"Vollgeld", Giralgeld, Helikoptergeld, "Schuldgeld" , Zinsen ...

Bild: US Bureau of Engraving and Printing, Washington D.C., Druckerei des US Dollar. Foto: Jörg Gastmann

Kaum ein Thema verschwendet so viel Energie wie die Geldsystemkritik

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Teil 1: Das Geldsystem ist nicht das Problem beschäftigte sich mit der Definition von Geld, "umlaufgesichertem Freigeld", Regiogeld, der Schöpfung von Geld aus dem Nichts und der Golddeckung. In diesem zweiten Teil geht es um Probleme, die im kaum gezügelten Kapitalismus ganz woanders liegen.

Buntes Vermischen der Systeme

Geldsystemkritiker setzen Dinge gleich, die zwar Schnittmengen aufweisen, aber nicht gleichbedeutend sind: Finanzsystem, Bankensystem und Geldsystem sind reichlich unterschiedliche Dinge. Würde man zum Beispiel das Finanzsystem vollkommen von Spekulationen und Wettgeschäften befreien, würde das am Geldsystem nicht das Geringste ändern. Gäbe es im Bankensystem keine privaten Banken mehr, und hätten Banken nicht mehr die Möglichkeit, Giralgeld durch Kreditvergabe selbst zu schöpfen, würde auch das nichts am Geld ändern.

An dieser Stelle haben Geldsystemkritiker üblicherweise zwei weitere Argumente: Erstens könne das Geld der Einen immer nur durch die Schulden der Anderen existieren, und zweitens könnten die Zinsen für das durch Kredite geschöpfte Geld gar nicht erwirtschaftet werden. Stimmt das?

"Vollgeld", Giralgeld, Helikoptergeld

Geld (als gesetzliches Zahlungsmittel) entsteht an zwei Orten: Bei Zentral- und Geschäftsbanken. Zentralbanken (Notenbanken) schöpfen Geld auf mehrere Arten: Bei Währungsreformen wie zum Beispiel in der Bundesrepublik 1948 erhielten (zusätzlich zum Umtausch alter Reichsmark) alle Bürger pro Kopf 60 D-Mark, alle Unternehmen pro Arbeitnehmer 60 D-Mark und alle öffentlichen Haushalte eine durchschnittliche Monatseinnahme geschenkt. Das war nichts anderes als aus dem Nichts geschöpftes "Helikopter-Geld". Bei dieser "Geldschöpfung aus dem Nichts" hat sich niemand darüber beklagt, die D-Mark sei wertloses bedrucktes Papier.

Am 26. Februar 2020 kündigte die Regierung von Hongkong die Emission von Helikoptergeld an: Jeder Bürger erhält 10.000 Hongkong Dollar (rund 1.200 Euro) geschenkt, um Konjunktureinbrüche durch das Corona-Virus zu mildern. Das ist bisher noch die Ausnahme, aber offensichtlich möglich, ohne Inflation auszulösen, sofern das Volumen nicht zu groß wird. In Simbabwe oder Venezuela, aber auch im Deutschland der 1920er Jahre hat das nicht funktioniert.

In wohldosierter Menge könnte Helikoptergeld eine zusätzliche Kaufkraft schaffen, ohne die Inflation zu erhöhen. Aber ist diese Büchse der Pandora einmal geöffnet, ist fraglich, ob die Regierungen und Zentralbankchefs dieses Instrument nicht immer hemmungsloser nutzen, wenn die Kaufkraftkrisen der Kapitalismus systembedingt immer größer werden.

Spiegel-Kolumnist Thomas Fricke forderte im September ganz vehement EZB-Chefin Christine Lagarde auf, Helikoptergeld einzusetzen, und machte dabei folgende Rechnung auf: "Hätte die Euro-Notenbank die rund 2,6 Billionen Euro, die sie seit 2015 in den Aufkauf von Anleihen gesteckt hat, gerecht auf jeden der rund 340 Millionen Euro-Bürger aufgeteilt und verschicken lassen, hätte jeder von uns seither sage und schreibe 7500 Euro bekommen. Und ein Großteil wäre seither nicht in Aktien, sondern in den Kauf realer Waren gegangen. Was die Wirtschaft, wenn so etwas in einem stetigen Fluss kommt, sicher deutlich stärker zu Investitionen angeregt hätte, als dies beim Geldschaffen via Finanzwelt der Fall ist."

Beim World Economic Forum wird ernsthaft darüber diskutiert, und in den USA sind Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez prominente Anhänger der Idee der "Modern Monetary Theory" (MMT). Dieses Gelddrucken nach Bedarf ist ein Eingestehen der Ineffizienz von Steuersystemen und ein Akt der Verzweiflung mit dem hohen Risiko eines Dammbruchs. Trotzdem oder gerade deshalb könnte die MMT früher oder später unvermeidlich werden, falls es keine Alternative gibt.

Bis dahin ist der wichtigste Weg der Notenbanken, um die Geldmenge zu erhöhen, die Kreditvergabe an Banken, die damit wiederum Kredite an Unternehmen und Konsumenten geben (sollen). Das soll für Investitionen, Konsum und Wirtschaftswachstum sorgen. Dass dieses Konzept nicht (mehr) funktioniert, lässt sich weltweit beobachten:

Den Menschen fehlt aufgrund zu niedriger Löhne und Renten die Kaufkraft für einen höheren Konsum. Wo die Nachfrage nicht steigt, gibt es für Unternehmen keinen Grund, zusätzliche Kapazitäten aufzubauen. Dem Angebot der Kredite fehlt also die Nachfrage. Selbst Kredite mit Zinsen von fast Null Prozent werden nicht genutzt. Wobei Banken weiterhin ohnehin nur Regenschirme bei Sonnenschein verleihen:

Wer solvent ist, würde Kredite erhalten, braucht sie aber nicht. Wer knapp bei Kasse ist, oder wer (zum Beispiel als Mensch über 60) einen Kredit ohne ausreichende Sicherheiten aufnehmen will, erhält ihn nicht. Wirtschaftswachstum per Geldmengenerhöhung könnte nur funktionieren, wenn es den Konsumenten zugute kommt, und zwar als Helikoptergeld, denn Kredite verringern selbst bei geringen Zinsen die Kaufkraft. Die bessere Lösung sind höhere Einkommen für alle. Wie das möglich ist, wird das Thema eines weiteren Artikels.

Eine weitere Möglichkeit der Notenbanken, Geld "aus dem Nichts" in Umlauf zu bringen, ist der Aufkauf von Staatsanleihen. Staaten, deren Einnahmen nicht ausreichen (also praktisch alle), leihen sich durch Staatsanleihen Geld. Legaler, aber illegitimer Schachzug dabei: Banken und Versicherungen werden gesetzlich gezwungen, einen mehr oder weniger großen Teil ihres Kapitals in Staatsanleihen anzulegen. Da alle Staaten (sogar Saudi-Arabien und Norwegen) ihre Staatsschulden entweder nicht zurückzahlen könnten oder wollen, würde der weltweite Crash des Systems drohen.

Damit dieser Crash nicht kommt, kaufen die Notenbanken unbegrenzt Staatsanleihen auf, was nichts anderes ist als grenzenloses Gelddrucken. Wer diese Politik der EZB kritisiert, hat die Folgen der Alternative nicht durchdacht: Ohne diese "Bazooka" der Notenbanken würden früher oder später alle Staaten zahlungs- und damit handlungsunfähig. In einer Kettenreaktion würden die verschuldetsten Staaten selbst die gesündesten Staaten mitreißen.

Schlechte Nachricht für Crash-Gurus: Das wird nicht passieren. Die Welt steckt aus mehreren Gründen in einer Abwärtsspirale und läuft meines Erachtens zwangsläufig auf gewaltsame Aufstände zu. Zu den Gründen gehört jedoch nicht das Geldsystem, sondern hauptsächlich der ungezügelte Kapitalismus, der die Gesellschaft und Demokratien zerstört und den Planeten buchstäblich auffrisst.

Ein Crash kann übrigens auch nicht durch die Target 2 Salden der europäischen Notenbanken entstehen, denn sie sind lediglich Außenhandelsstatistiken, und keine Forderungen.

Giralgeld-Schöpfung durch Geschäftsbanken

Die meisten Menschen beschäftigen sich nicht mit dem Geldsystem, da sie weder ein Problem noch einen Sinn darin sehen, Zeit in ein hochkompliziertes Dickicht zu investieren. Geldsystemkritiker versuchen dieses Desinteresse durch die Behauptung angeblicher Probleme zu knacken. Das größte Problem ist ihrer Meinung nach die Geldschöpfung und -buchung der Geschäftsbanken.

Wenn Banken Konten verwalten und auf diesen Konten Geld zu- und abfließt, muss es gemäß der Buchhaltungsregeln des Handelsgesetzbuchs und dem Kontenrahmen der Kreditinstitutsrechnungslegungsverordnung verbucht werden. In der doppelten Buchhaltung und im Banken-Kontenrahmen gibt es keine andere Möglichkeit, als Guthaben der Kunden auf Girokonten auf einem Konto zu buchen, dass sich "Verbindlichkeiten gegenüber Kunden" nennt. So what?

Alle Inhaber von Bankkonten, die sich nicht mit dem Geldsystem beschäftigen - also so gut wie alle - gehen davon aus, dass ein Girokonto für Ihr digitales Giralgeld das gleiche ist wie ein Schließfach für Bargeld, oder ein Parkhaus für Autos: Man stellt sein Geld oder Auto zur Aufbewahrung ab und holt es ab, wenn man es braucht.

Niemand betrachtet das abgestellte Auto als Kredit an den Parkhauseigentümer. Keinem normalen Bürger kommt in den Sinn, dass Banken das Guthaben auf ihrem Konto als Forderung an die Bank verbuchen. Wie die Bank ihr Geld als Forderung/Verbindlichkeit bucht, ist den Bürgern und Unternehmen egal, so lange die frei darüber verfügen können. Und schließlich gibt es keinen keinen Kreditvertrag zwischen Kontoinhaber und Bank. Oder doch?

In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken stehen zwar solche Formulierungen - nur liest diese in Anbetracht von Unverständlichkeit und Umfang niemand. Bürger verlassen sich darauf, das der Gesetzgeber sie vor überraschenden Vertragsklauseln und Verträgen schützt, deren Inhalte nicht ihrem Willen entsprechen. Und das tut der Gesetzgeber auch, und zwar durch § 305 c BGB.

Demnach werden "alle Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die … so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil." Absatz 2 besagt: Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders - in diesem Fall der Banken. Wenn also Bürger gutgläubig davon ausgehen, dass sie den Banken durch Kontoguthaben keinen Kredit geben, dann stützt § 305 c BGB diese Ansicht.

Einen Richterspruch hierzu gab es meines Wissens noch nie, weil es noch nie einen Schaden und daher auch nie eine Klage durch diese Klauseln gab. Ein Problem entstünde erst, wenn nach Bankenpleiten der Einlagensicherungsfonds nicht funktioniert, und dann würde höchstwahrscheinlich die "EZB Bazooka" auf Girokonten ausgeweitet.

Das vorangestellt, kommen wir zum größten angeblichen Problem der Geldsystemkritiker: Geschäftsbanken schöpfen Geld aus dem Nichts. Auf dieser Seite erklärt die Bundesbank, wie Geld bei Geschäftsbanken entsteht: Vor allem durch Kredite. Wenn eine Bank einen Kredit vergibt, schreibt sie den Kreditnehmern einfach den Betrag auf dem Konto gut. Das können Banken in hohem, aber nicht unbegrenzten Umfang tun.

Das Geld entsteht tatsächlich aus dem Nichts, nur durch eine Buchung. Die Geldmenge steigt, und die Bilanz der Bank wird verlängert. Zahlen die Kreditnehmer das Geld zurück, sinkt die Geldmenge wieder, und die Bilanz wird wieder verkürzt. Die Geldmenge atmet gewissermaßen, dezentral, je nach Bedarf und Kreditwürdigkeit.

Hinzu kommen die Zinsen, die die Kreditnehmer zahlen. Diese Zinsen sind nichts anderes als der Profit der Bank. Ob eine Bank, ein Händler oder ein Industrieunternehmen durch seine Geschäftstätigkeit einen Profit erzielt, kommt gesamtwirtschaftlich auf das Gleiche heraus. Wichtig ist nur, dass die Profite zurück in die Wirtschaft oder in die öffentlichen Haushalte fließen. Deshalb ist es auch sinnlos, den Banken die Möglichkeit zu entziehen, durch Kredite dezentral Geld zu schöpfen: