"Uyghur Act": US-Sanktion gegen China

Politisch wie medial unisono gegen Chinas "barbarische Maßnahmen" in Xinjiang. Über Amerikas Instrumentalisierung der Menschenrechte und der medialen Verantwortungslosigkeit

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Auf Basis von Schätzungen schickt Washington die nächste Sanktion nach China. In deren Mittelpunkt steht die seit Beginn des Handelskriegs in sämtlichen Medien kolportierte - so aufgeblähte wie unhinterfragte - Zahl von einer Million chinesischer Bürger uigurischer Abstammung, die in Xinjiang interniert sein sollen.

Der US-Senat hat am Mittwoch mit parteiübergreifender Mehrheit ein Gesetz verabschiedet, das Sanktionen gegen hochrangige chinesische Beamte vorsieht, die für Menschenrechtsverletzungen gegen die uigurische Minderheit in der Region Xinjiang in China verantwortlich sein sollen. Das Gesetz mit dem Titel "Uyghur Human Rights Policy Act of 2020", das nun US-Präsident Trump zur Unterzeichnung vorliegt, verurteilt die Kommunistische Partei Chinas wegen der mutmaßlichen Internierungslager und empfiehlt eine härtere Reaktion auf die Menschenrechtsverletzungen.

Von einem "kulturellen Genozid" an den Uiguren und anderen ethnischen muslimischen Minderheitengruppen im Westen Chinas sprach Rep. Brad Sherman (D-Kalif.) vor der Anhörung. Peking habe seine "wirtschaftliche Macht genutzt, um Kritik an den schrecklichen Menschenrechtsverletzungen zum Schweigen zu bringen." Insbesondere Kritik von muslimischen Ländern habe China zum Schweigen gedrängt, sagte Sherman, ohne sie beim Namen zu nennen.

Demokratische Sprecherin Nancy Pelosi sagte, die "barbarischen Aktionen Pekings gegen das uigurische Volk" seien "ein Skandal für das kollektive Bewusstsein der Welt". Das Repräsentantenhaus sende "auf eine sehr starke parteiübergreifende Weise eine Botschaft an die Verfolgten, dass sie nicht vergessen werden. Wir sagen dem Präsidenten Chinas: 'Sie können diesen Menschen sagen, dass sie vergessen sind, aber sie sind es nicht.'"

Um also die Uiguren ins Gedächtnis von Präsident Xi Jinping zu rufen, sieht das Gesetz vor, dass der US-Präsident dem Kongress einen Bericht vorzulegen hat, in dem chinesische Beamte und alle anderen Personen genannt werden sollen, die für Maßnahmen verantwortlich sind, die an CIA-Methoden in Abu Ghraib oder Guantanamo erinnern. Diese sind "die Durchführung von Folter, längere Haft ohne Anklage und Gerichtsverfahren, Entführung, grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung muslimischer Minderheitengruppen und andere Verweigerungen des 'Rechts auf Leben, Freiheit oder Sicherheit' der Menschen in Xinjiang verantwortlich sind."

Die in dem Bericht identifizierten Personen würden dann - das "Globale Magnitsky Gesetz", das ebenfalls auf unzuverlässigen Fakten beruht, dient als Vorlage - Sanktionen unterliegen, einschließlich der Sperrung von Vermögenswerten, des Widerrufs von Visa und der Nichtberechtigung zur Einreise in die Vereinigten Staaten. Zudem soll die NIA eine vertrauliche Liste von chinesischen Firmen erstellen, die am Bau und Betrieb der Lager beteiligt sind.

Das Gesetz wurde mit 413 zu 1 Stimmen angenommen. Einziger Gegner war der Republikaner Thomas Massie aus Kentucky. "Wenn sich unsere Regierung in die inneren Angelegenheiten fremder Länder einmischt, lädt sie diese Regierungen ein, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen", schrieb Massie auf Twitter und begründete seinen Einwand gegen jede Gesetzgebung, die ausländische Regierungen sanktioniert.

Sanktionen basieren auf ungeprüften Zahlen

Betroffen von den Sanktionen wären Parteifunktionäre Xinjiangs wie Chen Quanguo, der seit 2016 die Terrorismus- und Separatismus-Bekämpfung in der Provinz, die seit den Neunzigern und verstärkt ab 2008 Schauplatz von Unruhen und terroristischen Anschlägen war, leitet. 2009 kamen bei Unruhen in Urumqi, der Hauptstadt der Region Xinjiang, knapp 200 Menschen ums Leben. Im Mai 2014 wurden auf dem Marktplatz von Urumqi bei einer Autobombenexplosion mehr als 30 Menschen getötet. Chinas Staatsmedien sprechen vom "11. September Chinas". Weitere islamistische Anschläge ereigneten sich in Kunming und Peking. Aus Pekings Sicht war Chens Versetzung von Tibet nach Xinjiang ein Erfolg: Seit 2017 gab es keine Terroranschläge von separatistischen und religiösen Extremisten mehr in der Provinz.

Seit 2018, ab Beginn des Handelskriegs, wird China jedoch mit heftigen Vorwürfen und Framings konfrontiert, wenn es um die Uiguren in Xinjiang geht. Von "Gehirnwäsche" (in der Kinderzeitung der SZ), "Gehirnsäuberung" und "kultureller Genozid" war in der internationalen Medienlandschaft die Rede. Begleitet wurden solche Schlagwörter von auratisch unangreifbaren journalistischen Hilfsmitteln wie Einzelschicksalen von Exil-Uiguren und angeblichen "Leaks" von "geheimen Dokumenten", die "zugespielt" werden, von Quellen, die von Geheimdiensten als "sicher" eingestuft werden.

Die für die mediale Propaganda gegen China benutzten Schlagwörter hat Adrian Zenz in die Welt gesetzt, ein "China-Experte" bzw. "Minderheitenexperte" oder "Asienexperte" oder einfach "weltweit renommierter Experte", gemeinsam mit der angeblichen Zahl von einer Million Uiguren, die in "Konzentrationslagern" interniert sein sollen. Journalisten von The Grayzone, die als Einzige hinterfragten, woher die kolportierte Zahl stammt, wiesen darauf hin, dass sie auf groben Schätzungen, die auf acht Interviews mit Uiguren basieren, von nicht zuletzt amerikanischen Regime-Change-Interessengruppen beruhen.

Immer wenn es heißt "Experten sprechen von über einer Million Uiguren", dann ist Zenz gemeint. Zenz, laut FAZ "Freiberufler in der IT-Branche", unterrichtete an einer evangelikalen Bildungseinrichtung in Baden-Würtemberg, die mit der evangelikalen "Chinesischen Missionsgemeinschaft" vernetzt ist. Was tatsächlich in den Einrichtungen passiert, weiß auch Zenz nicht.

Zuletzt wurde ihm die sogenannte "The Karakax List" zugeleakt, in der es heißt, 656 Personen wurden "zu einem Zeitpunkt interniert oder inhaftiert".

Einladung an Bachelet

Chinesische Beamte, wie Shohrat Zakir, Gouverneur des Uigurischen Autonomen Gebietes Xinjiang, sprechen von "Fachausbildungszentren" und "internatähnlichen Schulen". Man setze auf Bildung und Berufsperspektiven, bei jenen, die die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates im Sinne haben. Zakir, selbst Uigure, bestreitet die Masseninternierung "von mehr als einer Millionen Uiguren". Selbst, wenn es genauere Zahlen von offizieller Seite gäbe, bliebe es fraglich, ob westliche Medien dem Glauben schenken würden.

Aufklären könnte Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen. Immer wieder hieß es, dass China den Vereinten Nationen den geforderten Zugang zu Xinjiang nicht erlaube oder eine Forderung danach ignoriere. Auch das stimmt nicht. Auf der Ratssitzung in Genf im Juni 2019 sagte Chen Xu, Chinas Botschafter bei den Vereinten Nationen in Genf: "Wir hoffen, dass die Hohe Kommissarin China einen Besuch abstatten wird, einschließlich einer Reise nach Xinjiang, um sich selbst ein Bild zu machen ... Sehen ist Glauben."

Er hoffe, dass die UN-Menschenrechtschefin Michelle Bachelet China besuchen werde, einschließlich Xinjiang, wo "Ausbildungszentren" dazu beitragen würden, den Extremismus auszumerzen und den Menschen neue Fähigkeiten zu vermitteln. "Die Einladung an den Hochkommissar ist immer da, wir hoffen, eine für beide Seiten günstige Zeit festzulegen", sagte Chen.

Im Februar diesen Jahres wiederholte Chen die Einladung. "Wir freuen uns auf den Besuch der Hochkommissarin, Frau Bachelet, in China, einschließlich Xinjiang in diesem Jahr, und wir arbeiten eng mit ihrem Büro an den Einzelheiten ihres Besuchs zusammen."

Doch selbst, wenn neue Erkenntnisse über die Lage der Uiguren auftreten sollten, die USA blieben unberührt davon. 2018 haben sie sich aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zurückgezogen. Sie gehen eigene Wege, um Menschenrechte als Druckmittel gegen China zu instrumentalisieren. Daran wird auch Bachelet nichts ändern können. Ohnehin ist spätestens jetzt die Zahl von Adrian Zenz zum Fakt geworden. Im Gesetzestext des Uyghur Human Rights Policy Act of 2020 :

Wissenschaftler, Menschenrechtsorganisationen, Journalisten und Think Tanks haben zahlreiche Beweise vorgelegt, die die Einrichtung von Internierungslagern durch die Regierung der Volksrepublik China belegen. Seit 2014 hat die Regierung der Volksrepublik China mehr als 1.000.000 Uiguren, ethnische Kasachen, Kirgisen und Angehörige anderer muslimischer Minderheitengruppen in diesen Lagern inhaftiert.


Doch wo sind die Beweise? In Gedenken an die Worte des früheren Außenministers Joschka Fischer müsste man sagen: "I am not convinced."