Kommentar zur Corona-Arbeitswelt: Das kleine Horror-Homeoffice

Millionen Menschen arbeiten nun daheim wegen Corona. Ob das eine nachhaltige Umstellung der Arbeit zu mehr Homeoffice bringt? Peter Ilg hat seine Zweifel.

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Kommentar zum Homeoffice: Beschäftigungstherapie ohne Ton zum Töpfern

(Bild: Shutterstock/Andrey_Popov)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Zurzeit arbeiten wohl mehr Mitarbeiter im Homeoffice als in ihrem externen Büro. Eine Minderheit ist Heimarbeit gewohnt und dafür eingerichtet. Die meisten aber zwingt das Virus zur Heimarbeit. Viele Firmen haben dichtgemacht und einen Teil ihrer Mitarbeiter an den Arbeitsplatz nach Hause geschickt. Das ist nun der Küchen- oder Wohnzimmer-Tisch. Darauf drängeln sich Laptops vom Partner und der Kinder, denn Corona hat alles und alle im Würgegriff.

Deshalb herrscht Ausnahmezustand im provisorischen Arbeitszimmer, weil Kindergarten und Schule ebenfalls geschlossen sind und die Firma des Partners auch. Die engen Umstände machen konzentriertes Arbeiten in den eigenen vier Wänden nahezu unmöglich. Ungünstiger können die Bedingungen für Homeoffice kaum sein.

Neue Arbeitsorganisationen werden von Mitarbeitern aber nur angenommen, wenn sie einen Vorteil oder ein Erfolgserlebnis damit verbinden. Nur dann gehen sie grundlegende Änderungen freiwillig und dauerhaft ein. Gleitzeit ist ein gutes Beispiel dafür. Aber Homeoffice in einer weltweiten Pandemie einführen? Woher bitte soll da ein Erfolg herkommen, wenn es für Büroarbeiter kaum etwas zu tun gibt? Schließlich steht die Wirtschaft nahezu still.

Ein Kommentar von Peter Ilg

Studium der Betriebswirtschaftslehre, dann angestellter Redakteur, jetzt frei, mit den journalistischen Schwerpunkten Arbeit und Mobilität.

Erfolgreiches Arbeiten im Homeoffice ist für die meisten Heimarbeiter mangels adäquater Möglichkeiten schlichtweg unrealistisch. Genauso die Hoffnung, dass Deutschland zum Homeoffice-Land wegen Corona mutiert. Die Arbeit vom Büro auf den Küchentisch auszulagern mag für manche ein Strohhalm sein, weil sie gerade keine andere Lösung sehen oder ihre Tools dafür verkaufen wollen. Doch Homeoffice fühlt sich in diesen Tagen eher an wie eine Beschäftigungstherapie, die zum Töpfern einlädt und den Ton vergisst.

Hinzu kommt der Faktor Selbstdisziplin: Wer zu denjenigen zählt, die zu Hause tatsächlich etwas Sinnvolles zu tun haben, braucht einen Plan. Nur dann geht Homeoffice gut. Selbstauferlegte Regeln sind dabei kein Gegner von selbstbestimmtem Arbeiten. Sie sind der Rahmen dieses Privilegs. Ja, das ist Homeoffice: ein Vorrecht für Menschen, die mit ihrer Zeit souverän umgehen können, die eigenverantwortlich arbeiten, sich selbst motivieren. Mündige Mitarbeiter sind den Firmen doch am liebsten.

Wer sich aber nicht gut selbst organisieren kann und ein Umfeld mit klaren Vorgaben braucht, für den wird Homeoffice zum Horror. Denn plötzlich hat der Tag dreimal so viel Stunden wie zuvor. Man kann seine Arbeit auf viel mehr Zeit verteilen. Denkt man. Doch das ist völlig falsch, weil es die größte Gefahr im Homeoffice fördert: die Prokrastination oder Verschieberitis. Wer viel verschiebt, steht letztendlich vor einem Berg an Arbeit, den er nicht mehr bezwingen kann. Deshalb sind vor allem Regeln für geregelte Arbeitszeit wichtig. Sonst läuft die völlig aus dem Ruder.

Das schreibt einer, der beide Seiten kennt: 15 Jahre fest angestellt, 17 Jahre freiberuflich. Freiberufler sein, das ist die Königsdisziplin von Homeoffice, wenn man sein Büro in den eigenen vier Wänden hat. Ob im Journalismus oder als IT-Spezialist.

Letztere sollen nun die Büro-Welt retten. Vor wenigen Wochen waren sie als Digitalisierer der Nation die gefragtesten Mitarbeiter – jetzt sind sie es, weil sie sich mit den technischen Lösungen fürs Homeoffice auskennen. Programme für Videokonferenzen und zum kollaborativen Arbeiten sollen IT-Profis nun möglichst schnell und möglichst oft installieren. Das Virus wird Homeoffice zum Boom verhelfen, melden Verbände und logischerweise die Hersteller dieser Produkte mit Dollarzeichen in den Augen. Technisch ist das machbar. Einen ungünstigeren Zeitpunkt als eine Krise gibt es aber nicht, um eine neue Arbeitsorganisation einzuführen. Das Virus schadet deshalb der Homeoffice-Kultur mehr, als dass es sie fördert. (axk)