Frankreich: Auf dem spanisch-italienischen Weg?

San Sebastian/Donostia. Foto: Ralf Streck

Die täglichen Zahlen der bestätigten Coronavirus-Toten steigen auf Werte, die denen in den kritischen Nachbarländern immer ähnlicher werden

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In den letzten 48 Stunden mussten die französischen Behörden mehr als 1.000 Coronavirus-Tote bestätigen. Am Samstag waren es erneut 441 und am Vortag sogar 588. Ob der Freitag nun ein Ausreißer nach oben oder der Samstag ein Ausreißer nach unten war, lässt sich noch nicht sagen.

Schaut man sich die Entwicklungen der letzten Wochen an, ist eher die zweite Variante zu vermuten. Aber: Es geht zum Teil ziemlich steil bergauf und bergab in der Pariser Statistik, was auch auf Probleme bei der Datenerfassung hinweist.

Einen eklatanten Ausreißer nach oben gab es am 1. April, als sogar 1.355 Tote (kein Aprilscherz) registriert wurden. Der ist erklärbar: Denn Frankreich hatte mit einem Schlag mehr als 800 Todesfälle in Alten- und Pflegeheimen in die Statistik aufgenommen. Darin unterscheidet sich das Land klar von Spanien und Italien. Die Zahlen aus Frankreich dürften damit etwas ehrlicher als die in seinen beiden Nachbarländern, wo die Dunkelziffern enorm sind.

Das ist aus der Lombardei bestätigt und auch in Spanien werden Tote nicht mitgezählt, die in Heimen oder in der eigenen Wohnung sterben. Getestet werden nicht einmal im Krankenhaus alle, die Symptome zeigen. Deshalb sind die Zahlen der Toten deutlich höher, wie Profis aus dem Gesundheitswesen erklären.

Die zentral betroffene Region Madrid gibt zu, dass es 3.000 Fälle aus Alten- und Pflegeheimen gibt, bei denen die Todesursache unklar ist. Eine enorme Zahl angesichts der Tatsache, dass in dem Ansteckungsherd offiziell gut 4.700 offiziell registriert sind.

Frankreich verzeichnet bisher offiziell 7.560 Coronavirus-Tote. Damit nähert es sich den "10.000", die Spanien mit offiziell 11.947 und Italien mit mehr als 15.000 schon überschritten haben. "Mondzahlen mit angeblich Infizierten" untereinander zu vergleichen, würde den Blindflug in den offiziellen Daten nur vergrößern, da in Spanien und in Italien offensichtlich fast nicht getestet wird.

USan Sebastian/Donostia. Foto: Ralf Streck

Dort werden 126.168 "bestätigte Infizierte" gemeldet, in Italien abstrus mit 124.632 sogar noch weniger. In Frankreich gibt es bei angeblich 89,953 Infizierten eher einen Zusammenhang zu den registrierten Toten. In Italien und Spanien gehen die Zahlen derart weit auseinander, dass man real eher von Millionen Infizierten ausgehen muss.

Die Krise in Frankreich

In Frankreich muss die Entwicklung der nächsten Tage abgewartet werden. Die bisherige Tendenz zeigt aber, dass es ähnlich wie in Spanien und Italien kommen dürfte. Zwar sind Sozialkontakte bei den Franzosen ohnehin nicht so stark wie in den südlichen Nachbarländern, aber das hat vermutlich nur die bisher zu beobachtende Verzögerung verstärkt, in der sich die Krise auch in Frankreich breitmacht. Und wie die Sozialdemokraten in Spanien wiederholt auch die Regierung Macron zentrale Fehler.

Zwar griff man in Paris relativ schnell zum Mittel der Ausgangsbeschränkung, die um weitere zwei Wochen bis zum 15. April verlängert wurde. "Dieser Zeitraum kann verlängert werden, wenn die gesundheitliche Situation dies erfordert", kündigte Premierminister Édouard Philippe an. Aber so wie sie umgesetzt wird, bringt sie nur beschränkt etwas. Sie zieht wie in Spanien drastische Maßnahmen voraussichtlich nur in die Länge.

Für Spanien hat am Samstag Ministerpräsident Pedro Sánchez nun den Lockdown sogar bis zum 26. April verlängern müssen, weil er nicht sofort mit dem Alarmzustand vor drei Wochen verhängt wurde.

Letztlich kam auch er nicht daran vorbei, die Infektionswege radikal zu unterbrechen und einen "Lockdown" anzuordnen, Tausende Tote zu spät. Wie Spanien bis zum vergangenen Dienstag schickt Frankreich aber weiterhin die Mehrzahl der Beschäftigten zur Arbeit und unterbricht damit die Ansteckungswege nicht wirklich.

San Sebastian/Donostia. Foto: Ralf Streck

Welche Auswirkungen es zudem hat, dass Franzosen im Umkreis von einem Kilometer um die Wohnung auch täglich eine Stunde Sport treiben dürfen, ist unklar.

Zudem wurden auch in Frankreich Infektionsherde wie das Elsass nicht abgeriegelt, was zur Ausbreitung des Virus beigetragen hat. Im Elsass wird wegen der Überlastung des Gesundheitssystems auch die Triage längst wie in der Lombardei oder Madrid angewendet.

Zum Teil werden Menschen über 70 seit Wochen nicht mehr intubiert, weil Beatmungsgeräte fehlen, gab die Departements-Präsidentin Brigitte Klinkert zu. Man hilft den Betroffenen nur noch beim Sterben. Ein Armutszeugnis für ein reiches Land mitten in Europa.

Die Verfügbarkeit der Masken

Auch in Frankreich tobt die "absurde Debatte" um die Masken, wie ein Profi einer Reinigungsfirma erklärt. Er bestätigt gegenüber Telepolis, dass seine Beschäftigten zum Teil nicht einmal mit Schutzmasken in Betrieben ihre Desinfektionsarbeiten verrichten dürfen. "Einige Chefs glauben, dass man dafür infiziert sein muss" und lassen mit Schutzmasken ausgerüstete Beschäftigte nicht in den Betrieb.

Er erklärt, dass die Masken natürlich keinen 100%-Schutz garantieren, aber die Ansteckungsraten senken können. Umso feiner, umso besser. Aber er weist aber auch darauf hin, wie unbequem FFP2 und FFP3 Masken sind, wie man darunter schwitzt, wie sie die Atmung behindern.

Und französische Medien stellen fest, dass auch im Nachbarland die Debatte eher von der Masken-Verfügbarkeit bestimmt wird und nicht davon, ob sie wirksam sind oder nicht. Das ist in Spanien ähnlich. Dort wurde lange wie in Deutschland erklärt, dass Masken angeblich nicht schützen. Nun denkt Madrid aber, da es in größerem Stil gelang, Masken zu besorgen, sogar über einen Zwang beim Gang zu Einkäufen und beim Ausführen von Hunden nach.

In Frankreich ermittelten Journalisten von France 2 und Mediapart, dass es bisher nur deshalb keine Pflicht gibt, weil man zu wenige Masken auf Lager hat. Sie berufen sich dabei auf den Generaldirektor des Gesundheitsministeriums, Jérôme Salomon.

Stabilisierung in Spanien und Italien

Wie in Italien ergibt sich angesichts der radikalen Ausgangssperre nun auch in Spanien scheinbar eine Stabilisierung. In beiden Ländern gehen die offiziellen Todeszahlen zurück. In Spanien wurden in den letzten 24 Stunden nun 674 offiziell registriert, in Italien waren es 681.

Wenn es auch hier nur möglich war, eine Entlastung der kollabierenden Gesundheitssysteme über einen Lockdown zu erreichen, wird wohl Frankreich nicht darum herumkommen, wenn die Zahl dort weiter steigt. Und die Frage ist, ob das in Deutschland letztlich nicht ganz ähnlich kommt.

Ein Blick nach Großbritannien zeigt, was eine falsche Politik bringt. Da Boris Johnson anfänglich auf eine Herdenimmunität setzte, ist die Lage dort noch zugespitzter als in Frankreich. Es wurden nun sogar 708 Tote an einem Tag verzeichnet. Insgesamt sollen dort bisher knapp 4.500 Menschen an der Lungenkrankheit gestorben sein.

Und da in diversen Veröffentlichungen und auch im Telepolis-Forum immer wieder behauptet wird, die Sterblichkeit werde insgesamt nicht durch das Virus erhöht, sei hier auf die offiziellen Zahlen aus Spanien verwiesen.

Mein Dank gilt hier einem aufmerksamen Leser, der die Angabe einer Studie, die in Spanien durchgestochen wurde, widerlegt, auf die ich mich am 29.3. bezogen habe - siehe: Tausende Tote zu spät reduziert Spanien Aktivitäten auf die Basisversorgung. Es wurde davon gesprochen, dass in einigen Gebieten Spaniens die Sterblichkeit nun doppelt so hoch wie üblich ist.

Der Leser hat die offiziellen Daten aufwendig ausgewertet. Danach kann man nur zu dem Schluss kommen, dass die Übersterblichkeit in einigen Regionen bisweilen bei fast 200% liegt. Es sterben also in den letzten Wochen in der großen Region Madrid fast dreimal so viele Menschen wie üblich.

Tabelle: Telepolis-Leser (Name dem Autor bekannt)

Ähnlich sieht es in der Nachbarregion Kastilien-La Mancha aus und etwas schwächer in der Rioja, Kastilien-Leon und Katalonien. Nicht eine Region ist negativ.

Dabei sollte beachtet werden, dass die Zahl der Verkehrstoten (es gibt praktisch kaum Verkehr) oder die Zahl der Toten am Arbeitsplatz zum Beispiel sehr stark gesunken sein müssen. Täglich kommen durchschnittlich in Spanien dabei 3-4 respektive 2-3 Menschen ums Leben.