Covid-19: Der umstrittene Infektiologe Didier Raoult

Corona-Pandemie: Die Wissenschaft, Big Pharma und der Streit über die Behandlung mit Hydroxychloroquin. Update

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Die Verbreitung von Corona ersetzt das alte sanfte naturschöne Chaos-Bild vom Schmetterling, dessen zarter Flügelschlag weltweite Wirkungen erzeugt. Stattdessen ist es aller Wahrscheinlichkeit nach die Fledermaus (also eher dämonisch wie Graf Dracula), die als Wirt und Spreader des Sars-Virus die Welt vom fernen Osten aus in Unordnung gebracht hat - mit wirklich hässlichen, harten Ausschlägen.

"Forscher, geht in die Höhlen" - die "gute Wissenschaft"

Wissenschaftler müssten sich zur Grundlagenforschung der tierischen Ursprünge der Corona-Pandemie und der Übertragungswege in die Höhlen Asiens begeben, um dem Leben des Virus in Schuppentieren, Schlangen, Ameisen und Fledermäusen genauer auf die Spur zu kommen, fordert der französische Mediziner Didier Sicard, ein mittlerweile emeritierter Fachmann für Ansteckungskrankheiten, mit einem besonderen Interesse für Laos und eine traditionelle französische Forschungsarbeit, die mit dem Institut Pasteur ihre renommierte Institution hat.

Das ist eine faszinierende Richtung, die aus Frankreich im Zusammenhang mit der Corona-Krise übermittelt wird. Sicards Annahmen zur Entstehung der Pandemie wurde in langen Interviews mit France Culture, in kürzeren auf Arte und in einem Artikel der Libération an ein interessiertes Publikum gebracht.

Es gibt da keine Kontroversen, die Öffentlichkeit wird zum Publikum und hört wie in alten Erzählungen dem Gelehrten aus der Welt der Wissenschaft widerspruchslos und wohl auch begeistert zu. Der Mann hat hohe Glaubwürdigkeit und Autorität.

Seine Erklärungen haben nichts politisch Heikles oder nur in entfernteren Anflügen, wenn er etwa auf die Rolle der neuen Seidenstraße zu sprechen kommt, die das Habitat der Corona-Virenwirte noch näher an Wohngebiete bringen könnte.

Sein Drängen auf das Verbot von Tiermärkten, wo das Virus beste Verbreitungsmöglichkeiten findet, wird in Europa auf wenig Empörung stoßen, solange sich noch keine wirtschaftlichen Interessen zeigen, die mit den asiatischen Tiermärkten verbunden sind.

Der Streit in der Wissenschaft - Didier Raoult

Ganz anders ist dagegen die Reaktion auf eine andere interessante Richtung, die aus der Wissenschaftsnation Frankreich übermittelt wird. Der Fall des Infektiologen und Mikrobiologen Didier Raoult ist ein Politikum. Die Kontroversen über den Leiter des Instituts für Infektionskrankheiten in Marseille, ein Krankenhaus, das mit Universitätsforschung verbunden ist (IHU Méditerranée Infection) haben den Hitzegrad von Auseinandersetzungen, wie man sie von Kontroversen über Syrien, Russland, Migration, manipulative Medien, "Strippenzieher und Elitenherrschaft" kennt.

Raoult löst aufbrausende Reaktionen aus - Cohn-Bendit sagte im TV, er solle "sein Maul halten", seine Arbeit als Arzt tun und sich nicht als "Genie" aufführen. Bemerkt sei an dieser Stelle, dass dies keine Kritik an dessen medizinischer Arbeit ist.

Raoult ist Wissenschaftler, Mediziner und ein Angeber (wie man ihn nicht nur in Marseille finden kann, aber dort hat er bestimmte Figurenvorbilder, die nicht unsympathisch angelegt sind). Er brüstete sich damit, dass er sowas wie einen Schlüssel zur Bewältigung der Corona-Krise gefunden habe.

In der Gegenöffentlichkeit wird am Umgang mit Didier Raoult und seiner Behandlungsweise von Covid-19-Erkrankten exemplarisch gemacht, wie Big Pharma in Zusammenarbeit mit der französischen Regierung auf das Geschehen Einfluss nimmt. Auf deutsch nachzulesen ist diese Position zum Beispiel in einem "Linke Zeitung"-Artikel, wo diese Perspektive schwarz-weiß aufgezeichnet wird. Die Hauptanklage wird mit der Überschrift eröffnet: Warum Frankreich ein billiges und erprobtes Virenmittel versteckt.

Der Kontertanz der Argumente und die Polemik, die seit Wochen in französischen Medien zum Fall Didier Raoult ausgetragen wird, ist unübersehbar und bräuchte einen eigenen Artikel dazu.

Raoults Therapie gegen einen schweren Verlauf von Covid-19

Die Therapiemethode Raoults lässt sich grob vereinfacht so darstellen: Er versucht mit Wirkstoffen, die aus der Malaria-Prophylaxe bekannt sind - hauptsächlich Hydroxychloroquin und dazu Azithromycin -, einer gefährlichen Überreaktion des Immunsystems auf Sars-CoV-2 entgegenzusteuern, damit so ein schwerer, kritischer Verlauf von Covid-19 möglichst verhindert wird.

Das ist kein Wundermittel, kein Miraculix-Zaubertrank, wie Raoult selbst betont. Erfolg hat diese Therapie nur meist bei Fällen, wo der Krankheitsverlauf noch nicht weit fortgeschritten und weniger schwer verläuft.

Diese Beschränkung hat er vor einigen Tagen in einem Video nachdrücklich erklärt und dabei betont, dass die Medikation unbedingt unter ärztlicher Aufsicht zu geschehen hat, auch um Nebenwirkungen im Schach zu halten oder zu verhindern. Nötig war die Ansage wegen der Selbstmedikation, die offenbar nicht wenige versucht und sich dabei Leiden zugefügt haben. Das kann sogar tödlich verlaufen, wie in Presseberichten zu lesen war.

Trumps übler Streich und Drostens Kritik

US-Präsident Trump hatte vor nicht ganz zwei Wochen auf die Erfolge der Malaria-Prophylaxe im Zusammenhang mit Covid-19 in einer plakativen Weise hingewiesen und damit falsche Erwartungen geweckt und angeblich für allerhand Unheil gesorgt. Die Nebenwirkungen von Hydroxychloroquin sind nicht von Pappe und können bei falscher Dosierung übel ins Auge gehen und lebensgefährlich sein. Auch sei über langfristige Folgen eines verstärkten Einsatzes noch wenig bekannt, wird kritisch vorgebracht.

[Update: Trump progagiert Hydroxychloroquin weiter als beinahe wundermäßige Lösung. Nach einem Bericht der New York Times lässt er bei seinen Ausführungen dazu, die von keinen Kenntnissen untermauert sind, sondern von einem Performance-Willen getragen sind, medizinische "Bedenkenträger" wie Anthony S. Fauci, Chef des National Institute of Allergy and Infectious, gar nicht zu Wort kommen.

Derweilen wird die Liste der befürchteten Nebenwirkungen länger. Nach Medizinern, die die Zeitung zitiert, gehören auch Risiken für Herz und Kreislauf dazu.]

Der deutsche Virologe Christian Drosten übte harte Kritik an einer chinesischen Studie mit 100 Patienten, die Erfolge von Chloroquin bei der Behandlung von an Covid-19 Erkrankten in Aussicht stellte. Zwar, so Drosten, sei klar, dass "das Malariamittel auch gegen das 2003 kursierende Coronavirus in der Zellkultur wirksam ist", aber er äußerte große Zweifel an der Aussagekraft der Studie und an deren Design.

Die habe derartige Mängel, so Drosten, dass "es zu ähnlichen Ergebnissen gekommen wäre, wenn statt Chloroquin eine Kopfschmerztablette verabreicht worden wäre". Dennoch räumte auch er ein, dass man nicht sagen könne, dass Chloroquin nicht wirke. "Aber so, wie diese Studie gemacht wurde, sind wir kein Stück schlauer."

Das war am 20. März. Raoult hatte sich auf die Studie bezogen, deren Aufbau und Methode Drosten "zerlegte". Mittlerweile wurde eine neue chinesische Studie zur Effizienz von Hydroxychloroquin bei Patienten mit Covid-19 veröffentlicht. Dieses Mal mit einer Kontrollgruppe, was Drosten als bedeutenden Mangel bei der früheren Studie kritisierte.