Black-Out-Gefahr im Juni 2019 lag nicht an den Erneuerbaren

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Inzwischen wurden zwei Verantwortliche ermittelt - strafbar scheint das Verhalten der Stromhändler jedoch nicht zu sein

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Am 6., 12. und 25. Juni 2019 stellten die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber eine starke Unterspeisung des deutschen Strom-Systems fest, was jeweils zu einem Absinken der Netzfrequenz im gesamten europäischen Verbundnetz geführt hat, einer sogenannten Unterfrequenz. Schon bald darauf zeigte sich, dass die Ursache des Beinahe-Blackout ganz offensichtlich nicht an einer mangelnden Verfügbarkeit der Erneuerbaren lag, auch wenn so manche Freunde der konventionellen Stromwirtschaft dies behaupteten.

Hinsichtlich der in der Vergangenheit vielfach geäußerten Meinung, dass die Erneuerbaren für die Störungen im Übertragungsnetz verantwortlich gewesen seien, stellt die Bundesnetzagentur (BNetzA) auf Nachfrage von Telepolis aktuell fest: "Die am 06., 12. und 25. Juni 2019 im Stromübertragungsnetz aufgetretenen erheblichen Systemungleichgewichte ließen sich in ihrer Höhe und Dauer nicht allein auf übliche Ursachen wie Schwankungen aus der Prognose und Erzeugung Erneuerbarer Energien oder Kraftwerksausfälle zurückführen. Während es am 06. und 12. Juni 2019 wetterbedingt eine erhöhte Unsicherheit in der Prognose Erneuerbarer Energien gab, bestand am 25. Juni 2019 kein Grund für Prognoseunsicherheiten."

Die Untersuchung der Vorfälle im Juni 2019 hatte deutlich länger gedauert, als man im vergangenen Jahr gehofft hatte. Am 21. April 2020 gab es eine einschlägige Pressemeldung der BNetzA:

"Die Bundesnetzagentur hat Verstöße der Unternehmen Energie Vertrieb Deutschland (EVD) und Optimax Energy gegen die vertraglichen Pflichten aus dem Bilanzkreisvertrag Strom festgestellt. Beide Unternehmen haben als sogenannte Bilanzkreisverantwortliche gegen ihre Pflicht zum ordnungsgemäßen Ausgleich der gehandelten Strommengen in den Bilanzkreisen verstoßen. ... Als unzulässiges Verhalten wertet die Bundesnetzagentur insbesondere eine Erzeugungsprognose von Energiemengen, die dem Bilanzkreisverantwortlichen tatsächlich nicht zur Verfügung standen. Die Anpassung von Prognosefahrplänen an die Handelstätigkeit widerspricht ebenfalls der gesetzlichen Maßgabe, für eine ausgeglichene Bilanz zwischen Einspeisung und Entnahme zu sorgen.

Die Feststellung kommt einer Abmahnung durch die Bundesnetzagentur gleich. Eine Beendigung des Bilanzkreisvertrags ist damit nicht verbunden. ... Ein Verfahren gegen das Unternehmen Trailstone wurde eingestellt, da sich die anfänglichen Verdachtsmomente nicht erhärten ließen. Drei weitere Verfahren sind noch anhängig."

Bei der Hamburger Energie Vertrieb Deutschland EVD handelt es sich um eine Tochtergesellschaft der 1993 in Aarhus gegründeten Energi Danmark, die sich zu den führenden Anbietern im Energiehandel in Skandinavien zählt. Die Firma Optimax Energy mit Standorten in Leipzig und Sofia betreibt nach eigener Aussage "Handel an drei offiziellen Börsen und zahlreichen Handelsmärkten in neun Staaten Europas".

Keine direkten Strafen für die Pflichtverletzungen

Am 23. April 2020 antwortete die BNetzA auf Anfrage von Telepolis:

"Die Feststellung der Verstöße befähigt die Übertragungsnetzbetreiber, vertragliche Sanktionen gegenüber den Betroffenen zu ergreifen. Dazu gehört u.a. die Abmahnung innerhalb des jeweiligen Vertragsverhältnisses. Direkte finanzielle Konsequenzen ergeben sich für die Betroffenen auf Grundlage des derzeit gültigen Standardbilanzkreisvertrags nicht. Gegen die Feststellung der Bundesnetzagentur sind Rechtsmittel möglich.

Amprion als betroffener Übertragungsnetzbetreiber stellt in diesem Zusammenhang am 23. April fest: "Wir begrüßen, dass die Bundesnetzagentur angekündigt hat, Aufsichtsmaßnahmen einzuleiten, wenn es Anzeichen für Leergeschäfte gibt. Uns Übertragungsnetzbetreiber bleibt als Sanktion unter bestimmten Bedingungen nur die Kündigung des Bilanzkreisvertrags - und das bedeutet für unsere Vertragspartner, dass sie keine Geschäftsgrundlage mehr haben."

Wie sich die BNetzA die Zukunft vorstellt

Die Vorfälle im Juni 2019 wurden von Fachleuten schon bald auf das im Oktober 2018 eingeführte Mischpreisverfahren zurückgeführt, das nach einer erfolgreichen Klage der Next-Kraftwerke vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf schon wieder Geschichte ist. Dadurch dürfte es Marktteilnehmern weniger leicht fallen, im damaligen Umfang spekulativ in den Strommarkt einzugreifen. Zudem stellte die BNetzA am 21. April fest:

"Zur Stärkung der Bilanzkreistreue hatte die Bundesnetzagentur bereits im Dezember 2019 ein Maßnahmenpaket festgelegt, welches Bilanzkreisverantwortliche zu einer sorgfältigeren Bewirtschaftung ihrer Bilanzkreise anhält und eine schnellere Aufklärung von Bilanzungleichgewichten ermöglicht. Bilanzkreise dienen der wirtschaftlichen Abwicklung von Verträgen zur Belieferung mit elektrischer Energie. Der Bilanzkreisverantwortliche ist gegenüber dem Übertragungsnetzbetreiber auf Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Bilanzkreisvertrages dafür verantwortlich, dass in jeder ¼-Stunden-Periode die Leistungsbilanz des Bilanzkreises ausgeglichen ist. Die Leistungsbilanz ist die Summe von Entnahmen und Einspeisungen von elektrischer Energie."

Ganz offensichtlich besteht die größte Gefahr für das deutsche Stromnetz nicht im vielfach gescholtenen "Flatterstrom" der Erneuerbaren, sondern in den Unzulänglichkeiten der Überwachung des Stromhandels.