Grundrechte-Report: Wenn die Polizei falsch twittert und sich nicht filmen lässt

Der "alternative Verfassungsschutzbericht" 2020 dokumentiert erneut Fälle fehlgeleiteter Strafverfolgung zwischen Social Media und erweiterter DNA-Analyse.

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Grundrechte-Report: Wenn die Polizei falsch twittert, tasert, sich nicht filmen lässt

Dieser Türknauf sei unter Strom gesetzt, twitterte die Berliner Polizei 2017. Später dementierte sie kleinlaut.

(Bild: Polizei Berlin)

Lesezeit: 3 Min.

Ein Zeugenvideo über die tödliche Festnahme des Schwarzen George Floyd durch vier weiße Polizisten in Minneapolis erschüttert derzeit die Welt. Doch sind Handy-Aufnahmen von Polizei-Einsätzen hierzulande überhaupt erlaubt? Der Antwort auf diese Frage widmet sich einer von 39 Beiträgen des am Dienstag veröffentlichten "Grundrechte-Reports 2020". Ihn haben zehn deutsche Bürger- und Menschenrechtsorganisationen herausgegeben, zu denen das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung, die Gesellschaft für Freiheitsrechte und die Humanistische Union gehören.

Die Verfasser des "alternativen Verfassungsschutzberichts" untersuchen Entscheidungen von Parlamenten, Behörden, Gerichten und Unternehmen. Peter Stolle erläuterte, die Polizei nehme sich bei Demonstrationen – oft jenseits des Gesetzes – das Recht heraus, Versammlungsteilnehmer zu filmen. Wer aber die eigene Kamera auf die Beamten richte, ernte oft barsche Reaktionen bis hin zur Einziehung des Mobiltelefons.

Trotz erster höchstgerichtlicher Entscheidungen, wonach zumindest Aufnahmen zulässig sind, wenn sie nicht direkt in soziale Netzwerke hochgeladen werden, sei die Justizpraxis hier "nicht immer eindeutig". Das Landgericht Kassel habe dazu aber jüngst ausgeführt: Die Polizei habe zwar gemeint, dass nach Paragraf 201 StGB schon die zu Videoaufnahmen parallele "Aufzeichnung des nicht öffentlich gesprochenen Wortes strafbar" sei. Es gebe aber eine "faktische Öffentlichkeit", wenn beispielsweise sehr laut und für viele hörbar geredet werde. Eine mehrmonatige Beschlagnahme eines Smartphones sei unverhältnismäßig. In den USA bringen derweil bereits Modemagazine auf ihren Jugendseiten Hinweise zum "sicheren, ethischen und effektiven" Filmen fragwürdiger Polizeiarbeit.

Mit grenzwertigen Social-Media-Beiträgen von Strafverfolgungsbehörden beschäftigt sich der Rechtsanwalt Michael Lippa am Beispiel eines Tweets der Berliner Polizei zu einem angeblich unter Strom gesetzten Türknauf bei der Räumung eines Kiezladens. Während sich daraufhin ein "medialer Shitstorm ohnegleichen" entwickelt und die Deutsche Polizeigewerkschaft von einem Mordversuch gesprochen habe, sei über Twitter eher untergegangen, dass keine Stromquelle festzustellen gewesen sei.

Weitere Falschnachrichten "kursieren zuhauf", meint Lippa. Es würden lebensgefährliche Angriffe – gerne auf Kollegen – frei erfunden, mehr Beamte und schwerer als real verletzt. "Alle Fälle, in denen die Polizei voreilig oder gar bewusst falsche oder wertende Informationen über Tatsachen bei politischen Versammlungen verbreitet, sind schon grundsätzlich rechtswidrig."

Als "ungenau und brandgefährlich" bezeichnet Benjamin Derin die erweiterte DNA-Analyse. Damit dürfen Beamte auch Haar-, Augen- und Hautfarbe aus Gendatenfunden ermitteln. Die Fahnder wollen dabei herausfinden, dass der Spurengeber "einer abgrenzbaren Minderheit angehören könnte, und zwar anhand der Hautfarbe", schreibt Derin. Obwohl die generierten Profile lediglich ein mögliches Szenario darstellten und äußerst fehleranfällig seien, würden sie "die Ermittlungen entscheidend (fehl)lenken", wenn sie auf eine erkennbare Bevölkerungsminorität deuteten.

Auch etwa beim Missbrauch polizeilicher Datenbanken oder mit dem lebensgefährlichen Einsatz von Elektroschockwaffen (Taser) im Polizeistreifendienst würden Grundrechte missachtet. Besonders häufig seien es die im Grundgesetz verbrieften Schutzansprüche Geflüchteter, "die dem Aufrüsten des Staates zum Opfer fallen".

(anw)