der Polizeipräsenz will sich der Fahrer der Ordnungsmacht nicht fügen, fährt kurz an, was dazu führt, dass ein Polizist schnell über die Straße eine Nagelsperre zieht und ein Polizeifahrzeug die Straße sperrt, während der Kontrolleur einen mit einem Schild bewaffneten SWAT-Beamten zur Hilfe holt. Ob das Schild gegen mögliche Viren oder Angriffe des Fahrers wie Spucken schützen soll, ist nicht erkenntlich, jedenfalls beugt sich der Fahrer der drohenden Staatsmacht, steigt noch ein wenig aufmüpfig aus und nimmt seinen Mundschutz ab.

Hinter ihm hatten sich weitere SWAT-Männer angeschlichen, blitzschnell fängt einer den Mann am Kopf mit einem Käscher ein, weiter stürzen herbei, packen ihn, ziehen ihm eine Haube um den Kopf und führen ihn wie einen gefährlichen Kriminellen oder Terroristen ab. Das alles sieht gut eingespielt und trainiert aus. Das Ende ist dann überraschend. Polizisten mit Schilden stehen in Abwehrpose vor dem leeren Fahrzeug, bis zwei Männer mit Desinfektionssprühern herbeieilen, Schild und Schutzanzug des ersten SWAT-Polizisten desinfizieren, auch wenn dieser dem überwältigten Fahrer gar nicht nahekommen ist. Auch das Fahrzeug wird von außen desinfiziert.

Dann bricht das Video ab und hinterlässt einen gespenstischen Eindruck. Irgendetwas scheint nicht zu stimmen. Offenbar wurde das Video mit dem Einverständnis der Polizisten und nicht von einem zufällig Anwesenden gedreht. Hervorgehoben wird durch das Video, dass Widerstand zwecklos ist, dass man sich besser der Ordnungsmacht unterwirft, die bei Ungehorsam entschlossen vorgeht. Wahrscheinlich handelt es sich also um einen staatlichen Propagandafilm, der durch Abschreckung erzieherisch wirken, wahrscheinlich aber demonstrieren soll, dass die Ordnungsmacht lückenlos für Sicherheit sorgt und die Virus-Epidemie in Form der Wirte, die sie verbreiten, bekämpft. (Update: In einer etwas längeren Version des Videos wird deutlich, dass es sich in der Tat um eine Übung handelt.)

So geht es in Europa oder in den USA noch nicht zu, aber was nicht ist, kann noch werden. Für Foucault folgt aus der polizeilichen Pestkontrolle mit der Etablierung von Pestspitälern, in der die Infizierten wie die Aussätzigen zugleich aus- und eingeschlossen werden, die "Machttechnik der parzellierenden Disziplin". Sie betrifft nach den Pestkranken die übrigen Kranken, die Bettler, Landstreicher, die Irren und Gewalttäter, schließlich auch die Arbeitslosen und Arbeitsunwilligen, die stigmatisiert und aus- und eingeschlossen werden.

Ende der Freizügigkeit

Die New York Times schreibt im Hinblick auf die Coronavirus-Epidemie in Europa, dass das "Kronjuwel" der EU, die offenen Grenzen oder die Freizügigkeit, einen ersten Schlag während der Flüchtlingskrise erhalten habe, die Epidemie könne ihm den zweiten Schlag versetzen. Nationalisten und Rechte würden nun wieder die Schließung der Grenzen fordern, was sie als Wiederherstellung der Souveränität sehen. Großbritannien hat den Brexit entscheidend mit der Sicherung der Grenzen vollzogen. Das hat jetzt aber nichts genutzt, nach der WHO gab es gestern in Großbritannien 13 bestätigte Erkrankungen, 2 wurden wahrscheinlich in China, 10 in anderen Ländern angesteckt.

Charles Kenney merkte in dem Sinne ironisch an, dass Donald Trump im vergangenen Haushalt 3 Milliarden US-Dollar bei globalen Gesundheitsprogrammen gestrichen und den Beitrag zur WHO halbiert hatte: "Aber sie haben 3,8 Milliarden für die Grenzmauer gehabt. Vielleicht wird sie verhindern, dass der Coronavirus sich in den USA ausbreitet." Das chinesische Modell der abgesperrten Städte und Regionen, das von Italien übernommen wurde, könnte womöglich auch bei uns eingeführt werden, wenn die Epidemie sich ausbreiten sollte. Wobei Experten weitgehend der Meinung sind, dass solche Maßnahmen, die alle Menschen einer Stadt oder einer Region zu Verdächtigen machen, nicht wirklich die Ausbreitung verhindern können. Aber die Menschen lernen nun, wie schnell Bürgerrechte im Notstand ausgehebelt werden können.

Die Maßnahmen werden immer drastischer. Die Guangzhou-Filiale der chinesischen Zentralbank erklärt, sie sammle alle Banknoten von Bussen, Fleischmärkten und Krankenhäusern, um sie zu zerstören. Die dortige People's Bank of China (PBOC) fordert andere Banken auf, Geldscheine aus infizierten Gebieten zu sammeln und sie zu desinfizieren. Die Zentralbank erhitzt die Banknoten oder setzt sie UV-Licht aus und hält sie 14 Tage zurück.

Die Epidemie, die als zehnmal gefährlicher gilt als die Grippe, auch wenn 80 Prozent der Infizierten keine oder schwache Folgen erfahren, steht nur auch vor den USA, die Gesundheitsbehörde CDC rechnet mit einem Ausbruch, bislang sind mit 53 erst wenige Fälle bekannt. Am Montag forderte CDC-Chef Robert Redfield, den Trump 2018 ernannte, dennoch Unternehmen und Schulen auf, sich auf die Epidemie vorzubereiten. Auf Anweisung der CDC waren Hunderte von Amerikanern auf einem Kreuzschiff festgehalten worden, die dann den neuen Virus vor allem mit in die USA brachten, wo dank der Nachlässigkeit der CDC ein für Coronavirus entwickelter Test für die staatlichen medizinischen Labors mangelhaft war. Jetzt sollen 40 Prozent mit einem Test ausgestattet sein.

Am Mittwoch ernannte Trump offenbar in Panik, nachdem der erste Infizierte in Kalifornien sich nicht bei einer Auslandsreise angesteckt hatte, Vizepräsident Mike Pence zum Leiter der Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Epidemie. Gestern wurde Debbie Birx zur Coronavirus-Koordinatorin eingesetzt, die bislang AIDS-Beauftragte war. Daneben gibt es aber auch noch Gesundheitsminister Alex Azar. Das sieht nach Wirrwarr aus. Trump hatte zuvor versichert, die US-Regierung habe alles unter Kontrolle und die USA seien am besten darauf vorbereitet. Am Mittwoch versicherte er, das Risiko in den USA sei sehr gering, zudem habe man die besten Experten der Welt. Das Pentagon reduziert für sein Personal Reisen aus dem und in den Nahen Osten. Für Trump problematischer ist, dass die Aktien abstürzen. Mit dem Coronavirus kann man keinen Deal machen.

CDC und meine Administration Machen einen GROSSARTIGEN Job beim Umgang mit Coronavirus, wozu die sehr frühe Schließung unserer Grenzen für bestimmte Regionen der gehört.

Donald Trump am Mittwoch

Wie soll man sich schützen?

CDC warnt vor Vorurteilen gegenüber bestimmten Bevölkerungsschichichten, die Infektion kann jeden treffen, und gibt die üblichen Empfehlungen, wie man sich vor Ansteckung schützen kann. Möglichst oft und nicht zu kurz die Hände mit Seife waschen, möglichst nicht Augen, Nase und Mund mit ungewaschenen Händen berühren, zuhause bleiben, wenn man krank ist, wenn man hustet oder schneuzt, ein Taschentuch benutzen und dies dann in den Abfall werfen.

Das Robert-Koch-Institut empfiehlt die Einhaltung der Husten-Etiquette, also beim Husten und Schneuzen Abstand wahren und das Gesicht von anderen wegdrehen. Am besten ein Einwegtaschentuch benutzen, das in einen Mülleimer mit Deckel entsorgt werden soll (wie man dessen Inhalt entsorgen soll, wird nicht gesagt), oder im Notfall Nase und Mund in die Armbeuge halten (da sollte man aber wohl nicht reinschneuzen). Und immer wieder Hände waschen.

Und dann gibt es immer mehr Empfehlungen, sich mit Vorräten einzudecken, um eine Krise zu überstehen. Lebensmittel, Wasser, Medikamente - und alles Mögliche, was Prepper immer schon machen. Das führt zu Hamsterkäufen, wie dies jetzt schon in Italien und teilweise in Deutschland geschieht.

Die Biochemikerin Laurie Garrett ist schon lange im Geschäft, die Politiker und die Menschen vor den kommenden Plagen oder Pandemien zu warnen. Sie können wieder wie die Pest oder die Pocken verheerend sein, wenn nicht präventiv Abwehrmaßnahmen getroffen werden. Schon Mitte der 1990er Jahre veröffentlichte sie das Buch "Die kommenden Plagen", in dem sie drastisch die Bedrohungen in einer globalisierten Welt mit Megacities, Kriegen, Armut, Migrations- und Reiseströmen sowie einer fortschreitenden Umwandlung und Zerstörung von Natur beschrieb (Bedrohungen des globalen Dorfs).

Wie so viele gibt sie auch Empfehlungen, was man tun soll, um eine Infektion zu verhindern, da sie davon ausgeht, dass Panik ausbrechen wird, weil es noch keine Impfung und keine Behandlung für nCoV2019 gibt. Wer aus dem Haus geht, soll sich Handschuhe anziehen, sagt sie. Wenn man sie ausziehen muss, bloß nicht mit den Händen ins Gesicht langen. Die Handschuhe täglich waschen. Atemschutzmasken bringen nichts. Sie sei in vielen Epidemieregionen gewesen, am besten sei, den notwendigen Abstand zu den Mitmenschen zu wahren, mindestens einen halben Meter, und ansonsten Menschenmengen zu meiden. Alle Handtücher wechseln. Türen öffnen auch in der eigenen Wohnung am besten mit Handschuhen oder mit Ellbogen bzw. den Schultern. Nicht mit dem eigenen Besteck oder Stäbchen Essen aus gemeinsamen Schalen holen und nicht so hygienische Restaurants meiden.

Was die US-Regierung betrifft, gibt sie ihre Kritik des Zuständigkeitschaos zur Kenntnis: "America, we are facing a potentially catastrophic #COVID19 pandemic and nobody knows who is in charge in the USA."